Billig, friedlich, erfolgreich

Beim Castor-Transport nach Ahaus gehörte irgendwie auch die Polizei zum Widerstand

Stell dir vor, der Tag X4 ist gelaufen und alle sind zufrieden. Die Atomlobby ist froh, weil ihr Müll unversehrt im Zwischenlager Ahaus angekommen ist. Der nordrhein-westfälische Innenminister Franz-Josef Kniola klopft sich und seinem grünen Polizeipräsidenten Hubert Wimber auf die Schulter, weil ihre "Deeskalationsstrategie" und der verfrühte Castor-Transport der Protestbewegung den Wind aus den Segeln genommen haben. Und die Atommüll-GegnerInnen sehen einen "beachtlichen Erfolg", weil sich gezeigt habe, daß Castor-Transporte nur gegen den Widerstand der Bevölkerung mit massiven Polizeieinsätzen möglich seien.

"Es ist uns gelungen, in wenigen Tagen, ja Stunden massenhaften Protest auf die Beine zu stellen", so Matthias Eichhoff vom Münsteraner Bündnis für den Ausstieg aus der Atomenergie. Zwar hat der vorgezogene Castor-Transport die Pläne der Atommüll-GegnerInnen durchkreuzt. "Aber es konnten trotzdem jede Menge Leute mobilisiert werden, die in beeindruckender Weise protestiert haben", sagte Hartmut Liebermann, Sprecher der Bürgerinitiative "Kein Atommüll in Ahaus". Zu den Highlights zählt Liebermann die mehrstündige Blockade von 300 DemonstrantInnen am Bahnübergang an der Schorlemer Straße und die Gleisbesetzung am Südrand von Ahaus, an der etwa 3 000 Leute teilnahmen.

Insgesamt protestierten rund 8 000 Menschen am Tag X, dem Freitag vergangener Woche, in der westfälischen Kleinstadt gegen die Einlagerung des süddeutschen Atommülls in Ahaus. "Der Bevölkerung ist im Vorfeld viel Angst vor den Demonstrationen gemacht worden. Aber die Horrorszenarien sind nicht eingetreten, es sind keine Steine oder Molotow-Cocktails geflogen", stellte Liebermann fest und ist sich sicher: "Die Unterstützung der Ahauser Bürger für den Protest gegen das Zwischenlager wird wachsen." Viele Einheimische hätten sich an den Protesten beteiligt. Dabei haben sie offenbar einige Aha-Erlebnisse gehabt. "Sie haben gemerkt, daß junge demonstrierende Leute und Autonome ganz normale Menschen sind", freute sich der BI-Sprecher.

Auch das Urteil der AhauserInnen über die Polizei als "Freund und Helfer" wurde revidiert. Rund 20 000 Sicherheitskräfte waren im Einsatz. Entgegen der Zusagen des Polizeipräsidenten in Verhandlungen mit der Ahauser Bürgerinitiative waren darunter auch Hundertschaften aus Berlin und den neuen Bundesländern, die für ihr hartes Vorgehen berüchtigt sind. "Wir haben eine Situation erlebt, die vorher nicht vorstellbar war. Die Vorstellung der Bürger von der Polizei wurde auf den Kopf gestellt", berichtete Liebermann. Allein die Sanitäter des Roten Kreuzes versorgten bis Samstag vormittag 66 Verletzte, unter anderem mit Knochenbrüchen, Platzwunden und Prellungen. Und die Mediengruppe der Anti-Atom-Initiativen hat beobachtet, wie Einsatzkräfte liegende DemonstrantInnen getreten haben, eine junge Frau in ein Wasserloch warfen und Bäumen fällten, auf denen Protestierende saßen. Anders als bei den Tag X-Aktionen in Gorleben, waren solche Ereignisse allerdings Einzelfälle.

Der Sozialdemokraten Kniola und sein grüner Polizeipräsident Wimber konnten mit ihrem "Deeskalationskonzept" zufrieden sein. Besonders stolz war Kniola auf seinen Einfall den Transport heimlich vorzuziehen, das habe die ursprünglich veranschlagten Kosten um zwei Drittel gesenkt. Auch die Polizeieinsätze wertet er insgesamt positiv: "Das Einsatzkonzept hat gestimmt, die Polizisten haben mit Ruhe und Besonnenheit agiert", sagte er. "Obwohl die Beamten viele Stunden auf den Beinen waren und kritische Momente zu bestehen hatten, waren sie immer bemüht, mit Vernunft und Augenmaß ihre Pflicht zu tun."

Und für die Szenen, die nicht in dieses schöne Bild paßten, hatte der Innenminister auch eine Erklärung parat: Es seien vor allem Berliner Beamte gewesen, die sich über die ausgegebenen Befehle hinweggesetzt hätten. "Da werden wir noch ein ernstes Wörtchen mit einigen zu reden haben." Auch höher gestellte Beamte hätten sich der Einsatzleitung zu unterstellen. "Das hat nicht immer funktioniert, da muß noch nachgearbeitet werden."

