Plan ohne Frieden

Die neue Bürde des weißen Mannes.

Die auf Grundlage des G 8-Friedensplans verabschiedete UN-Resolution für das Kosovo mag die Nato-Bombardierungen gestoppt haben, Stabilität in die Balkanregion bringen aber wird sie nicht. Im Gegenteil: Der Nato-Krieg hat sich als Tragödie für die Bewohner des Balkan erwiesen, wobei Kosovo-Albaner und Serben die Hauptverlierer sind. Der Krieg zwischen UCK und jugoslawischen Sicherheitskräften und die Bombardements der Nato haben die Provinz in eine Wüste verwandelt. Im Verlauf des Krieges hat sich die Zahl der Flüchtlinge von 250 000 auf beinahe 1,5 Millionen erhöht. Auch wenn sich die Wirtschaft im Kosovo, das schon vor dem Krieg zu den ärmsten Balkanregionen gehörte, irgendwann wieder auf Vorkriegsniveau erholen sollte, werden viele von ihnen nur widerstrebend zurückkehren.

Für die Bewohner der anderen Teile Jugoslawiens ist die Lage nicht viel besser. Die Wirtschaft ist völlig zerstört durch bald zehn Jahre Wirtschaftssanktionen und mehr als 70 Tage Bombardements, in denen Infrastruktur, Gesundheits- und Kommunikationseinrichtungen sowie die Energieversorgung als "legitime Ziele" galten. Der Krieg hat auch die Nachbarstaaten in der Region - Rumänien, Bulgarien, Mazedonien und Griechenland - geschädigt - die wirtschaft und politische Stabilität sind empfindlich gestört.

Leider taucht die Bevölkerung der Balkanstaaten in den Einschätzungen des Ausgangs der elfwöchigen Militäraktion nur am Rande auf. Auch wenn der militärische Sieg auf dem Balkan ohne große Euphorie gefeiert wird, so ist doch der politische Erfolg der führenden Nato-Mächte als Sieg des moralischen Interventionismus begrüßt worden.

Britische und deutsche Sozialdemokraten stehen an der Spitze der Siegesfeiern. Der deutsche Außenminister Joseph Fischer erklärte vor wenigen Tagen, daß Deutschland "zum ersten Mal in seiner Geschichte auf der richtigen Seite" kämpfe. Die deutsche Militäraktion in Europa hat die Wiederherstellung des internationalen Prestiges Deutschlands vervollständigt. Kanzler Gerhard Schröder und Verteidigungsminister Rudolf Scharping konnten ihre Position ebenso ausbauen wie ihre Amtskollegen in Washington, Paris und London. Es ist einfach, innenpolitisch gut auszusehen, wenn man die Rolle des Kämpfers für die Zivilisation gegen die Barbarei oder die des Kreuzritters für das Gute gegen das Böse spielen darf.

Die Pläne der USA, den Einfluß der Nato in Europa zu erhöhen, mögen den moralischen Kreuzzug ausgelöst haben. Aber die Schwarz-Weiß-Welt des moralisch Absoluten wird immer verlockender für westliche Politiker aller Couleur, die sich ihrer Unterstützung zu Hause nicht sicher sein können. Sogar einige Nicht-Nato-Staaten haben etwas von dem moralischen Fallout abbekommen; zum Beispiel hat die irische Regierung in ihren Bemühungen, moralisch die Oberhand zu gewinnen, einen Besuch der jugoslawischen Fußballmannschaft untersagt. Jetzt, nachdem die Nato-Staaten aus der Zivilisierung der Eingeborenen des Balkan soviel politisches Kapital geschlagen haben, wird die schlichte Tatsache, daß Jugoslawien zu den Konditionen der Nato kapituliert hat, den internationalen Moloch nicht aufhalten. Ganz im Gegenteil, der moralische Kreuzzug auf dem Balkan fängt gerade erst an. So schreibt der britische Premierminister Tony Blair in der letzten Ausgabe des New Statesman: "Wir haben jetzt ein neues moralisches Ziel. Sobald wir die Details dieses Abkommens festgenagelt haben, müssen wir den Balkan wieder aufbauen und das Krebsgeschwür der ethnischen Konflikte für immer entfernen."

