Saubere Hände, weiße Westen

Der Aufstieg Berlusconis ist so beispiellos wie seine Methoden.

Der beispiellose Aufstieg des Mailänder Unternehmers und Politikers Silvio Berlusconi, der als Favorit bei den italienischen Parlamentswahlen am kommenden Sonntag gilt, hat schon früh indiskrete Neugier hervorgerufen. Mehrere vorwiegend aus Gerichtsakten bestehende Bücher sind seit 1987 veröffentlicht worden. Von der aktuellen Publikation »L'Odore dei soldi« (»Der Geruch des Geldes«) des Journalisten Marco Travaglio von der liberalen Tageszeitung Repubblica und des Abgeordeten Elio Veltri sind sogar 200 000 Exemplare verkauft worden. Was erfährt man in diesen Büchern über die Geschichte des Mannes, mit dem die europäischen Regierungen möglicherweise in den nächsten Jahren zu tun haben werden?

Eine Schlüsselfigur in seiner Biografie ist der Sizilianer Marcello Dell'Utri, den Berlusconi Anfang der sechziger Jahre an der Mailänder Universität kennenlernte und dessen Dienste er später so hoch schätzte, dass er ihm ein jährliches Gehalt von maximal acht Millionen Mark zahlte.

Dell'Utri unterhielt enge Verbindungen zu Mafiosi aus Palermo und sorgte in den siebziger Jahren dafür, dass einer von ihnen, Vittorio Mangano, jahrelang als »Stallknecht« in Berlusconis Villa Arcore arbeitete. Selbst als Mangano bereits mehrfach verurteilt worden und nicht mehr in Berlusconis umittelbarer Umgebung anzutreffen war, blieb Dell'Utri weiter in Kontakt mit ihm. Der bekannte im Sommer 1992 ermordete Mafia-Richter Paolo Borsellino äußerte in einem erst kürzlich wieder aufgefundenen und ausgestrahlten Interview den Verdacht, dass Mangano und Dell'Utri auch in Drogengeschäfte verwickelt gewesen seien. Möglicherweise stellten die beiden das Verbindungsglied zwischen Berlusconis Holding Fininvest und der Mafia dar.

Bereits im Mai 1992 war der Mafia-Jäger Giovanni Falcone ermordet worden. Im folgenden Jahr wurde eine Reihe von Attentaten auf Baustellen verübt, bei denen es auch Tote gab. Einige der Staatsanwälte, die in den letzten Jahren die Hintergründe dieser neuen »Strategie der Spannung« aufzuklären versuchten, haben, auch wegen Aussagen von Mafia-Kronzeugen, dazu einige Vermutungen angestellt.

Sie gehen davon aus, dass die Mafia mit den Anschlägen den Staat zu Verhandlungen zwingen wollte. Vor allem nach der Verhaftung ihres Paten Totò Riina im Januar 1993 schien die Mafia ihren traditionellen politischen Partnern nicht mehr zu trauen und ermordete deswegen Giulio Andreottis sizilianischen Statthalter Salvo Lima.

Zur selben Zeit brachten die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft über die Verbindung zwischen Mafia und Politik, die so genannten Mani-Pulite (Sauberen Hände), das etablierte Parteiensystem zum Einsturz. Riina soll deshalb entschieden haben, mit Hilfe von Attentaten zur Bildung neuer, der Mafia genehmer politischer Konstellationen beizutragen. Nach Aussagen des Kronzeugen Salvatore Cancemi soll Riina ausdrücklich erklärt haben, die Anschläge seien mit Berlusconi und Dell'Utri abgesprochen worden.

Mit Mani Pulite waren aber auch der Fininvest ihre politischen Beschützer abhanden gekommen, vor allem die Sozialisten unter Bettino Craxi, die enge Verbindungen zur Mafia unterhielten. Eine Machtübernahme der Linken galt als Katastrophe. Im selben Zeitraum, in dem die Mafia ihre Attentate verübte, gelang es Dell'Utri, Berlusconi von der Notwendigkeit zu überzeugen, direkt in die Politik einzusteigen und eine von Fininvest-Managern geleitete rechte Partei, die Forza Italia, zu gründen.