Ganze Deeskalationsarbeit im Vorfeld geleistet hatte der grüne Polizeipräsident Wimber, der sich damit rühmt, einst in Brokdorf demonstriert zu haben. Er verfügt über wichtige "Milieu-Kenntnisse" und weiß, wo er ansetzen muß. Die vom Polizeipräsidium zur Schau gestellte Verhandlungsbereitschaft gegenüber der Ahauser Bürgerinitiative ermöglichte der Polizei bis zuletzt einen Einblick in die Widerstandsstrategien. Den Castor-GegnerInnen erschwerte sie die Organisation der Proteste. Sie hielten sich an Absprachen mit der Polizei und legten Pläne zur Genehmigung vor.

Eine Woche vor dem Transport hatte Wimber entgegen ursprünglicher Zusagen fünf von acht Widerstandscamps verboten. Am Tag vor der Ankunft der Castoren in Ahaus ließ er zeitgleich zu einer angemeldeten Demonstration in der Innenstadt weitere zwei Camps auflösen. "Man wollte Chaos produzieren und uns die Infrastruktur entziehen", meint Gerald Hahn von der Mediengruppe der Anti-Atom-Initiativen. Eins der geräumten Lager sei vom Ordnungsamt der Ahauser Nachbargemeinde Heek genehmigt gewesen. Das andere Camp durften die CastorgegnerInnen vier Tage lang - von Polizeikameras wohldokumentiert - aufbauen. Als es fertig war, kam der Räumungsbefehl.

Mit dem Verbot und der Räumung der Camps hatte Wimber dem Widerstand eine entscheidende Stütze genommen, denn zentrale Aktionen waren ohne Kommunikationszentralen nur schwer zu koordinieren. "Wir fühlen uns verarscht. Viele von uns haben das Vertrauen in die Polizei verloren", sagte ein Lehrer, der Mitglied der Bürgerinitiative ist. Damit hat die "Deeskalationsstrategie" wenigstens einen pädagogischen Wert: Auch ihre AnhängerInnen in den Reihen der Castor-GegnerInnen scheinen mittlerweile begriffen zu haben, daß sie "Teil der psychologischen 'Kriegsführung' gegen soziale Bewegungen" ist und "in Wirklichkeit nur eine andere Form repressiver Polizeitaktik darstellt", wie es in einer Erklärung der Mediengruppe der Anti-Atom-Initiativen heißt. "Wir wissen jetzt, was für die Polizei Deeskalation bedeutet: Nicht, daß die Grundrechte der Demonstranten gewahrt bleiben, sondern daß sie mit allen möglichen Mittel behindert werden", so der Bielefelder Thomas Gutmann von der Mediengruppe. Das habe begonnen mit dem Versuch, den Widerstand zu spalten, sei weiter gegangen mit der Zerstörung der Infrastruktur vor Ort und ende mit massivem Knüppeleinsatz.

Unbeschadet haben die Grünen ihre schizophrene Doppelrolle überstanden. Nur ein vereinzelter notorischer Regierungskritiker, Martin Budich von den Bochumer Grünen, forderte den Bruch der Koalition: Seine Partei hätte von der Vorverlegung wissen und den Termin veröffentlichen müssen. Polizeipräsident Wimber, der nach eigenen Angaben erst im letzten Augenblick informiert wurde, sah das anderes und würdigte gar die "taktische Leistung, den Transport geheimzuhalten". Obwohl Teil von Regierung und Polizei, ist es den Grünen gelungen, wichtiger Teil der Protestbewegung zu bleiben. Sie sind in nicht wenigen Initiativen im Land verankert und an den Aktionen vor Ort nahm die grüne Parteiprominenz auch am Tag X teil. Teilweise unterstüzten sie ihren Polizeipräsidenten ganz praktisch in Sachen Befriedung: So beobachtete beispielsweise der Landtagsabgeordnete Ewald Groth das Abräumen der Blockade an der Schorlemer Straße und mahnte Einsatzkräfte, die DemonstrantInnen über den Boden schleiften, freundlicher zu sein. Mit Erfolg: "Die Leute wurden dann getragen".

Die Grünen hatten auch zu der Demonstration am 21. März in Münster - von der Auftakt- zur Abschlußveranstaltung der Tag X4-Aktionen umgewandelt - gut mobilisiert. Ihre vielen gelben Einheitsfahnen - in der Parteizentrale für 23 Mark das Stück zu bestellen - waren unübersehbar. So hatten auch in Münster die NRW-Regierungsparteien arbeitsteilig alles unter Kontrolle. Nach den Schätzungen der Polizei demonstrierten in Münster 7 000 Menschen. Die VeranstalterInnen sprechen gar von 12 000 TeilnehmerInnen. Wahrscheinlich haben sie die Leute in grüner Uniform mitgezählt. Schließlich gehören die ja auch irgendwie zum Widerstand.