Über Rückzugsstrategien vom Balkan wird nicht geredet. Schon vor dem Kosovo-Konflikt wurde der Balkan als ein Gebiet angesehen, wo es einfach ist, sich durch internationale Interventionen moralisch ins rechte Licht zu rücken. Alle Institutionen und NGO, die in der Region aktiv sind, konnten dadurch, daß sie ihre Bedeutung für die Bevölkerung des Balkan und die Wichtigkeit ihrer zivilisierenden Werte betonen, zu Hause an Glaubwürdigkeit gewinnen. Dieser Prozeß läßt sich in Bosnien deutlich erkennen, wo sich die einjährige Übergangsphase zur Demokratie, wie sie in Dayton beschlossen worden war, zu einem zeitlich unbegrenzten internationalen Protektorat entwickelt hat. Keine an der Mission beteiligte Institution hat die Absicht bekundet, die Region zu verlassen; und um die Erteilung neuer Mandate zu rechtfertigen, haben alle bezeugt, daß der Balkan zu einer Art "Bürde des Weißen Mannes" des 20. Jahrhunderts geworden ist. Jede Balkankonferenz verlängert die internationalen Mandate, während die westlichen Institutionen eine immer elitärere Einstellung zu den Balkanvölkern einnehmen.

Diese Einstellung erreichte bei den Friedensgesprächen von Paris/Rambouillet eine neue Qualität. Dort gab es keinen direkten Kontakt zwischen Serben und Albanern; zudem wurde das Friß-Vogel-oder-werde-bombardiert-Angebot von Rambouillet absichtlich so gestaltet, daß es für die Serben inakzeptabel war. Obwohl für Kosovo ein Autonomiestatus vorgesehen war, hätte der Vorschlag, nach drei Jahren ein Referendum zur Unabhängigkeit abzuhalten, die serbische Souveränität zerstört, die schon durch die Vorschläge im Anhang B des Vertrages bedroht war. Diese besagten, daß die Provinz von nicht unter UN-Kontrolle stehenden Nato-Truppen reguliert würde, und daß die Nato freien Zugang zu ganz Jugoslawien erhielte, ohne dafür zu bezahlen oder Rechenschaft für Verstöße gegen das Zivil- oder Strafrecht ablegen zu müssen.

Die Strategen in der US-Regierung dachten sich wohl, ein schneller Krieg würde die Bedeutung der Nato erhöhen und Clintons angeschlagene Reputation wiederherstellen. Als diese Kriegsziele erreicht waren, verringerten die USA prompt ihren Druck in den drei Punkten, die die serbische Regierung am stärksten betrafen. Der G 8-Plan läßt die Frage des Referendums offen, erlaubt die Beteiligung der UN und Rußlands an der Friedenserhaltung und erwähnt nicht den Zutritt zum Rest der Bundesrepublik Jugoslawien, wie es der Vertrag von Rambouillet getan hatte. Dies ist jedoch kein Sieg für die staatliche Souveränität auf dem Balkan: Zwar hat Serbien nicht der Lenkung seiner inneren Angelegenheiten durch die Nato zugestimmt, aber das Bedürfnis nach internationaler Wiederaufbauhilfe und Aufhebung der Sanktionen sowie die Notwendigkeit, ein erneutes Bombardement zu vermeiden, führen dazu, daß der Staat ständig unter internationalem Druck stehen wird. Tony Blair löste diesen Prozeß aus, indem er versprach, daß Serbien, solange Milosevic an der Macht sei, keine Wirtschaftshilfe erhielte und sich von demokratischen Staaten isolieren würde. Heutzutage können Nato-Politiker erklären, daß ein demokratisch gewählter Präsident für die internationale Gemeinschaft nicht akzeptabel ist und damit effektiv ein Veto gegen jugoslawische Präsidentschaftskandidaten einlegen. Selbstverständlich alles im Namen der Demokratie.

Der nächste Angriff auf die jugoslawische Souveränität folgte auf dem Fuße: durch das Beharren auf einer von den jugoslawischen Streitkräften einzurichtenden Pufferzone, wodurch die Aufstellung von Truppen und die Stationierung der Luftabwehr innerhalb Serbiens eingeschränkt wird. Dieser Prozeß, immer neue Forderungen zu stellen, wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Wann immer westliche Führungen einen Prügelknaben brauchen, oder sich selbst als Verkörperung des Guten projizieren wollen, werden, ähnlich wie im Beispiel Irak, Spannungen bezüglich dieses oder jenes Aspektes jugoslawischer Politik erzeugt.

