Krieg für den Weltmarkt

Richtig gut verstanden haben sich Eritrea und Äthiopien nie. Aber zur Zeit bombardieren sich beide Staaten gegenseitig

Das arme Afrika ist wieder mal reicher geworden: und zwar um eine kriegerische Auseinandersetzung. Nach den Berichten aus den umkämpften Gebieten an der Grenze von Eritrea und Äthiopien, findet in der ostafrikanischen Region ein Gemetzel statt. Die Kriegskorrespondenten der Nachrichtenagenturen Reuters und AP berichten von gegenseitigen Bombardements: Äthiopische Flugzeuge hätten in der vergangenen Woche über einem Flüchtlingslager in Eritrea Bomben abgeworfen. Gleichzeitig hieß es aus der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba, Militärmaschinen aus Eritrea hätten die nordäthiopische Stadt Adigrat aus der Luft angegriffen.

Bis zu einer halben Million Soldaten stehen sich nach Schätzungen am ostafrikanischen Horn gegenüber - die Washington Post vermutet auf jeder Seite mindestens 200.000 Soldaten einsatzbereit. Und die sind mit allem ausgerüstet, was eine moderne Armee braucht, um möglichst viel Schaden anzurichten: Panzer, Artillerie und Kampfflugzeuge. Die Regierung Eritreas meldete Mitte der vergangenen Woche, rund 1.500 Angehörige ihrer Armee seien bei den Kämpfen seit Anfang Februar bereits umgekommen. Aber zu einer richtig modernen Armee gehört schließlich mehr als gut gefüllte Waffenarsenale, und so meint die Washington Post, "die am deutlichsten sichtbare Front" sei die der Public Relations. Wegen der widersprüchlichen Angaben beider Seiten sei nur schwer einschätzbar, was in der Konfliktregion tatsächlich vor sich gehe.

Die gemeinsame Grenze von Eritrea und Äthiopien ist über 1.000 Kilometer lang, etwa sieben Zehntel davon sollen mit Gräben und Stellungen befestigt sein. Denn zwischen den beiden Nachbarländern gibt es schon länger Konflikte um den Grenzverlauf - seit Eritrea im Mai 1993 seine Unabhängigkeit von Äthiopien erklärte. Mit der von der eritreischen Bevölkerung mit großer Mehrheit in einem Referendum geforderten Abspaltung verlor das rund 55 Millionen Einwohner zählende Äthiopien seine beiden wichtigsten Hafenstädte an den neuen Staat.

Fast der gesamte Handel musste fortan durch das neue Nachbarland abgewickelt werden. Der äthiopische Kaffee-Export z. B. wurde von Eritrea in der bis 1997 gemeinsam gehüteten Währung Birr bezahlt, während das kleine Land selbst dafür auf dem Weltmarkt begehrte Devisen einstrich. In Äthiopien betrachtet man Eritrea deshalb als "Parasiten", der an allen Geschäften Äthiopiens kräftig mitverdiene.

Eritrea hat sich seit seiner Unabhängigkeit aber nicht nur mit Äthiopien, sondern auch mit allen anderen Nachbarstaaten Ärger eingehandelt. Mit Jemen wegen einem öden Inselarchipel im Indischen Ozean und mit dem im Südosten angrenzenden Djibouti wegen der gemeinsamen Grenze. Mit dem islamistischen Sudan versteht man sich ohnehin nicht.

Die eritreische Außenpolitik scheint von einer Art Verfolgungswahn geleitet zu sein. In der Führungsebene des Landes vergleicht man den eigenen Staat mit Israel: Eritrea sei klein, heißt es, und könne eben nur überleben, wenn es schlagkräftig sei. Entsprechend ist die militärische Ausbildung für Männer und Frauen über 18 Jahren obligatorisch. Gleichzeitig begründet die Führung in der Hauptstadt Asmara ihren autoritären Regierungsstil nach innen volksgemeinschaftlich: Man sei sich in Eritrea so einig, dass es gar keine anderen politischen Bewegungen neben der regierenden brauche. Präsident Isaias Afwerki lehnte einmal die Zulassung anderer Parteien mit dem Argument ab, diese hätten sowieso kein ernst zu nehmendes politisches Programm.

