Jospin bestätigt die Mitterrand-Linie

Warnschuß im Exil

Anfang des Jahres stieg unter den in Frankreich exilierten ehemaligen Angehörigen bewaffneter revolutionärer Gruppen aus Italien die Unruhe. Zehn von ihnen wurden - nach jahrzehntelanger Duldung durch den französischen Staat - plötzlich per Haftbefehl gesucht, und einigen Dutzend weiteren drohte mittelfristig dasselbe. Drei der Haftbefehle wurden zwischen dem 6. und dem 30. Januar vollstreckt: Zunächst klickten die Handschellen an den Gelenken von Franco Pinna, mutmaßlicher Ex-Angehöriger der Roten Brigaden, der als Theatertechniker in der Pariser Vorstadt Montreuil lebt. Kurz darauf war Alfredo Davanzo an der Reihe, ein ehemaliger Fiat-Arbeiter aus Turin, der wegen Teilnahme an bewaffneten politischen Auseinandersetzungen in Italien 1986 zu 13 Jahren Haft verurteilt worden ist. Und schließlich erwischte es am 30. Januar dieses Jahres Sergio Tornaghi, der von allen politischen Exilierten mit am wenigsten zu befürchten hatte: Das Appellationsgericht von Paris hatte 1986 ein italienisches Auslieferungsbegehren abgelehnt, er besitzt im Gegensatz zu vielen seiner Genossen, die "nur" aufgrund politischen Entscheids im Lande geduldet wurden - eine Aufenthaltsgenehmigung und ist mit einer Französin verheiratet.

Rund ein Drittel der in den achtziger Jahren etwa 300 ehemaligen Angehörigen linksrevolutionärer italienischer Gruppen leben gegenwärtig in Frankreich. Nachdem er 1981 zum Staatspräsidenten gewählt worden war, machte der Sozialist Fran ç ois Mitterrand der linken und liberalen Öffentlichkeit das Zugeständnis, diese - auf der Grundlage der italienischen Ausnahmegesetzgebung gesuchten - Aktivisten aufzunehmen. Anläßlich eines Auftritts auf dem Kongreß der Liga für Menschenrechte (LDH) im Jahr 1985 machte der Staatschef diese Haltung zum offiziellen Versprechen, wenngleich mit einer einschränkenden Begründung: Er werde jene schützen, "die erklärtermaßen mit dem infernalischen Mechanismus gebrochen haben, auf den sie sich eingelassen hatten, die eine zweite Phase ihres Lebens begonnen haben (...)". Keine französische Regierung, egal welcher politischen Couleur, ist seither von Mitterrands "Präsidentenversprechen" abgewichen.

Zum 25. Oktober 1997 trat Italien ins "Europäische Informationssystem" gemäß dem Schengen-Abkommen ein. Damit drohte sich die Situation zu ändern. Denn in der Regel ist nun jeder Haftbefehl, den ein italienischer Richter ausstellt, im gesamten Schengen-Raum automatisch vollstreckbar, ohne daß es seiner Übernahme durch den französischen Staat bedürfte.

So setzte sich für die vom italienischen Staat gesuchten Exilierten die Maschine automatisch in Gang. Alarmiert durch die Festnahmen wandten sich Anfang März 1998 elf der Exilierten zusammen mit einer Reihe französischer Prominenter an Staatschef Chirac und Premier Jospin und erklärten: "Eine Möglichkeit aber kann uns nicht genommen werden: Der feste Wille, es nicht hinzunehmen, daß einer nach dem andern festgenommen oder ausgeliefert wird. (...) Entweder wird es ein gemeinsames Schicksal geben, ähnlich dem illegaler Immigranten, die per Charterflug abgeschoben werden, oder aber die endgültige Garantie der legitimen Anwesenheit von uns allen auf französischem Boden." Jospins Antwort erfolgte zwei Tage darauf: Seine Regierung verpflichte sich, keine Auslieferungen vorzunehmen und die von Mitterrand 1985 vorgegebene Linie nicht zu verlassen