Die Gleichzeitigkeit beider Vorgänge und die Rolle Dell'Utris wurden ausdrücklich bei den Gerichtsverfahren gegen die Urheber der Anschläge unterstrichen. Allerdings sind die Untersuchungen der Beteiligung Berlusconis an dieser Affäre im letzten Jahr eingestellt worden. Dell'Utri steht hingegen weiterhin wegen seiner Verbindungen zur Mafia in Palermo vor Gericht.

Verdächtig ging es auch schon zwanzig Jahre früher bei der Gründung von Berlusconis Imperium zu. Bis heute weiß niemand, wer Berlusconi, der ursprünglich Bauunternehmer war, seine ersten Millionen lieh. Fest steht nur, dass er ein höchst kompliziertes Schachtelsystem aus mindestens 34 Holdings aufgebaut hat. Die meisten dieser Firmen waren auf die Namen von Strohmännern eingetragen und dienten häufig nur für eine einzige Operation. Dabei wurden umfangreiche Bargeld-Transaktionen getätigt, deren Ziel meist darin bestand, den Ursprung der Gelder zu verbergen.

So flossen nach einem Bericht der Banca d'Italia in den siebziger Jahren 250 Millionen Euro unklarer Herkunft durch die Konten von Berlusconis Scheinfirmen. Es besteht der Verdacht, dass diese Summen von der Mafia stammten und bei Berlusconi »gewaschen« werden sollten.

Bald ging Berlusconi jedoch über diese obskuren Transaktionen hinaus. Dank seiner Mitgliedschaft in Licio Gellis Geheimloge P2 erhielt er von den größten Banken Italiens enorme Kredite ohne angemessene Sicherheiten. Vor allem aber baute er unter Verletzung des damals geltenden Rechts ab Ende der siebziger Jahre eine landesweite Kette von Privatsendern auf. Als die Richter einschritten, half ihm Ministerpräsident Bettino Craxi mit ad-hoc-Dekreten so lange aus, bis 1990 ein Gesetz, das zum Rücktritt von fünf Ministern führte, Berlusconis faktisches Monopol absegnete.

Berlusconi dankte Craxi mit mindestens 11,5 Millionen Euro, wofür der Ministerpräsident später verurteilt wurde. Deshalb sah die Fininvest im Ende der Herrschaft von Craxi und Andreotti 1992/93 eine tödliche Gefahr. So fragil war Berlusconis Imperium, dass jedes reguläre Telekommunikationsgesetz sein Ende bedeutet hätte. Nachdem Berlusconi im April 1994 zum Ministerpräsidenten gewählt worden war, zeigte er sofort, was unter dem heute wieder oft beschworenen »Interessenkonflikt« zu verstehen ist.

Sein damaliger Finanzminister Giulio Tremonti erließ bald nach dem Antritt der Regierung Berlusconi ein Gesetz über Steuererleichterungen für Betriebe, die ihre Gewinne investieren. Deshalb gelang es Fininvest, rund 125 Millionen Euro Steuern zu sparen. Seitdem erzielt der Konzern wieder hohe Gewinne.

Damit ist Berlusconis Sündenregister allerdings noch längst nicht erschöpft. Sechs Prozesse laufen zur Zeit gegen ihn wegen Bestechung von Richtern, Bilanzfälschung und Steuerbetrug. Zweimal wurde er in erster Instanz verurteilt und konnte sich nur dank eines Verjährungsurteils in zweiter Instanz retten.

»L'odore dei soldi« ist vom Verlag Editori Riuniti veröffentlicht worden, der den regierenden Linksdemokraten nahe steht. Alles kommunistische Propaganda, wie die Rechte nicht müde wird zu behaupten? Pech für sie, dass dann auch noch das nicht gerade linksradikale Londoner Wirtschaftsmagazin The Economist Ende April dieselben Anklagen veröffentlichte. Die Überschrift des Artikels lautete: »Warum Berlusconi Italien nicht regieren darf.«