Partizan für Belgrad

Der EU dürfte die Suche nach einer "demokratischen Alternative" zu Milosevic schwerfallen. Zur Wahl stehen allesamt frühere Partner des amtierenden jugoslawischen Präsidenten

Auf einmal war er wieder da. Zoran Djindjic, vor zwei Jahren noch westlicher Wunschkandidat für den Posten des jugoslawischen Präsidenten, gibt wieder Interviews. Wenn auch nur aus der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica und nicht aus Belgrad, wo er nach kurzer, aber vielumjubelter Regierungszeit 1997 seinen Oberbürgermeisterposten nur deshalb verlor, weil ihn die Verbündeten aus dem Anti-Milosevic-Bündnis Zajedno nicht mehr haben wollten. Gemeinsam mit den Sozialisten von Milosevic stürzte Vuk Draskovic damals den vermeintlichen Vorzeigedemokraten, mit dem er tags zuvor noch gegen Milosevic demonstriert hatte. Eine Szene, symptomatisch für den Zustand der serbischen Opposition: Will der Westen sein Nachkriegsversprechen einhalten, Jugoslawien solange keine Aufbaukredite zukommen zu lassen, bis Milosevic gestürzt ist, kommt er um Herren wie Djindjic und Draskovic nicht herum.

Weil er in Serbien mit Haftbefehl gesucht wird, hat sich Djindjic ins innerjugoslawische Exil zurückgezogen. In Montenegro residiert er nun, der kleineren der beiden jugoslawischen Republiken. Gemeinsam mit dem montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanovic setzt er auf die zweite innerjugoslawische Option gegen Milosevic: die Einnahme Belgrads von Podgorica aus. Da es die jugoslawischen Oppositionellen bislang nicht geschafft haben, Milosevic in Serbien selbst - zumindest parlamentarisch - zu besiegen, soll aus Montenegro der Sturz des jugoslawischen Präsidenten gelingen. Was winkt, ist nicht nur das Assoziierungsabkommen mit der EU. Der Run auf die Kredite von IWF, Weltbank und EU hat gerade erst begonnen: Wer wird Nachfolger von Milosevic?

Seitdem das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag den jugoslawischen Präsidenten wegen Kriegsverbrechen angeklagt hat, stecken vor allem die europäischen Staaten in der Zwickmühle. Da die USA sich aus dem Wiederaufbau Jugoslawiens weitestgehend heraushalten werden, kommt ihnen die Ablehnung Milosevics ökonomisch nicht in die Quere. Das Problem hat die Europäische Union: Ihr fehlt der passende Präsidentschaftskandidat. Schließlich hat die EU Südosteuropa einen Stabilitätspakt versprochen, von dem auch Jugoslawien nicht ausgeschlossen werden soll.

Unter der - alles entscheidenden - Bedingung: Ein demokratisiertes Jugoslawien soll es sein, oder, anders gesagt, eines ohne Milosevic an der Spitze. Doch wem, wenn nicht dem amtierenden jugoslawischen Präsidenten, die Europäer ihre Kredite andienen wollen, wissen sie wahrscheinlich selbst nicht so genau. "Kann sich Demokratisierung auch für Herrn Milosevic selbst lohnen?" wollte die Welt am Sonntag von Gerhard Schröder wissen. "Das zu beantworten übersteigt meine Phantasie", meinte der Bundeskanzler.

