Hussein in the box

Die Begeisterung über den Angriff durch USA und Großbritannien hält sich in Grenzen: Frankreich und Rußland wollen endlich wieder Geschäfte mit Saddam machen. Solange es ihn noch gibt.

Einen Golfkrieg zu gewinnen ist gar nicht so schwer. Saddam Hussein macht vor, wie es geht: Sein Land habe "mit Gottes Hilfe den Sieg errungen", erklärte der irakische Präsident am Sonntag, nachdem USA und Großbritannien ihren viertägigen Raketenbeschuß beendet hatten

Vorerst zumindest. Denn obwohl man sich in London und Washington überzeugt gab, daß der Kriegseinsatz gegen den Irak ein Erfolg war, betonte US-Außenministerin Madeleine Albright sogleich, die Option weiterer Militäraktionen werde offengehalten - wenn Hussein weiterhin die Inspektionsteams der Vereinten Nationen (UN) bei ihrer Suche nach bakteriologischen oder chemischen Waffen im Irak behindere.

Dabei hört es sich in den Berichten aus dem Pentagon ganz so an, als sei das mühsame Ringen der Waffeninspekteure überflüssig. 97 konkrete Ziele hatten die US-amerikanischen und britischen Militärs ins Visier genommen, wie die Washington Post unter Berufung auf den Pentagon-Chef William Cohen berichtete: alles Anlagen, in denen die irakische Führung an ihrem neuen Raketenprogramm arbeite oder bakteriologische und chemische Kampfstoffe produziere. Ein knappes Drittel davon sei bei den Angriffen zerstört oder ernsthaft beschädigt worden "Von Beginn an haben wir darauf geachtet, uns realistische Ziele zu setzen", zitiert die Washington Post den Verteidigungsminister. Aber man sei in Washington bemüht, "die Ergebnisse nicht zu übertreiben oder überzubewerten, während Geheimdienstanalysten noch die ersten Daten auswerten". Die Begeisterung über die eigene Militäraktion ist aber kaum zu übersehen: "Gute Arbeit", befand der britische Premierminister Tony Blair, und Cohen stellte fest, das irakische Raketenentwicklungsprogramm sei um mindestens ein Jahr zurückgeworfen worden. Militärisch mag der Beschuß des Irak mit Cruise Missiles für USA und Großbritannien noch so erfolgreich gewesen sein, auf diplomatischer Ebene war er es nicht. Die Proteste in Palästina und Damaskus, wo Tausende auf die Straße gingen, um gegen den Angriff zu demonstrieren, US-amerikanische, britische und israelische Fahnen zu verbrennen sowie einen arabischen Rachefeldzug gegen Israel fordern, sind fast schon "normal". Und daß die Arabischen Staaten protestieren würden, war ebenfalls zu erwarten. Neu ist aber, daß sich die anglo-amerikanische Militärmacht innerhalb der UN in eine Minderheitenrolle gedrängt sieht. Obwohl sie sich darauf beruft, mit ihren Raketenangriffen der Weltorganisation Geltung zu verschaffen.

Weder UN-Generalsekretär Kofi Annan noch die ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat mochten das ordnungspolitische Engagement von Clinton und Blair unterstützen. Statt dessen zog Rußland seine diplomatischen Vertreter aus Washington und London ab und Ministerpräsident Jewgenij Primakow beschwerte sich telefonisch bei der US-Regierung. Auch Frankreich und China zeigten ihren Mißmut und stellten vor allem die Linie von Richard Butler, dem australischen Chef der waffeninspizierenden UN Special Commission (Unscom), in Frage. Der französische Präsident Jacques Chirac fand, es sei nicht ausreichend auf eine "friedliche Konfliktlösung" hingearbeitet worden. Die Gegner der britischen und US-amerikanischen Geimeinschaftsaktion wollen sich lieber mit dem Irak einigen. Schließlich haben französische wie russische Firmen bereits Handelsverträge mit dem Irak geschlossen, von denen sie erst bei Aufhebung der Wirtschaftssanktionen profitieren können.

