Ein Mann sieht schwarz

Eberhard Diepgen und das Holocaust-Mahnmal: Die Geschichte einer versuchten Geschichtswäsche

Unter den Gemeinplätzen, die während der vergangenen elf Jahre die Debatte um das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas bestimmten, gehört derjenige, die Debatte selbst sei das Mahnmal, zu den besseren: Tatsächlich läßt sich an der Auseinandersetzung um das Mahnmal, die kaum je eine Auseinandersetzung mit dem Mahnmal war, detailliert ablesen, wie sich die deutsche Gesellschaft ein halbes Jahrhundert nach der Shoah zu diesem größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte stellt. Deswegen wäre es vielleicht eine gute Idee, einen Raum in dem Informationszentrum, das Peter Eisenmans Stelenfeld nun angeschlossen wird, der Dokumentation jener Debatte zu widmen, die seiner Errichtung vorausging.

In einem solchen Raum müßte an geeigneter Stelle ein großes Porträt Eberhard Diepgens hängen. Denn wie kein anderer verkörpert der 58jährige die Position der Mehrheitsbevölkerung zu dem Mahnmal: Man will es zwar nicht, aber das so recht auszusprechen traut man sich auch nicht.

14 Jahre hat Diepgen als Regierender Bürgermeister auf dem Buckel; 19 könnten es werden, wenn er am 10. Oktober wiedergewählt wird. Und dazu, daß er wiedergewählt wird, soll das Holocaust-Mahnmal seinen Beitrag leisten. Denn, da täuscht sich Diepgen nicht, die Berliner wollen das "Schandmal" in der Mitte ihrer wiedergeborenen Hauptstadt nicht. In ihren Augen besteht Diepgens Verdienst darin, einen Weg gefunden zu haben, um nein zu sagen, ohne nein zu sagen.

Dabei hatte der Regierende die Diskussion um das Holocaust-Mahnmal fast zehn Jahre lang praktisch nicht zur Kenntnis genommen. Bis Anfang 1998 findet sich keine öffentliche Äußerung, an der sich deutlich ablesen ließe, ob Diepgen nun für oder gegen die geplante Gedenkstätte war. Noch als Berlins Kultursenator Peter Radunski im Januar letzten Jahres ankündigte, die Grundsteinlegung solle spätestens am 20. Januar 1999, dem 57. Jahrestag der Wannsee-Konferenz, stattfinden, stand Diepgen daneben und widersprach nicht.

Schon zwei Wochen später fand Diepgen den geeigneten Anlaß, um sich zu outen. Eine Riege von notorisch respektablen Aufrufunterzeichnern, darunter die Zeit-Herausgeberin Marion Dönhoff, der Akademiepräsident György Konr‡d mit seinem Vorgänger Walter Jens sowie der Autor Günter Grass - die beiden letzteren Gründungsmitglieder des Förderkreises für das Mahnmal - äußerten in einem Offenen Brief ihre Skepsis gegenüber dem Projekt. Die Begründungen, die sie für ihre teilweise erst neu entdeckte Gegnerschaft zu dem Mahnmal anführten, waren unterschiedlicher Natur, teilweise widersprachen sie einander sogar. "Allein die intellektuelle Redlichkeit" der Kritiker gebiete Respekt, ließ sich Diepgen vernehmen.

Die Deutschen täten sich keinen Gefallen, die Geschichte mit monumentalen Denkmälern aufzuarbeiten, verkündete einige Tage später Diepgens politischer Weggefährte und Vertrauter, der CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky. Vor der "bedrückenden Monumentalität" des Denkmals hatte bereits Konr‡d gewarnt. In den kommenden Monaten sollte keines der von den Aufruf-Unterzeichnern genannten Argumente - von rein ästhetischer Kritik bis zu der Befürchtung, Gedenkstätten in ehemaligen Konzentrationslagern und anderen Orten des nationalsozialistischen Terrors könnten vernachlässigt werden - einer solchen Banalisierung durch Diepgen und seine Berliner CDU entgehen.

Doch bevor er richtig loslegen sollte, brauchte Diepgen noch etwas mehr Glaubwürdigkeit als weltläufiger Betroffenheitstourist. Also ab nach Israel, Blitzbesuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, flink vor die Mikrofone getreten: Der Besuch habe bei ihm "nachhaltig die Frage aufgeworfen", wie mit dem Holocaust angemessen umzugehen sei. Die vorliegenden Entwürfen hätten ihn nicht davon überzeugt, "daß es möglich ist, sich mit diesem Grauen künstlerisch auseinanderzusetzen".