Also doch wieder Djindjic? Daß bei der Demokratisierung von Gnaden des Westens für Djindjic einiges herausspringen wird, bezweifelt kaum jemand. Doch ob er am Ende wieder an die Spitze der serbischen Opposition zurückkehren kann, ist längst nicht mehr so klar wie noch vor zwei Jahren. Zwar hat Djindjic in seinem ersten Interview seit Kriegsende einmal mehr zu Demonstrationen und Streiks aufgerufen, um bis zum Frühjahr nächsten Jahres Neuwahlen zu erzwingen. Ob er dann wieder der Mann der Opposition sein wird, ist trotzdem fraglich. Denn die einstigen Verbündeten aus der Anti-Milosevic-Bewegungszeit - im Winter 1996 / 97 war das oppositionelle Zajedno-Bündnis der Machtübernahme so nahe wie danach nie wieder - haben ihm seinen Fortgang aus Belgrad übel genommen. Als Djindjic kurz nach Beginn der Nato-Bombardements Belgrad verließ, sind die anderen bekannten Oppositionellen geblieben. Auch seine Kontakte nach Deutschland, die ihm vor dem Krieg genutzt haben, machen ihn nun eher suspekt. Die Nato-Staaten, vor dem Krieg die natürlichen Verbündeten der bürgerlichen Belgrader Opposition, haben durch den Krieg an Glaubwürdigkeit auch bei den Milosevic-Gegnern verloren.

Denkbar ungünstige Voraussetzungen für eine Rückkehr Djindjics in die oberste Führungsriege der bürgerlichen Oppositionellen. Djindjic jedenfalls soll ihr Kandidat für die Nachfolge Milosevics nicht mehr sein. "Zuerst den Che Guevara spielen und dann sagen, man gehe aus Sicherheitsgründen außer Landes, und die anderen ihrem Schicksal überlassen - das geht nicht." So wie Branka Jovanovic, die Vorsitzende der jugoslawischen Grünen, denken viele in der Belgrader Opposition: Djindjic hat zu oft die Seiten gewechselt. Nachdem Milosevic 1995 den Dayton-Vertrag unterzeichnet hatte, ging er sogar ein temporäres Bündnis mit dem von Milosevic fallengelassenen Chef der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, ein. Die Verbindung zu dem als Kriegsverbrecher gesuchten Karadzic brach Djindjic erst ab , als klar war, daß dessen Zeit vorüber ist.

Auch die Berührungsängste Djindjics zu Milosevic waren nie so groß, wie es seine westlichen Sponsoren ihren Wählerinnen und Wählern immer weis machen wollten. Die demokratische Alternative zu Milosevic, unabhängig davon, ob sie am Ende Djindjic, Draskovic oder Djukanovic heißen wird - es gibt sie nicht. Bündnisse mit dem jugoslawischen Präsidenten sind sie alle eingegangen - nicht anders als ihre Förderer aus dem Westen übrigens.

Weiterhelfen wird das den Europäern natürlich trotzdem nicht. Der moralische Rigorismus, mit dem am Wochenende auch der Chef der EU-Kommission, Romano Prodi, den Sturz Milosevics forderte, könnte am Ende doch wieder nur den serbischen Ultranationalisten nutzen - und damit auch Milosevic: Weil selbst der Monarchist Draskovic Milosevic dem Chef der Radikalen Partei, Vojislav Seselj, vorzieht, dürfte die nächste Regierung wieder nur unter Beteiligung der Sozialisten zustandekommen.

Zu dumm nur, daß die Europäische Union sich ihren Wunschpräsidenten in Jugoslawien nicht einfach aussuchen kann, wie es in Bosnien bereits möglich ist. "Ein totales Protektorat für das Kosovo" fordert der internationale Bosnien-Beauftrage Carlos Westendorp - ein Protektorat für Jugoslawien aber gibt es nicht.

Noch nicht. Denn vielleicht schlägt die Europäische Union auf der Suche nach dem passenden Kandidaten für die Milosevic-Nachfolge am Ende ja doch noch den Weg ein, den schon der jugoslawische Fußballverband gegangen ist. Nachdem die reguläre Auseinandersetzung um den Titel wegen des Krieges ausgesetzt werden mußte, erklärten die Offiziellen kurzerhand Partizan Belgrad zum nationalen Meister. Der Beste möge gewinnen? Was für den jugoslawischen Fußball nicht gilt, gilt für den jugoslawischen Parlamentarismus schon gar nicht. Auch nicht für Djindjic. Was meinte der doch gleich wieder in seinem ersten Interview nach dem Kriegsende? Mit der Ablösung Milosevics bis zu den nächsten Wahlen zu warten, käme einer "humanitären Katastrophe" gleich. - Ein klarer Fall: EU, übernehmen Sie!