Große Koalition der Polizisten

Zwölf Seiten ist das SPD-Programm zur Inneren Sicherheit lang, eineinhalb das der Union. Der Unterschied ist, daß die SPD mehr Worte braucht, um dasselbe wie die CDU/CSU zu sagen

Was ist der Unterschied zwischen sozialdemokratischen und christdemokratischen Spezialisten für Innere Sicherheit? Wer auf diese Frage keine Antwort weiß, der kann nach der Lektüre der jüngsten Veröffentlichungen beider Parteien immerhin konstatieren, daß die Christdemokraten sich kürzer zu fassen wissen: Was bei der Konkurrenz von der SPD unter dem Titel "Positionspapier zur Inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland - Den Rechtsstaat stärken, den Inneren Frieden wahren, die Innere Sicherheit gewährleisten" zwölf langatmige Seiten einnimmt, dafür brauchen die Konservativen gerade mal eineinhalb, überschrieben "Der starke Staat schützt die Bürger. Null Toleranz bei Rechtsbruch und Gewalt". Ist das wirklich der einzige Unterschied?

Hat nicht Schröders designierter Kanther-Nachfolger Otto Schily eine der Forderungen aus dem Unionsprogramm - die nach der Heraufsetzung der Höchststrafe im Jugendstrafrecht von zehn auf 15 Jahre - als "monströs" gegeißelt? Hat nicht umgekehrt CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble die SPD als "Schaf im Wolfspelz" bezeichnet, sprach nicht Bundesinnenminister Manfred Kanther von einem "Wahlkampfkonzert ertappter Sünder" und Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber von einem "Ausbund an Heuchelei"?

Wohl wahr. Doch während das Unionspapier Rot-Grün noch vorwirft, mit "der Entkriminalisierung sog. 'Bagatelldelikte'" Hemmschwellen zu senken, Rechtsbrecher zu ermutigen und gesetzestreue Bürger zu entmutigen, fiel den konservativen Sicherheitspolitikern nach der Veröffentlichung der SPD-Positionen vergangene Woche nur noch ein Vorwurf ein: der des Plagiats. Das sei der "charakterloseste Wahlkampf", den er je erlebt habe, empörte sich Schäuble: "Im Gegensatz zur SPD waren wir schon immer für den starken Rechtsstaat". Nun ist also auch die SPD für einen starken Staat nach Schäubles Vorstellungen. Zum Beispiel bei dem von Schily so wortgewaltig angeprangerten Umgang mit jugendlichen Straftätern. In der Tat will sich die SPD zumindest vorläufig noch mit einer Höchststrafe von zehn Jahren Jugendhaft zufriedengeben. Doch die Forderung der Union: "In schweren Fällen kann auf die Unterbringung in geschlossenen Heimen nicht verzichtet werden" haben sich die Sozialdemokraten längst zueigen gemacht: "Der vollständige Verzicht auf die geschlossene Heimunterbringung ist angesichts der neueren Kriminalitätsentwicklung problematisch" lautet der entsprechende Passus im SPD-Papier. Fordert die CSU eine "unmißverständliche strafrechtliche Sanktion", so verlangen die Sozialdemokraten eine "schnelle und spürbare Reaktion von Polizei und Justiz".

Doch bei der SPD ist das natürlich nicht alles. Sein Programm unterscheide sich von dem der Union vor allem dadurch, beteuert Schily, daß bei der Konkurrenz das Thema Prävention kaum vorkomme. Stimmt: Bei CDU und CSU heißt Prävention "Vorbeugung", und die soll vor allem durch "wertevermittelnde Erziehung in Familien und Schulen, durch Freizeitangebote und Betreuung Jugendlicher" stattfinden. Im Schily-Papier heißt es fast wortgleich: "Familie und Schulen stehen bei der Prävention an erster Stelle." Denn schuld an der allgemeinen Verwahrlosung ist, da sind sich die Volksparteien einig, der Werteverlust. Und einig sind sie sich auch, woher der kommt: "Die Art der Darstellung von Verbrechen in den elektronischen Medien", weiß die SPD, spiele "eine entscheidende Rolle." Die Konsequenz zieht die Union: "Wir wollen gewaltverherrlichenden und abstoßenden Darstellungen in den Medien und im Internet scharf entgegentreten." Scharf entgegentreten will Schröders Innenminister auch dem Kriminellen per se, nämlich dem kriminellen Ausländer: "Bei straffälligen Ausländern gerade im Bereich der Organisierten Kriminalität müssen aufenthaltsbeendende Maßnahmen in enger Zusammenarbeit der Ausländer-, Justiz- und Polizeibehörden unverzüglich getroffen und vollzogen werden." Besser kann das auch die Union nicht formulieren: "Gegen kriminelle Ausländer, die sich illegal oder kurzfristig in Deutschland aufhalten, werden wir konsequent vorgehen." Den innovativen Vorschlag, wie mit dem Problem umzugehen sei, daß die Statistik die These von der Ausländerkriminalität vielleicht gar nicht hergibt, den lieferte wiederum die SPD: "In den Deliktsbereichen, die von ausländischen Straftätern dominiert werden, sind die Maßnahmen der Strafverfolgung zu intensivieren." Das Rezept sollte Otto Schily sich patentieren lassen: Wir verfolgen gezielt Ausländer, und wenn wir dann tatsächlich auch Ausländer erwischen, machen wir auch den nächsten Wahlkampf wieder mit dem Thema Ausländerkriminalität.

Doch so viel gute Ideen hat auch der ehemalige RAF-Anwalt nicht, um damit die gut zehn Seiten zu füllen, die das SPD-Programm länger ist als das der Union. Deshalb füllen die Autoren sie zum einen mit langen Aufzählungen, wer alles zusammenarbeiten müsse, damit Deutschland so aussieht, wie Schily & Genossen es sich vorstellen: "Die Vernetzung zwischen Institutionen (z.B. Jugendamt, Sozialamt, Ordnungsamt, Justiz, caritative Einrichtungen), Handel und Gewerbe und Bürgerinnen und Bürgern im Stadtteil oder der Gemeinde" soll da gefördert werden, "Polizei, Justiz, Ordnungs-, Jugend-, Sozial- und Ausländerämter, Bundesgrenzschutz, Verkehrsbetriebe usw. müssen durch Zielabsprachen ihre Kräfte in Sicherheits-/Ordnungspartnerschaften bündeln, um die objektive und subjektive Sicherheit in den Städten und Gemeinden zu bündeln." Man kann nur mutmaßen, was sich hinter dem "usw." verbirgt: Die Müllabfuhr? Die Heilsarmee? Die Bundeswehr? Im Bündel gibt's alles billiger. Zum anderen werden die Autoren des SPD-Papiers nicht müde, ihre gute Absicht zu betonen - von der Polizei, die "Sensibilität gegenüber sozial Benachteiligten und Verständnis für die Situation ethnischer Minderheiten" zeigen soll, über die Feststellung, daß Umweltdelikte "keine Kavaliersdelikte" seien, bis hin zum "Ansehen der hier oft bereits seit Jahrzehnten lebenden ausländischen Wohnbevölkerung", das man nur retten könne, wenn "die Ausweisungs- und Abschiebungsmöglichkeiten für ausländische Straftäter konsequent genutzt werden". Dann doch lieber CDU. Die sagt's wenigstens deutlich: "Wer unser Gastrecht mißbraucht, muß unser Land verlassen und wissen, daß er nicht wiederkommen darf.