Ein übereifriger und kompromißloser Unscom-Chef, der zudem noch den USA und Großbritannien nahesteht, stört dabei, und deswegen forderte Chirac am Sonntag - kaum, daß die Beendigung des Angriffs gegen den Irak bekannt worden war -, ein "moderater" Ton müsse angeschlagen werden: Falls die Inspektionen überhaupt weitergeführt werden sollten, dann auf keinen Fall unter der Regie Butlers. Auch die Sanktionspolitik, die es dem Irak verbietet, Waffen oder Waffenteile im Ausland zu kaufen und ihm nur den begrenzten Ölverkauf gestattet, müsse nach Ansicht des französischen Präsidenten überprüft werden.

Rußland, China und Irak fordern das schon lange, und in den vergangenen Monaten hat der Irak mehrmals versucht, eigenmächtig "normale" Verhältnisse zu deklarieren. Erst am Sonnabend - als die vierte Angriffswelle der USA und Großbritanniens gegen den Irak lief - erklärte der Hussein-Vize Tahin Jassan Ramadan, die Inspektionen seien abgeschlossen.

Rußland und Frankreich bestärken Bagdad darin, weil sie verhindern wollen, daß die USA im Mittleren Osten Einfluß gewinnen. Traditionell zählen sowohl Frankreich wie Rußland die Region zu ihrem Einflußbereich. Bis zum Überfall auf Kuwait unterhielten beide Länder auch intensive wirtschaftliche Kontakte zur irakischen Regionalmacht, die ihrerseits ein hohes Erdölaufkommen anbieten kann.

Mit den jüngsten Luftangriffen hat sich aber offensichtlich auch die US-Taktik im Irak geändert: Im Süden des Landes wurden zwei Millionen Flugblätter in arabischer Sprache über irakischen Armeeeinheiten abgeworfen mit der Warnung: "Irakische Soldaten, Achtung, dies kann euer Leben retten! Bleibt in euren Positionen. Nur auf solche Einheiten, die das Bagdader Regime unterstützen, wurde gezielt." Offensichtlich setzt Washington auf eine Spaltung der Armee - zwischen enttäuschten und schlechtbezahlten Einheiten und Husseins Elitetruppe "Republikanische Garden". Clinton kündigte am Sonntag bereits eine Unterstützung potentieller Putschisten an: "Wir sind bereit, einer neuen Führung in Bagdad zu helfen."

Zwei bis drei Wochen vorher hatte man sich noch mit Exiloppositionellen in London zusammengesetzt, aber mit den irakischen Oppositionsgruppen hat die USA so ihre Probleme. Keine davon - auch nicht der maßgeblich vom CIA aufgebaute Irakische Nationalkongreß - hatte man für fähig gehalten, den Irak nach einem Sturz Husseins zusammenzuhalten. Und eine Destabilisierung durch Separation der Kurden im Norden oder der Schiiten im Süden lag nicht im Interesse Washingtons. Da war ein ohnmächtiger Saddam, ein "Hussein in the box" (Albright), das kleinere Übel.

Spätestens in der Woche vor der - ausgerechnet nach dem Beinamen von Hitlers Afrikavorkämpfer Erwin Rommel benannten - "Operation Wüstenfuchs" gab es Hinweise, daß Teile der Armee sich einen Sturz Husseins vorstellen könnten. Das Angebot Clintons und der ausdrückliche Hinweis, es seien nur Rüstungsanlagen und die Hussein-treuen "Republikanischen Garden", nicht aber die reguläre Truppen angegriffen worden, deuten jedenfalls in eine solche Richtung.

Nach einem Bericht der Washington Post hat der demokratische Senator Joseph Biden derartige Pläne bereits im Außenausschuß bestätigt. Husseins baldiges Ende sei "nicht nur eine vage Hoffnung", wird er zitiert.

In Bagdad hat man das längst auch bemerkt. Für Husseins Eliteeinheiten und den Geheimdienst Muhhabarat gilt nach Angaben irakischer Oppositioneller bereits seit Mitte November Alarmstufe G - die höchste überhaupt. Im Anschluß an US-Luftangriffe, hieß es damals, rechne das Regime mit Unruhen und Riots.

Während der jüngsten Bombardierung lieferte sich in Bagdad tatsächlich eine "Organisation der islamischen Aktion" Gefechte mit den "Republikanischen Garden". Die etwa 100 Islamisten waren mit Panzern angerückt, um einen TV-Sender einzunehmen, scheiterten aber.