Prozess in Kiel um Lübecker Brandanschlag

Geistige Symbiosen

Beginnen wir mit einem kurzen Rückblick: Um die Legende am Leben zu halten, Safwan Eid sei verantwortlich für den Lübecker Brandanschlag, holte Michael Böckenhauer noch einmal weit aus. Wären die Protokolle von Gesprächen, die der Libanese im Gefängnis mit Angehörigen geführt hatte, im Prozess eingebracht worden, hätte man seine Schuld beweisen können, erklärte der Staatsanwalt. Es war einer der letzten Verhandlungstage vor dem Landgericht der Hansestadt, im Frühsommer 1997. Der Ankläger konnte keine Verurteilung fordern. Schließlich hatte der Prozess nichts, aber auch gar nichts zu Tage gefördert, was Eid hätte belasten können. Das wusste auch Böckenhauer. Und er wusste schon damals, wie wenig beweiskräftig die Übersetzungen des Dolmetschers Aziz Yachoua waren. Davon muss man angesichts der Akribie, mit der er gegen Eid ermittelt hat, einfach ausgehen.

Dennoch konnten die Zweifel an Eids Unschuld durch Böckenhauers Verweis auf die Protokolle am Leben gehalten werden. So dokumentierte etwa die Welt nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) zur Wiederaufnahme des Verfahrens im Sommer 1998 eines der Gespräche. In keinem einzigen Wort erwähnte das Blatt, dass es sich um eine von mehreren übersetzten Interpretationen handelte - eben um jene, mit der Böckenhauer von Anfang an hausieren gegangen war.

Bei aller Skepsis: Mittlerweile sollte man den BGH-Richtern dankbar sein. Ihre Entscheidung, den Prozess neu aufzurollen, da die Protokolle in Lübeck nicht eingeführt worden waren, sorgt für mehr Klarheit. Was sich seit dem 3. September vor dem Kieler Landgericht abspielt, könnte für Böckenhauer peinlicher nicht sein. Nach tagelangem Abhören der Bänder hat sich vor allem herausgestellt, dass Sprachexperte Yachoua damals genau das "übersetzte", was die Staatsanwaltschaft hören wollte. So interpretierte der für das Bundeskriminalamt tätige Yachoua den Halbsatz: "Wenn ich gestorben wäre" als: "Wenn ich gestehen würde". Ein technischer Fehler, wie er heute erklärt. Die Worte: "Ich habe alle beruhigt" wurden zu: "Ich habe alle zum Schweigen gebracht" - einer jener Sätze, auf die Böckenhauer besonders gern aufmerksam gemacht hat. Wie auch auf die angebliche Äußerung Mohammed Eids: "Stell dich als Unschuldiger dar." Im Gerichtssaal stellte sich heraus, dass Safwans Bruder schlicht: "Der Junge ist unschuldig" gesagt hat.

So viel "geistige Symbiose von Übersetzer und Ankläger", wie Bo Adam in der Berliner Zeitung treffend schreibt, ist freilich kein Zufall. Selbst der Vorsitzende Richter Jochen Strebos wurde skeptisch und hat von Böckenhauer sowie zwei Kriminalbeamten wegen der Fehler eine "dienstliche Erklärung" eingefordert. Und auch wenn er an der "Sachkunde von Herrn Yachoua" nicht zweifeln wollte, fiel seine vergangene Woche gezogene Zwischenbilanz eindeutig aus: Die abgehörten Gespräche haben keinerlei belastende Indizien ergeben. Der zweite Prozess dürfte nun, wenn Strebos' Wort hält, in den nächsten Wochen mit einem zweiten Freispruch für Safwan Eid enden.

Will man trotzdem an einer juristischen Lösung festhalten, müsste zuallererst Böckenhauer vor Gericht. Denn während gegen die Männer aus Grevesmühlen nur dringender Tatverdacht besteht, gibt es bei dem Staatsanwalt keinen Zweifel mehr: Nicht nur, weil er sich möglicherweise mit seiner konsequenten Weigerung, gegen die rechtsradikalen Verdächtigen Anklage zu erheben, der Strafvereitlung schuldig gemacht hat. Seine Liste ist länger: Mindestens wegen Nötigung, Verleumdung und Freiheitsberaubung zum Nachteil Safwan Eids müsste sich Böckenhauer mittlerweile verantworten. Davon ist freilich nicht auszugehen. Staatsanwälte müssen eben anders zur Rechenschaft gezogen werden.