Lesefutter für Grünenianer

Mit ihrem jüngsten Werk kann die Partei der arrivierten Alternativen nur eingefleischte Fans überzeugen

Die Grünen haben es schon schwer: Da veröffentlichen sie, nach all den Turbulenzen um ihr eigentliches Wahlprogramm, ein sogenanntes Kurzprogramm, das ohne großes Theoretisieren, ohne radikalökologisches Brimborium und unter Vermeidung aller möglichen Konfliktpunkte nur noch einmal darstellen soll, daß es sehr viel moralischer sei, die Grünen zu wählen, als irgend eine andere Partei; vor allem aber daß sie nicht weniger regierungsfähig sind als die Konkurrenz. Und was passiert? Alle interessieren sich nur dafür, was in dem famosen, geglätteten Programm nicht drinsteht. Wir natürlich auch.

Was zum Beispiel nicht drinsteht, ist irgend etwas, das einen Liter Benzin mit einem Fünfmarkstück in Verbindung bringen könnte. Kunststück, könnte man sagen: Da die Grünen nach Lage der Dinge am 27. September wohl kaum die absolute Mehrheit erringen werden, wird ihnen nichts anderes übrigbleiben, als zu Gerhard Schröder ins Boot zu steigen. Und der hat längst verkündet, daß mit ihm eine Benzinsteuer nach den Vorstellungen der Grünen nicht zu machen ist. Nur: Wenn das so ist, dann bräuchten die Grünen eigentlich gar kein Programm mehr zu veröffentlichen, denn wenn ihr Wahlergebnis nicht deutlich über zehn Prozent liegt, werden sie es kaum schaffen, gegenüber dem niedersächsischen Industrielobbyisten auch nur einen einzigen Programmpunkt durchzusetzen. Insofern sollte man grüne Programme zur Zeit am besten als Prosa lesen, als utopischen Roman, der beschreibt, wie sich die arrivierten Alternativen die Zukunft vorstellen.

Bedauerlicherweise beherrschen die Autoren grüner Programme im allgemeinen, insbesondere aber des neuesten, dieses Genre kaum. Phantastische Gedanken sucht man in dem vorliegenden Werk "1998-2002. Vier Jahre für einen politischen Neuanfang" vergeblich. Schon Kapitelüberschriften wie "Soziale Gerechtigkeit neu begründen - durch Bildung die Zukunft neu gestalten" oder: "Globale Verantwortung in guter Nachbarschaft" dürften geeignet sein, bis auf hartgesottene Grünenianer jeden Leser abzuschrecken. Wer sich davon nicht von der Lektüre abhalten läßt, stößt auf Sätze wie "Statt blühende Landschaften zu versprechen, wollen wir den mühsamen Weg des Aufbaus in den neuen Bundesländern solidarisch gehen." oder "Ausreichende Mengen an gesunden und regional erzeugten Lebensmitteln lassen sich auch ohne den heutigen Einsatz von Pestiziden und Gentechnik erzeugen." Interessant. Aber: Wer will denn das wissen?

Sämtliche Elemente, die in letzter Zeit Spannung in Veröffentlichungen der Grünen gebracht hatten, wurden diesmal sorgfältig eliminiert. Das betrifft nicht nur die Benzinpreis-Episode, die man diesmal mit Verweis auf den Titel - "1998-2002", heißt es hier ja - einfach weggelassen hat, sondern auch das Kapitel "Bundeswehr in Bosnien", das seit Jahren in jeder Neuerscheinung der grünen Autoren für Gänsehaut sorgte. Mit einem Taschenspielertrick haben sie uns Leser diesmal um das gewalttätige Zwischenspiel gebracht: Egal, ob die Vereinten Nationen das, was unsere Jungs auf dem Balkan machen, "friedensschaffende Maßnahme" nennen, die Grünen nennen es "friedenserhaltende Maßnahme". Und die gehört schon so lange zum Repertoire, daß man diesmal der Meinung war, sie einfach weglassen zu können. Das Nachsehen hat der Leser, der sich durch dreizehn endlose Seiten quält, ohne dafür wenigstens mit einem Mord belohnt zu werden.

Bündnis 90 / Die Grünen: 1998-2002. Vier Jahre für einen politischen Neuanfang. Bonn, 1998. Gratis unter www.gruene.de