Außenpolitische Kontinuität garantiert

Am Kosovo-Konflikt wird Rot-Grün nicht scheitern. Zur Not stimmen eben auch die Bündnisgrünen einem Nato-Schlag ohne UN-Mandat zu

Bloß keinen Fehlstart: Die erste Regierungskrise schon vor Augen, und das, bevor sie überhaupt gebildet ist, nahm der Fraktionschef der Bündnisgrünen seinen potentiellen Widersacher einfach mit: Der Vorzeigelinke Ludger Volmer saß neben Joseph Fischer im Flieger, als der grüne Außenminister in spe Ende letzter Woche gemeinsam mit Gerhard Schröder nach Washington flog.

Der Streit um die rechtliche Grundlage für einen Nato-Einsatz im Kosovo hatte Fischer vorsichtig gemacht: Um eine innerparteiliche Krise zu vermeiden, wollte er bei seinem ersten Auslandseinsatz auf die Begleitung eines Vertreters des linken Flügels nicht verzichten. Die möglichen Gegner seiner künftigen Außenpolitik sollten frühzeitig eingebunden werden.

Volmer tat ihm den Gefallen. Parteitagsbeschlüsse hin, völkerrechtliche Legitimität her, der ausgewiesene Antimilitarist ließ plötzlich alles wieder offen, was bei den Grünen bis dahin gegolten hatte: "Erst bei der Auswertung dieser Reise werden wir über die Frage der Tragfähigkeit des bestehenden Kosovo-Mandats entscheiden."

Auf einmal galt gar nichts mehr: Volmer ordnete sich mit seiner Forderung nach Neubewertung der Ende September verabschiedeten UN-Resolution 1199 nicht nur bereitwillig der von Fischer eingeforderten Disziplin unter, sondern stellte mal eben sämtliche Beschlüsse, die die Partei zu Militäreinsätzen gefaßt hat, zur Disposition. Alles nur, um Fischers Ansehen nicht zu gefährden? Der Parteifrieden hat seinen Preis, und im Zweifelsfall - das zeigen die grünen Regierungsvorbereitungen - könnte der im Kriegeintritt enden.

Dabei herrschte bei den Grünen nur zwei Tage zuvor noch breite Übereinstimmung, was die Haltung zu einem Eingreifen der Nato im Kosovo betraf. Bei allem Streit um militärische Einsätze waren sich Linke und Realos zumindest darin einig, daß ein klares UN-Mandat vorliegen müsse, um Luftangriffen auf serbische Stellungen zuzustimmen.

Noch Anfang des Monats konnte in der Kosovo-Resolution des Sicherheitsrats kein Grüner die geforderte, zuletzt auf dem Parteitag in Magdeburg beschlossene "gesicherte Rechtsgrundlage" sehen. Während Wehrminister Volker Rühe (CDU) und seine potentiellen Nachfolger aus der SPD, Günther Verheugen und Rudolf Scharping, das Mandat schon damals als ausreichend bewerteten, blieben die Grünen bei ihren Vorbehalten.

Zu Recht: In Punkt 16 der Resolution heißt es ausdrücklich, daß der Sicherheitsrat "weitere Aktionen und zusätzliche Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit in der Region" beschließt, "sollten die konkreten Forderungen dieser Resolution nicht erfüllt werden". Da Milosevic der Forderung nach "umgehendem" Rückzug seiner Truppen aus dem Kosovo nicht nachgekommen sei - so der Westen -, wäre jetzt eigentlich der Sicherheitsrat wieder am Zug, um über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Doch weder die USA, die das Gros der Luftflotte aufbringt, noch die alte Bundesregierung fühlen sich an einen erneuten Beschluß der Weltorganisation gebunden. Unter dem Stichwort "humanitäre Intervention" erteilen sie dem Nato-Einsatz ihre eigene Legitimation.