Die nicht gerade konfliktvermeidende Außenpolitik könnte dem kleinen Staat aber nun zum Verhängnis werden. Ein westlicher Diplomat schätzt, es dürfte ein Ziel der äthiopischen Truppen sein, die militärische Stärke und damit das Bedrohungspotential Eritreas entscheidend zu begrenzen und damit auch am unabhängigen Status des Nachbarlandes zu rütteln. Selome Tadesse, die offizielle Sprecherin der Regierung in Addis Abeba äußerte nach dem Beginn der jüngsten Kampfhandlungen Anfang Februar gar, Ziel der äthiopischen Streitkräfte sei es, "den Stützpunkt in Badme zurückzuerobern und die Armee Eritreas zu zerstören".

Das sogenannte Badme-Dreieck, das bis dahin auf der äthiopischen Seite der gemeinsamen Grenze lag, war im Mai des vergangenen Jahres von Einheiten der eritreischen Armee besetzt worden. In den zweiwöchigen Kämpfen um das recht unfruchtbare und an Bodenschätzen arme, aber dennoch umstrittene Gebiet kamen mehr als tausend Menschen ums Leben. Und schon damals hatte der äthiopische Ministerpräsident Meles Zenawi seinem ehemaligen Verbündeten Afwerki angedroht, "Eritrea eine Lektion zu erteilen", sollte es sich nicht aus der etwa 400 Quadratkilometer umfassenden Region zurückziehen.

Insbesondere in den USA zeigt man sich zur Zeit besorgt. US-Präsident William Clinton forderte eine sofortige Einstellung der Kämpfe. In den Monaten zuvor hatte sich bereits sein ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater Tony Lake um eine Verhandlungslösung bemüht: Lake fuhr ein halbes Dutzend Mal vergeblich in die Krisenregion, um zu vermitteln. Auch im vergangenen Jahr gehörte die Clinton-Administration zu einer der ersten Regierungen, die sich zusammen mit Ruanda in einer Initiative für eine Beilegung des Konfliktes stark machte. Allerdings erfolglos.

Die USA pflegt traditionell guten Kontakt sowohl zu Afwerki wie zu Zenawi. Schließlich hatten bis 1991 die von Afwerki angeführte Eritreische Volksbefreiungsfront und die Tigraische Volksbefreiungsfront Zenawis gemeinsam gegen das nominalkommunistische Regime von Mengistu Haile Mariam in Äthiopien gekämpft und waren sich dabei der US-Unterstützung sicher gewesen. Aber auch nach dem Sturz Mengistus im Mai 1991 und selbst nach der Abspaltung Eritreas zwei Jahre später galten beide Seiten den USA noch als relativ verlässliche Basen im Kampf gegen den Islamismus in der Region - hauptsächlich gerichtet gegen Sudan, das im Westen an beide Staaten angrenzt.

Mit dem neu aufgeflammten Konflikt ist diese strategische Politik der USA in Nordostafrika jedoch offensichtlich gescheitert: Äthiopien hat alle Vorsicht gegenüber der islamistischen Regierung in Khartum aufgegeben. Der eritreische Präsident Afwerki arbeitet zwar nicht mit dem Sudan zusammen, ist dafür aber schon mehrere Male bei seinem libyschen Amtskollegen Muammar al-Gaddhafi gewesen, der immer dann aufgesucht wird, wenn man Waffen - oder das Geld dafür - benötigt. In Washington gilt Libyen aber nicht als annehmbare Alternative zum Sudan.

Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen werden nun die Vorbereitungen für ein Waffenembargo gegen beide Länder getroffen. Denn bisher sind alle Friedensinitiativen - die US-amerikanisch-ruandischen sowie die der Organisation für Afrikanische Einheit - gescheitert. Vor Verhandlungsbeginn war jeweils der Rückzug Eritreas aus dem Badme-Dreieck gefordert worden, die Regierung Afwerkis ist darauf bis heute nicht eingegangen. Deshalb sieht sich Äthiopien im Recht, zu den Waffen zu greifen und fordert zugleich Sanktionen der sogenannten Internationalen Gemeinschaft gegen den nördlichen Nachbarn.

Die Truppen Addis Abebas dürften nun wohl versuchen, die Front an der gemeinsamen Grenze zu durchbrechen, um auf die eritreische Hauptstadt Asmara zu marschieren und Eritrea damit zu schwächen. Asmara liegt nur rund 100 Kilometer von der Grenze entfernt.

Außerdem wird spekuliert, dass Äthiopien gerne den südlichen eritreischen Hafen Assab mit seiner großen Raffinerie-Anlage annektieren würde. Schließlich würde somit wieder ein eigener Zugang zum Weltmarkt gesichert. Die äthiopische Führung bestreitet jedoch, territoriale Ansprüche an den Nachbarstaat zu haben. Und nahe der Küste wurde bisher noch nicht gekämpft.