Finanzen und Vermögen der deutschen Kirchen

Das wahre Kirch-Imperium

Carsten Frerks »Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland« belegt, dass niemand cleverer wirtschaftet als die Geistlichkeit.

Schon wenn man den simplen Fakt erwähnt, dass die Kirchen durchschnittlich nur acht Prozent ihrer Kirchensteuereinnahmen für soziale und karitative Aufgaben verwenden, stößt man auf ungläubiges Erstaunen. Gerade so, als sei die Frage nach den heiligen Finanzen irgendwie seltsam.

Der Politologe Carsten Frerk hat einmal genauer nachgefragt und dann seinen Taschenrechner benutzt. Die Ergebnisse sind erstaunlich. Denn die Kirchensteuer ist, obwohl sie den bekanntesten Teil der laufenden kirchlichen Einnahmen darstellt - 1999 waren das immerhin rund 8,7 Milliarden Euro - beileibe nicht die ganze Miete. Wer weiß schon, dass das gesamte laufende, aus Kirchensteuern und übrigen Einnahmen bestehende Einkommen der beiden Großkirchen für das letzte halbwegs transparent belegte Jahr (1993) Frerk zufolge immerhin auf knapp 18 Milliarden Euro beziffert werden muss, also auf fast das Doppelte dessen, was 1999 allein an Kirchensteuern zu Buche schlug? Ist in der Öffentlichkeit je von den so genannten Dotationen die Rede, also staatlichen »Ausgleichszahlungen« an die Kirchen, die hauptsächlich auf Rechtstiteln vom Anfang des 19. Jahrhunderts beruhen und sich im Jahr 2000 auf immerhin rund 400 Millionen Mark beliefen? Von solchen Dingen hört man wenig bis nichts, und dieses Schweigen hat, wie die Dotationen und alle anderen Zusatzzahlungen, Vergünstigungen oder Steuerbefreiungen Tradition.

Die Idee, einfach mal zusammenzurechnen, was die Kirchen so haben und bekommen, konnte von Frerk nur unter Mühen realisiert werden, denn abseits der gut dokumentierten und auch im Alltagsbewusstsein verankerten Fakten zur Kirchensteuer herrscht eine geradezu römische Diskretion, was die Finanzen der Kirchen angeht.

Frerk ist so fair mitzuteilen, wann er mangels kirchlicher Auskünfte auf begründete Schätzungen zurückgreifen muss. Seine sorgsame, bisweilen sogar pedantische Erhebung fördert nicht nur Dinge zutage, von denen in den Medien so gut wie nie die Rede ist, sondern auch solche, an die man normalerweise gar nicht denkt.

Fein sind die Verästelungen der öffentlichen Unterstützung für die Kirchen, sehr fein. Dass der Staat die Ausbildung der kirchlichen Geistlichen und die Bezahlung der Religionslehrer übernimmt, mag angesichts der laizistischen Ausrichtung des Staatswesens BRD überraschen, wird aber meist mit einem Schulterzucken hingenommen. Dass er sogar die Gebetbücher der Militärseelsorger bezahlt, dürften viele nicht wissen.

Oder nehmen wir die erstaunliche Tatsache, dass neue Kitaplätze in kirchlichen Kindergärten in Hamburg seit Juli 2001 zu 100 Prozent aus den Mitteln des Stadtstaates finanziert werden, obwohl Hamburg nicht einmal ein Konkordat oder einen Staatskirchenvertrag mit den Großkirchen geschlossen hat, in dem solche Zustände kodifiziert wären. Auch die kirchlichen Hilfswerke (»Brot für die Welt«, »missio«, »Adveniat«, »Kirchlicher Entwicklungsdienst«) sind von staatlicher Zuwendung abhängig: »Ein Blick auf die Einnahmen von 1996 bis 2000 zeigt die parallele Tendenz wie im katholischen Sektor, dass sich die kirchlichen Mittel verringern und der Anteil der Steuergelder steigt. Betrug die Staatsquote 1996 noch 52,8 Prozent, sind es in 2000 bereits 60,8 Prozent. Entsprechend sanken die (aus Spenden herrührenden, M.H.) Zuschüsse aus den Landeskirchen von 47,2 Prozent auf 39,2 Prozent.«

Was die Spenden insgesamt angeht, kommt Frerk zu dem Schluss, dass die Kirchen mittlerweile selbst in Bereichen alimentiert werden, die öffentlich gefördert werden. Als Beispiel seien der Bau und die Renovierung von Kirchen genannt. Die feststellbaren Bauzuschüsse allein der Bundesländer bewegten sich im Jahr 2000 im dreistelligen Millionenbereich.

