Vom atomaren Knall zum ökonomischen Crash

Auf Pakistans Atomtests in der vergangenen Woche folgten Wirtschaftssanktionen und Kapitalflucht. Die Regierung reagierte mit der Verhängung des Ausnahmezustandes

Die Konfusion der offiziellen Stellungnahmen ist perfekt. Nach den pakistanischen Atomtests am Donnerstag und Samstag vergangener Woche - nach Regierungsangaben waren es sechs, was in sogenannten Expertenkreisen bezweifelt wird - ist Rätselraten über die Frage ausgebrochen, ob Pakistan schon über Atomwaffen verfügt. Der Architekt des pakistanischen Atomprogramms, Abdul Qadeer Khan, sagte am Sonntag, Pakistan sei fertig, habe aber bislang noch keine gebaut. "Wenn die Regierung den Befehl dazu gibt, werden wir es tun." Vergangene Woche hatte der Außenminister des Landes noch verkündet, Pakistan habe Atomwaffen. Sowohl Pakistan als auch Indien hatten nach ihren jeweiligen Tests den Status von atomar bewaffneten Staaten beansprucht.

Nach den ersten Nukleartests sprach der pakistanische Premierminister Nawaz Sharif in einer fernsehübertragenen Rede von fünf Detonationen und verband dies mit einem Aufruf an die Nation, den Gürtel enger zu schnallen. "Allah, der Allmächtige, gab uns den Mut und die Entschlossenheit, die Entscheidung für die Ausführung der nuklearen Tests zu treffen." Es folgte ein kleiner Gruß an die Armee, die das militärische Atomprogramm unter Kontrolle hat und wenig Neigung verspürt, den Primat der Politik anzuerkennen: "Ich bin nicht Repräsentant einer feigen friedensliebenden Nation." Und ein Sätzchen für die Patrioten, das die Essenz jeder nationalistischen Rhetorik entblößt: "Nationen geben den Wünschen des Herzens immer den Vorzug vor denen des Magens."

Am Freitag erklärte der pakistanische Präsident Rafiq Tarar den Ausnahmezustand und berief sich dabei auf "Krieg oder äußere Aggression". Suspendiert sind nun unter anderem Versammlungs- und Redefreiheit. Die Entscheidung erfolgte nach Panikverkäufen an der Börse von Karachi und einem Kurssturz auf den tiefsten Stand seit Jahren. In einer Zusatzverordnung zum Ausnahmezustand wurden die ausländischen Devisenkonten eingefroren, am Freitag wurden die Börse und alle Banken geschlossen. Die Vier-Monate-Notstandsverordnung zielt darauf ab, den ökonomischen Crash, der als Resultat der nuklearen Knaller zu erwarten ist, autoritär zu verwalten.

Wie erwartet, hat am Samstag US-Präsident William Clinton die nach den Atomexplosionen verhängten Sanktionen in Kraft gesetzt. Unter anderem wird die ökonomische Hilfe der USA an Pakistan zu großen Teilen gestrichen und der bilaterale Handel weitgehend eingeschränkt. Bei IWF und Weltbank wollen sich die USA für eine Annullierung sämtlicher Kredite an Islamabad stark machen. Auch Japan, der größte Handelspartner Pakistans, hat angekündigt, Kredite einzufrieren.

In einer Pressekonferenz sagte Finanzminister Sartaj Aziz: "Die erste Priorität, die wir haben, ist, die ausländischen Devisenreserven zu sichern, weil wir jeden Dollar brauchen, um unsere militärischen Ansprüche zu erfüllen."

Millionen von pakistanischen Mittelständlern halten Dollarkonten, um sich gegen Inflation und mögliche Abwertung abzusichern. Auch in industriellen Kreisen hielt sich die Begeisterung in Grenzen. "Das ist kein Szenario, das einen Industriellen glücklich machen würde", sagte Shoaib Munir, der Vorsitzender des Sindh Industrial Trading Estate, Pakistans größter Industriezone.

Auch in Indien wächst die Unzufriedenheit. Vor den indischen Tests hatten einige der 18 Alliierten der hinduistisch-nationalistischen Regierungspartei BJP gedroht, die fragile, zu diesem Zeitpunkt gut sechs Wochen alte Regierungsallianz zu demontieren, wenn ihren Forderungen nicht nachgekommen werde. Nach den Tests verstummten diese Stimmen zunächst. Die BJP rief einen indienweiten Feiertag aus: Guava Divas, den Tag des Stolzes, und es ging ein Ruck durchs Land, wie ihn ein Roman Herzog sich nicht schöner hätte wünschen können: Auf den Straßen Jubel, Trubel, Heiterkeit, eine Welle nationalistischen Wahns. Die BJP-Leader nahmen den Mund ziemlich voll. Innenminister Advani, ein Hardliner der BJP, sagte, indische Soldaten, die gegen islamische Separatisten im umstrittenen Kaschmir kämpfen, würden die Infiltratoren nach Pakistan jagen. Und der Tourismusminister forderte, Pakistan solle den Ort und Zeitpunkt des nächsten Krieges benennen.

Nach den ersten pakistanischen Tests fand die Opposition ihre Stimme wieder. Inder Kumar Gujral, der letztes Jahr noch als Premier fungiert hatte, kritisierte die BJP hart: "Durch euren Chauvinismus ist eine Kriegsmentalität geschaffen worden." Vajpayee suchte die Wogen zu glätten: "Ich will jeden Zweifel beseitigen, daß wir Pakistan zerstören wollen", sagte er und versprach, daß Indien nicht als erstes einen Atomangriff starten würde und keine neuen Tests plane. Was ihm nicht schwer fällt: Indien ist bei konventionellen Waffensystemen stärker als Pakistan.

Allein, vor gut zwei Wochen setzte in Indien eine Hitzewelle ein, die Hauptstadt Neu Delhi wird in einer Rekordhitze von 47 Grad Celsius geröstet. Und so tauchte fast automatisch die Frage auf, wie es dazu kommen kann, daß das Land zwar Atombomben herstellen, aber nicht ausreichend Wasser und Elektrizität für die Bevölkerung zur Verfügung stellen kann. Bis zum Sonntag waren wegen der Hitze fast 900 Menschen gestorben - an Hitzschlag, Kreislaufkollaps und extremer Austrocknung.

Und innerhalb der Regierungskoalition ging der Trouble weiter. Der Trinamul Congress, eine Regionalpartei mit Sitz in Kalkutta, wies seine sieben Abgeordneten an, die Parlamentssitzungen auf unbestimmte Zeit zu boykottieren. Und so setzt sich die Erosion der BJP-geführten Allianz fort, ein Prozeß, der durch die Atomexplosionen und die leicht vorhersehbare nationalistische Welle aufgehalten werden sollte. Denn, wie sagte schon Pramod Mahajan, ein alter Kamerad Vajpayees: "Das war kein Nukleartest. Es war ein Nationalismustest."