Dieses Vorgehen ist gefährlich, da die Marginalisierung des serbischen Staates die Region weiter destabilisieren wird. Montenegro steht bereits unter internationalem Druck, die Unabhängigkeit anzustreben, was Spannungen zwischen dem Norden und dem Süden Jugoslawiens erzeugen wird. Die Vojvodina sowie die Sandschak-Region werden ermutigt, eine größere Autonomie einzufordern, was schon vorhandene Spannungen verschärfen und ethnische und regionale Trennungen verstärken wird. Das Kosovo wird noch weniger Autonomie erhalten als das Semi-Protektorat Bosnien.

Während ein US-Repräsentant den Nato-Truppen vorstehen wird, so wird es die Aufgabe der EU sein, einen Hohen Repräsentanten für den zivilen Wiederaufbau vorzuschlagen. Gegenwärtig liegen sich Großbritannien und Frankreich darüber in den Haaren, welches Land diesen Posten ausfüllen wird. Der britische Premierminister will einen der führenden Falken, den noch-Parteiführer der Liberaldemokraten Paddy Ashdown, nominieren. Der Hohe Repräsentant wäre die de facto-Regierung des Kosovo und hätte die Macht, nach seinem Gutdünken den politischen Kurs festzulegen, gewählte Repräsentanten abzusetzen und Medien zu zensieren.

Die Kosovo-Albaner, angeblich der Grund für die humanitäre Intervention, waren an den Friedensverhandlungen nicht beteiligt. Die albanischen Separatisten sind die Hauptverlierer im Verlauf der politischen Ereignisse seit Rambouillet. Sie müssen akzeptieren, daß die Unabhängigkeit kein Thema mehr ist, und so könnte es durchaus sein, daß sie diejenigen sind, die die Feier der Nato stören werden. Nachdem der Westen alles getan hat, um Separatisten moralisch integer aussehen zu lassen, wird es schwierig werden, sie jetzt, wo sie bei der Kontrolle der Provinz ein Wörtchen mitreden wollen, als Terroristen hinzustellen. Um diese Peinlichkeit möglichst zu vermeiden, hat US-Außenministerin Madeleine Albright Hashim Thaqi, den politischen Führer der UCK, und Ibrahim Rugova, den inoffiziellen Präsidenten des Kosovo, zu Gesprächen nach Bonn geladen. Sich der Tatsache bewußt, daß Wahlen im Kosovo die Trennlinien in den Reihen der Albaner und den Widerstand gegen das Friedensabkommen offenkundig machen würden, wollen die Amerikaner Rugova, Thaqi und einen weiteren radikalen Abweichler von Rugovas Partei, Rexhep Qosja, dazu überreden, einen nationalen Sicherheitsrat zu bilden, mit dem Ziel, eine demokratische Entscheidung über den Friedensplan zu vermeiden.

Eine zentrale Spannung ist in der westlichen Balkanpolitik erkennbar: Auf der einen Seite gibt es den Wunsch, die Region zu stabilisieren, wie es die USA in Albanien und Mazedonien durch Hilfsleistungen und Stationierung von Truppen versucht hatten. Im Kosovo bedeutete dies, Milosevics Autonomiepaket anzunehmen und mit Sicherheitskräften dem "Terrorismus" der UCK entgegenzuwirken. Dieser Plan war bis Ende letzten Jahres auf Zustimmung gestoßen. Dagegen steht der Wunsch, weiter auf die moralische Karte zu setzen, was westliche Mächte motiviert, destabilisierend zu intervenieren wie bei der Militäraktion im Kosovo.

Die Tatsache, daß sich das zweite Motiv bisher als entscheidend erwiesen hat, zeigt, daß die Balkanregion für die Vereinigten Staaten in bezug auf internationale Stabilität oder wirtschaftlichen Wohlstand geringe strategische Priorität hat. Wichtiger ist die Funktion des Balkan für die Moralisierung der US-europäischen Beziehungen und als Garant für die Dominanz von USA und Nato. Dies läßt vermuten, daß die Kosovo-Krise nicht den Endpunkt der durch die Einmischung des Westens erzeugten Instabilität auf dem Balkan markieren wird.

David Chandler ist Politologe und Osteuropa-Experte und lebt in Großbritannien.