Deutschland und der Krieg der USA

Saddam muß nicht mehr Hitler sein

Die Bettlaken wurden dieses Mal nicht aus dem Schrank geholt; auf den Straßen drängten sich nur die, die noch Weihnachtsgeschenke brauchten, und auch das Feuilleton war gerade anderweitig mit deutscher Identitätsstiftung beschäftigt: Die Angriffe der USA und Großbritanniens auf den Irak haben in der BRD kaum mehr ausgelöst als irgendein anderer Waffengang auf der Welt. Die Friedensbewegung, die 1991 gegen die "Operation Wüstensturm" noch einmal Hunderttausende in Deutschland auf die Beine brachte, ist endgültig erstarrt.

Das ist an sich nicht bedauerlich: Gerade der Protest gegen den Golfkrieg hatte die antiamerikanische und deutschnationale Prägung großer Teile der Friedensbewegung noch einmal deutlich gemacht. Das Mitleid mit dem "irakischen Volk" war oft eng verkoppelt mit der selbstmitleidigen Erinnerung an die antinazistischen Bombardements der Alliierten auf Dresden und Hamburg; die Solidarität mit den Opfern der US-amerikanischen Angriffe ließ sich bisweilen kaum unterscheiden von der antizionistisch verbrämten Aggression gegen Israel.

Schon in den frühen achtziger Jahren war die deutsche Friedensbewegung stets dann besonders erfolgreich, wenn sie in Flugblättern und mit Aktionen gegen die USA als "Besatzungsmacht" agitierte und die nationale Souveränität Deutschlands zum politischen Tagesziel erklärte. Obwohl sie mit ihren Kampagnen gegen Atombewaffnung, Nato-Doppelbeschluß und schließlich den Golfkrieg im Widerspruch zur offiziellen deutschen Politik stand, war sie insgesamt keine oppositionelle Kraft. Mit der konsequenten Ausblendung der nazistischen deutschen Geschichte und der Interpretation der bundesrepublikanischen Nachkriegshistorie als Opfergeschichte einer vom US-Imperialismus unterdrückten Nation hat sie nicht nur ihre eigene Niederlage als Anti-Kriegsbewegung befördert, sondern auf ihre Weise dazu beigetragen, daß Deutschland zu dem wurde, was es heute ist: Ein zunehmend selbstbewußter, aggressiver Staat, der für künftige Machtkämpfe keine Einschränkungen mehr hinnehmen möchte.

Während die Friedensbewegung von einst in Ermangelung einer Strategie, die den neuen Verhältnissen hätte Rechnung tragen können, im gesellschaftlichen Mainstream aufgegangen ist, war für die bundesrepublikanischen Kriegstreiber von 1991 der neue Golfkrieg aus anderem Grund uninteressant: Sie haben ihr Ziel, Krieg als Mittel der Politik auch in Deutschland wieder en vogue erscheinen zu lassen, längst erreicht. Saddam muß heute nicht mehr Hitler sein, damit ein Militärschlag gegen den Irak legitim erscheint. "Gerechte Kriege" sind inzwischen weitaus billiger zu haben. Wenn es den außenpolitischen Interessen nützt, genügt schon der Verstoß gegen eine Uno-Resolution.

Die neue Bundesregierung, die von Gegnern und Befürwortern des Golfkriegs von 1991 unterstützt wird, steht heute nur in der zweiten Reihe der Unterstützer des anglo-amerikanischen Militärschlags. Sie hat, auch wenn sie in Treue fest zur Nato steht, andere Prioritäten als die USA, und sie verfolgt im arabischen Raum auch nach wie vor andere Interessen. Anders als 1991 haben die USA ihren Großangriff jetzt offen unter Umgehung der Uno und damit des Völkerrechts geplant und durchgeführt. Die Angriffe sind ein Test dafür, wie eine neue Weltordnung funktioniert, in der es unstrittig nur noch eine militärische Weltmacht gibt.

Daß die Angriffe auf den Irak "erfolgreich" waren, klingt wie eine Beschwörungsformel. Tatsächlich bleiben neben Leichen und Bombenkratern wohl vor allem beschädigte außenpolitische Beziehungen zu Rußland, China und den arabischen Staaten zurück, die den Angriffen zwar militärisch nichts entgegenzusetzen haben, aber auch nicht bereit sind, die Rolle der USA als zunehmend eigenmächtiger agierendem Weltpolizisten hinzunehmen. Deutschland steht jetzt zusammen mit anderen europäischen Staaten als verständiger Gesprächs- und internationaler Kooperationspartner in Hab-Acht-Stellung - gerne bereit, auf Kosten der USA außenpolitisch Punkte zu sammeln, auch wenn den Bonner Politikern, angesichts des Fehlens realer Handlungsmöglichkeiten, offensichtlich noch nicht ganz klar ist, wie sie vorgehen sollen.

Die Bundesregierung hat Saddam Hussein zwar die "Verantwortung" für die Angriffe zugewiesen; Politiker der Koalitionsfraktionen und einzelne Minister äußerten sich jedoch kritischer und forderten in bemerkenswerter Übereinstimmung zu den Kommentatoren der FAZ eine "politische" Lösung. Das signalisiert ihr Bemühen um ein eigenständiges Profil. Ein Bemühen, das insofern von Ratlosigkeit geprägt ist, als die deutsche Führung - auch für den Fall, daß der US-Regierung ihr Vorstoß weniger schadet als erhofft - kein Risiko eingehen will. Noch fühlt sich Deutschland zu schwach, um anders als opportunistisch zu handeln.