Eine kleine totalitarismustheoretische Variante dieses Arguments wiederholte Diepgen, als er im Sommer die Entwürfe für ein Mauer-Mahnmal besichtigte: "Angesichts dieser Darstellung" müsse man sich fragen, ob es überhaupt möglich sei, "Grauen und Schrecken künstlerisch darzustellen". Das gelte auch für das Holocaust-Mahnmal.

Je deutlicher sich abzeichnete, daß der von dem Architekten Peter Eisenman und dem Bildhauer Richard Serra eingereichte Entwurf, von dem Serra sich bereits verabschiedet hatte, in der einen oder anderen Form das Rennen machen würde, desto mehr konzentrierte Diepgen seine Angriffe auf diesen Entwurf. "Ein Bau dieses Mahnmals würde nicht auf meine Zustimmung stoßen", erklärte er im August 1998. Begründung: "Zu monumental und zu beliebig." Ignatz Bubis, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, nannte Diepgen und Gerhard Schröder, der in ähnlicher Weise laviert hatte, daraufhin zusammen mit dem DVU-Vorsitzenden Gerhard Frey "die ehrlichsten Gegner des Mahnmals".

Ganz so ehrlich wie Frey hatte Diepgen seine Gegnerschaft aber doch noch nicht ausgedrückt. Immer wieder hatte er versucht, eine Entscheidung über das Mahnmal zu verzögern, angebliche Alternativen ins Spiel zu bringen, unsubstantiierte Kritik formuliert. Einmal meinte er, wirkliches Gedenken sei nur an den "authentischen Orten des Terrors" möglich. Wenig später schlug er vor, eine verkleinerte Holocaust-Gedenkstätte am Jüdischen Museum einzurichten, das in keinem höheren Maße ein solcher Ort ist als der gesamte Rest von Berlin. Zuletzt begeisterte sich Diepgen für den Vorschlag des Ost-SPD-Manns Richard Schröder: Eine "schlichte Säule", die in mehreren Sprachen, darunter auch in Hebräisch, damit's die Juden auch verstehen, die Aufschrift "Du sollst nicht morden" tragen soll. Wie hatte Diepgen doch zuvor das Eisenman-Mahnmal kritisiert: "Zu beliebig." Aber offenbar doch nicht beliebig genug.

Als Eisenman erstmals seinen auf Druck des Kultur-Staatsministers Michael Naumann überarbeiteten Entwurf präsentierte, der auch ein Dokumentationszentrum einschloß, zeigte sich Diepgen zunächst erfreut: Sollte doch ein Gebäuderiegel das verhaßte Stelenfeld den Blicken der Öffentlichkeit entrükken. Es dauerte keine Woche, bis Diepgen auch diesen Entwurf ablehnte. Irgendwann geisterte in seinem Kopf auch die Idee herum, man könne doch die "Topographie des Terrors" zur Gedenkstätte umwidmen - das Gelände der ehemaligen Zentralen von Gestapo, SS und SD in der Albrechtstraße nahe dem Berliner Abgeordnetenhaus. Mitte der achtziger Jahre hatte Diepgen einen bereits entschiedenen Gestaltungswettbewerb wieder abgeblasen, um das Gelände so herzurichten, "daß man sich nicht schämen muß".

Damit hatte Diepgen sein Hauptmotiv genannt: Die neue Hauptstadt, seine neue Hauptstadt, soll frei bleiben von allem, was sie als diejenige Stadt kennzeichnen könnte, von der die industrielle Vernichtung der europäischen Juden ihren Ausgang nahm. Ohne Brüche soll der Berliner stolz sein können, ein solcher zu sein. Daher all das Taktieren, all das zögerliche Vor und Zurück, all die Beteuerungen, natürlich stehe man zu der Entscheidung, in Berlin ein zentrales Mahnmal zu errichten, bloß bitte nicht so, bitte nicht hier, bitte nicht jetzt: Ein Regierender Bürgermeister, der einfach sagt: "Wir wollen das Ding nicht" wäre für Berlins Reputation schädlich, das weiß Diepgen.

Er weiß aber auch, daß seine potentielle Wählerschaft in ihrer überwiegenden Mehrheit genau dieser Meinung ist. Deshalb wird uns das Thema "Diepgen und das Mahnmal" noch mindestens vier Monate erhalten bleiben. Erst, wenn die Wahl zum Abgeordentenhaus im Herbst vorbei ist, wird endlich Ruh sein. Und - was gilt die Wette? - im nächsten Frühling können wir beim ersten Spatenstich einen an der Last seiner Verantwortung schwer tragenden Diepgen beobachten. Und wenn man nicht genau wüßte, daß er bis zum letzten Augenblick versucht hat, das Mahnmal zu verhindern, könnte man glatt meinen, er habe es erfunden.