Nun ruhen sich die Glaubensgemeinschaften, allen voran die zwei christlichen Großkirchen, nicht nur auf den staatlichen Zuschüssen aus. Sie sind durchaus in der Lage, über verschiedenste wirtschaftliche Tätigkeiten für ihr Auskommen zu sorgen. Ein buntes Sammelsurium von kircheneigenen oder kirchlich kontrollierten Banken, Versicherungen, Wohnungsbaugesellschaften, Medienunternehmen und Leistungsträgern in der Lebensmittel-, Gastronomie-, und Tourismusbranche zeugen von der ganz banalen weltlichen Tüchtigkeit der Firmen Gottes.

Gewiss, die meisten dieser Firmen sind rechtlich unabhängig und eigenverantwortlich. Frerk spricht sogar von »vier verschiedenen Kirchen«, die es auseinander zu halten gelte, nämlich von den Kirchen als »Bekenntnisgemeinschaften«, als »juristischen Personen«, als »Steuerverbänden« und als »Eigentümern, Besitzern und Nießbrauchern von Wirtschaftsunternehmen«.

Wenn man sich aber vor Augen hält, dass die Hauptgesellschafter des größten (katholischen) Diözesensiedlungswerks - der Aachener Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft GmbH - vier Bischöfliche Stühle sind (Köln, Paderborn, Münster, Aachen), bekommt man einen Eindruck vom Charakter dieser Unabhängigkeit. Frerk schätzt den Vermögenswert der 23 000 Wohnungen, die sich im Besitz allein dieser Wohnungsbaugesellschaft befinden, auf 2,6 Milliarden Euro. Und so geht es weiter, von den Beteiligungen im so genannten fairen Handel (Produkte aus der Dritten Welt) über Mediengiganten wie den Weltbild-Verlag bis zu christlichen Akademien, Hotels oder Tagungszentren, die - oft direkt, oft versteckt öffentlich gefördert - einen fröhlichen Gesinnungstourismus betreiben und dabei gutes Geld machen.

Wie reich sind nun die Kirchen nach Frerks Ansicht? Für das Stichjahr 2000 kommt er inklusive aller Einnahmen, Staatsleistungen, Vermögenswerte und geldwerten Leistungen auf eine Summe von 654 Milliarden Euro. Natürlich haben die Kirchen dieses Geld nicht zur freien Verfügung auf der Hand, allein einen Anteil von 312 Milliarden Euro rechnet Frerk zum Grund- und Immobilienbesitz, von denen seiner Schätzung nach aber immerhin 150 Milliarden verfügbar wären.

Angesichts der laufenden Einnahmen der Kirchen möchte Frerk nicht davon sprechen, dass die Konfessionsgemeinschaften reich seien - er nennt sie nur sehr wohlhabend. Seine Aufstellung macht allerdings drei Dinge deutlich: Erstens verdienen die Kirchen gut, geben das aber ungern zu. Offenbar sind sie an einer Aufklärung der Frage, was sie mit ihrem Geld eigentlich machen, nicht interessiert. Zweitens gehören die Kirchen zu den am längsten und stärksten staatlich subventionierten Wirtschaftsunternehmen in diesem Land. Drittens steht eine Trennung von Staat und Kirche in der BRD noch aus.

Einsichten wie diese mit Zahlen belegen zu können, ist das Verdienst von Carsten Frerk, auch wenn sein Buch aufgrund der Datenfülle nicht leicht zu lesen ist. Wer sich von der finanziellen Lage der Kirchen ein Bild machen will, kommt an dieser ersten umfassenden Darstellung des Themas seit Jahrzehnten aber nicht vorbei.

Carsten Frerk: Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2002, 24,50 Euro