Was bei immer mehr Grünen auf Anklang stößt: So schwenkte auch der künftige Fraktionschef Rezzo Schlauch am Wochenende auf die von Volmer vorgegebene Linie ein. Dem Spiegel versicherte er, daß es selbst im Falle eines Militäreinsatzes ohne ausdrückliches UN-Mandat "keinen Zoff geben" werde. Der eine oder andere Linke werde dem Einsatz zwar nicht zustimmen, "aber dem Fischer werden keine Prügel zwischen die Beine geworfen".

Alle auf Linie. Was bei Schlauch, dem Nachfolger auf Fischers Fraktionsposten, nicht verwundern mag, überrascht bei Angelika Beer denn doch. Die wie Volmer zum linken Flügel der Partei gerechnete Wehrexpertin der Fraktion ordnete sich stillschweigend der Fischer-Doktrin unter: Außenpolitische Glaubwürdigkeit vor grüner Programmatik. "Wir bestehen grundsätzlich auf einem UN-Mandat, aber es wird ganz sicher nicht in der Zuspitzung dieser Situation und der Verantwortung auch für die Flüchtlinge Störfeuer geben", sagte sie letzte Woche im Deutschlandfunk.

Worauf die SPD programmatisch immerhin zehn Jahre hingearbeitet hat, dafür scheinen die Grünen nur wenige Wochen zu benötigen: der Absegnung von Bundeswehr-Kampfeinsätzen ohne UN-Mandat. Mit der von Verheugen übernommenen Position, daß die "Zuspitzung dieser Situation" eine besondere Entscheidung nötig machen könnte, hält sich auch Beer den Weg offen zur Aushebelung der eigenen Militäreinsatz-Beschlüsse.

Die waren - wie der Bosnien-Entscheid auf dem Magdeburger Parteitag im März zeigt - bislang auch deshalb so umstritten, weil die Grünen selbst "friedenserzwingenden" Einsätzen nach Kapitel 7 der UN-Charta reserviert gegenüberstanden. Der grüneninterne Streit um den Einsatz in Bosnien entbrannte schließlich deshalb, weil dort nicht die UN, sondern die Nato - wenn auch mit einem Mandat der UN - Regie führte.

Wenn die Grünen nun dem von der Nato-Führung eingeforderten "activation request" zustimmen, wäre es mit der im Wahlprogramm verkündeten "verstärkten Unterstützung von friedenserhaltenden Einsätzen der UN" vorerst vorbei. Den Satz "Bündnis90/Die Grünen tragen militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze nicht mit" könnten sich die einstigen Pazifisten noch vor dem Regierungsantritt aus dem Programmheft streichen. Für Kontinuität wäre gesorgt: Nach der Zustimmung grüner Politiker zu den Nato-Luftbombardements auf serbische Stellungen im Bosnien-Krieg 1995 wären sie auch drei Jahre später wieder dabei, wenn es heißt: "Deutschland beschließt den Kriegseintritt".

Auch Fischer braucht sich indes um die außenpolitische Kontinuität seines Amts keine Sorgen zu machen. Selbst wenn bei einer Abstimmung über den Nato-Einsatz der eine oder die andere aus der Fraktion gegen die Bereitstellung der 14 deutschen Tornados stimmen sollte, hat er bereits im Vorfeld zumindest im eigenen Haus für Verläßlichkeit gesorgt.

Der Führungsstab für seine künftigen Tätigkeiten im Auswärtigen Amt ist von Fischer schon weitestgehend zusammengestellt. Günther Verheugen soll, wenn er nicht doch noch Verteidigungsminister wird, die Stelle des Parlamentarischen Staatssekretärs übernehmen. Politischer Direktor bleibt der schon unter Kinkel amtierende Wolfgang Ischinger, deutscher Chefunterhändler bei den Verhandlungen um den Daytoner Friedensvertrag. Ischinger wie Verheugen sind bei Hans-Dietrich Genscher in die Lehre gegangen, für Kontinuität im Auswärtigen Amt ist also gesorgt. Weiterer Vorteil von Fischers neuer Führungscrew: Keiner der künftigen Außenpolitik-Macher besitzt ein Parteibuch der Grünen.