»Die Täter wurden gezwungen, nach München zu kommen«

Der Abgeordnete Manfred Such saß für Bündnis 90/Die Grünen im Plutonium-Untersuchungsausschuß des Bundestags

Im Wahlkampf 1994 wurden 363 Gramm Plutonium von Moskau nach München geschmuggelt, im Wahlkampf 1998 stellt der Untersuchungsausschuß dazu seine Arbeit ohne greifbare Ergebnisse ein. Sind diese Termine Zufall?

Daß der erste Termin kurz vor der bayerischen Landtagswahl 1994 stattfand, war sicherlich Zufall, aber natürlich hat man diesen Deal für die Wahl politisch genutzt. Er war für die bayerische Regierung und die CDU/CSU - auch hier im Bundeskanzleramt - ein willkommener Anlaß, aus dem, was sie vorher in Sachen "vagabundierendes Nuklearmaterial" vorbereitet hatten, politisches Kapital zu schlagen.

1998 kann man feststellen, daß Herrin des Verfahrens nicht die Opposition war, sondern die Regierung. Für Wahlkampfzwecke wird die Opposition das magere Ergebnis der Aufklärung nur insofern nutzen können, als wir festgestellt haben, daß es der Bundesregierung und den Geheimdiensten gelungen ist, dem Ausschuß wesentliche Untersuchungsvorlagen vorzuenthalten.

Hat sich im Laufe der Untersuchung der Verdacht bestätigt, der Plutoniumschmuggel habe im August 1994 stattgefunden, weil in Bayern und im Bund Wahlkampf war?

Beweise dafür gibt es nicht. Aber es gibt sehr starke Indizien, die darauf hindeuten, daß man gezielt diesen Termin gewählt hat und den Deal auch nur in Deutschland und München machen wollte: Der Plutoniumdeal wurde in Spanien durch V-Leute des Bundesnachrichtendienstes angezettelt. Die Täter hatten keinerlei Interesse, nach Deutschland zu gehen, sie hätten das Geschäft viel sicherer in Spanien oder in Rußland machen können. Auch an irgendeinem anderen Ort in Deutschland wäre es möglich gewesen, aber sie wurden gezwungen, nach München zu kommen. Das deutet sehr stark darauf hin, daß man den Termin der bayerischen Landtagswahlen ausnützen wollte. Beweise gibt es dafür aber nicht, weil wir - und das ist wiederum bezeichnend - die spanische Vorgeschichte so gut wie nicht aufklären konnten.

Wie kooperativ waren die bayerischen Ermittlungsbehörden?

Die bayerische Justiz hat geblockt. Beispielsweise wurde das Verfahren gegen einen wichtigen Kronzeugen - gegen den Beteiligten "Adrian" - so lange verschleppt, bis er schließlich vor dem Ausschuß nicht mehr aussagen mußte. Kurioserweise hat man den Prozeß gegen "Adrian" lange Zeit nicht weitergeführt mit der Begründung, solange der Plutonium-Untersuchungsausschuß tage, lasse man das Verfahren ruhen, um die Ausschuß-Ergebnisse für das Verfahren zu nutzen. Umgekehrt hat "Adrian" erklärt, solange das Verfahren gegen ihn laufe, werde er vor dem Ausschuß nicht aussagen. Da wurde zwischen den Justizbehörden und den Verantwortlichen in der Regierung offenbar ein Spiel getrieben.

Gibt es heute eine Antwort auf die Fragen "Was wußte Schmidbauer?" und "Was wußte Kohl?"

Was sie wußten, konnte ebenfalls nicht bewiesen werden, aber auch da gibt es eine Kuriosität: Schmidbauer hat in dieser Sache wiederholt mit dem Münchener Leitenden Oberstaatsanwalt Meier-Staude telefoniert. Vor dem Ausschuß wollten sich beide Herren an den Inhalt des Gesprächs nicht mehr erinnern. Man muß sich das einmal vorstellen: Ein Oberstaatsanwalt spricht ja in einem Ermittlungsverfahren nicht täglich mit einem Staatsminister. Wenn er dann behauptet, er könne sich an den Inhalt des Gesprächs nicht mehr erinnern, dann ist das schon recht dubios.

Schmidbauer wiederum sagte aus, er habe den Bundeskanzler wiederholt nur "in allgemeiner Form" über das Geschehen in München unterrichtet. Aufgrund dieser "allgemeinen Informationen" hat der Bundeskanzler immerhin an seinen Freund Jelzin einen Brief geschrieben - ziemlich unglaubwürdig.

Könnte sich so etwas wie der Plutoniumschmuggel wiederholen?

Ich glaube, daß die Ermittlungsbehörden vorsichtiger geworden sind. Beim Bayerischen Landeskriminalamt hat es nach dieser Zusammenarbeit mit dem Bundesnachrichtendienst erhebliche Irritationen gegeben, Bayerns Innenminister Beckstein hat gesagt, wenn man das vorher gewußt hätte, wäre man anders mit dem BND umgegangen. Die Ermittlungbeamten, die ehrfurchtsvoll vor den BND-Beamten gestanden hatten und alles glaubten, was man ihnen erzählte, mußten hinterher feststellen, daß sie längst nicht mehr Herren des Verfahrens waren. Nach dieser Erfahrung sind in Zukunft sicher auch die Polizeibehörden vorsichtiger, was den Umgang mit dem BND angeht.

Was würden Sie von folgender These halten: 1994 hat man im Wahlkampf die äußere Bedrohung durch "vagabundierendes Nuklearmaterial" konstruiert; im Wahlkampf 1998 braucht man so etwas nicht mehr, weil man nun eine äußere Bedrohung durch Menschen konstruiert.

Das ist ein Merkmal deutscher Politik der sogenannten Inneren Sicherheit: Wenn neue Gesetze vorbereitet werden, werden sie immer an besonderen Bedrohungsanalysen festgemacht. Das beginnt mit der "Bedrohung aus dem Osten", mit dem der Aufbau der Bereitschaftspolizei-Abteilungen und des Bundesgrenzschutzes begründet wurde; das setzt sich dann fort in der "Bedrohung" durch die Achtundsechziger. Es folgte die "Bedrohung" durch die "Baader-Meinhof-Bande", später durch die RAF, dann ging es weiter mit den "Gefahren duch die Drogen-Mafia", aus der dann das "Organisierte Verbrechen" konstruiert und überzeichnet wurde. Die nächste Stufe war das "vagabundierende Nuklearmaterial", mit dem dem Bundesnachrichtendienst neue Ermittlungsbefugnisse gegeben werden sollten, nachdem der Auslandsgeheimdienst wegen des Zusammenbruchs der Sowjetunion zahlreiche Aufgaben verloren hatte. Immer dann, wenn man in der Bevölkerung Akzeptanz für solche Sachen braucht, werden solche Geschehnisse besonders herausgestellt - unter Vorleistung der Bundesregierung: Anfang 1994 hatte sich ja im Falle des "vagabundierenden Nuklearmaterials" der Staatsminister Schmidbauer besonders hervorgetan. Auf diese Weise findet man Unterstützung für Gesetze, die in der Verbrechensbe-kämpfung und in der Gefahrenabwehr wenig bringen, sondern nur Freiheitsrechte und Bürgerrechte abbauen.