Schottland

Karo ist Trumpf

Nur über eine Fußballnationalmannschaft zu verfügen, reicht vielen Schotten nicht. Deshalb fordern die zweitstärkste Partei und eine Guerillagruppe einen eigenen Staat.
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Großzügig auf Gesicht und Händen verteilen«, stand auf dem Beipackzettel des Pakets, das Margaret Ashcroft Anfang März in ihrem Privathaus in Deeside erhielt. Die Mitarbeiterin von Mike Rumbles, einem Abgeordneten der Liberaldemokraten im schottischen Regionalparlament, öffnete die kleine Flasche, die der Aufschrift zufolge »Bio-Eukalyptusöl zur Aromatherapie« enthalten sollte, nicht.

Das war ihr Glück. Denn statt ätherischen Öls enthielt die Flasche Sodiumhydroxid, eine ätzende Chemikalie, die zu Verbrennungen und Erblindung führen kann.

Tags zuvor hatte ein Anrufer der Boulevardzeitung News of the World erklärt, 16 solcher Pakete verschickt zu haben, um Cherie Blair, die Frau des britischen Premierministers, und 15 weitere Personen umzubringen. Kurz darauf wurden im Londoner Amtssitz Tony Blairs, im Kulturministerium sowie im Unterhaus ähnliche Pakete abgefangen, die allesamt an Frauen adressiert waren. Der anonyme Anrufer bekannte sich als Mitglied der Scottish National Liberation Army (SNLA), einer obskuren Splittergruppe aus dem Milieu der schottischen Nationalisten, zu dem versuchten Anschlag.

Die Polizei tappt bei ihren Ermittlungen offenbar im Dunkeln. Einziger Verdächtiger ist der im irischen Dublin lebende frühere Soldat Adam Busby, der immer wieder als Anführer der SNLA bezeichnet wurde, sich aber im vergangenen Jahr von ihr losgesagt haben soll. Inzwischen verhörte die irische Polizei ihn wegen der Pakete.

Margaret Ashcroft und der Abgeordnete Rumbles waren vor Jahren von England nach Schottland gezogen und wurden wohl deshalb zu Anschlagszielen.

Die SNLA machte Anfang der achtziger Jahre durch eine Serie von Briefbomben von sich reden, die unter anderem an die damalige Premierministerin Margaret Thatcher und an Prinzessin Diana gerichtet waren. Nach eigenem Bekunden wollte die SNLA damit etwas gegen die »englische Massenimmigration in Schottland« unternehmen. Die Briefbomben verletzten mehrere Personen. Wohl um ihre Militanz zu steigern, verbreitete die SNLA Pläne für umfangreiche Mordkomplotte und bekannte sich wiederholt zu Explosionen, die durch Unfälle ausgelöst worden waren.

Danach wurde es lange still um die »Karo-Terroristen«, wie die SNLA in Anspielung auf die Schottenrockmuster genannt werden. Erst Mitte der neunziger Jahre verschickten die Sezessionisten wieder Bomben, unter anderem an den damaligen Oppositionsführer Blair. Vier Jahre später drohte die SNLA, das Trinkwasser in englischen Städten zu vergiften, sollte sich London nicht »politisch und militärisch« aus Schottland zurückziehen. Ihren größten Coup der jüngeren Zeit landete die Gruppe schließlich, als sie drohte, Prinz William zu ermorden. Kurz vor dessen Studienbeginn im vergangenen Herbst erreichte ein mit weißem Pulver gefüllter Brief sein College St. Andrews in Schottland. Doch bei der Substanz handelte es sich nicht, wie in dem Schreiben behauptet, um Milzbranderreger.

Bis heute ist unklar, wie viele Mitglieder die SNLA überhaupt hat, doch viele dürften es nicht sein. Sie ist »möglicherweise die einsamste Guerillabewegung diesseits der Taliban«, frotzelte die schottische Tageszeitung Business AM und beschimpfte die Mitglieder als »eine Spezies von Chauvinisten, die vor langer Zeit ihren Verstand, falls den jemals welchen hatten, in den Sümpfen des Rassismus verloren haben«. Selbst im Lager der radikalen Linksnationalisten ist die SNLA isoliert. »Ich bin enttäuscht über diese Pakete, das ist kein progressiver Weg, soweit die Politik hier betroffen ist«, erklärte Tommy Sheridan, der Vorsitzende der Schottischen Sozialistischen Partei (SSP).

Dabei haben schottische Nationalisten sich in der Vergangenheit nicht immer gegen die Anwendung von Gewalt ausgesprochen. Bereits in den dreißiger Jahren gründete der Dichter Hugh McDiarmid eine gewalttätige Separatistenorganisation, die den Ideen des italienischen Faschismus nahe stand. Auch McDiarmid begründete seinen Nationalismus mit angeblichen kulturellen, ethnischen und sprachlichen Besonderheiten der »schottischen Nation«. Erst 1982 flogen die Militanten aus der 1934 gegründeten Schottischen Nationalpartei hinaus. Auch danach gingen Gruppen wie »Settler Watch« mit Gewalt gegen »englische Siedler« in Schottland vor.

Die linksbürgerliche SNP ist heute hinter dem schottischen Ableger der Labour-Partei die zweitstärkste Kraft und vertritt einen integrativen statt eines anti-englischen Nationalismus. Zwar spricht sie noch immer von einem »schottischen Volk«, doch sind Einwanderer aus dem Süden der Insel davon nicht mehr kategorisch ausgeschlossen. Die SNP möchte im Falle eines Wahlsiegs ein Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands innerhalb der EU abhalten, um »den Menschen die Kontrolle über ihr eigenes Leben zu ermöglichen«.

1999 gab die Londoner Labour-Regierung dem schottischen Unabhängigkeitsstreben nach und führte wieder ein Regionalparlament mit Sitz in Edinburgh ein. Dort wird nun über Bildungs- und Infrastrukturpolitik entschieden, und die schottische Labour-Partei, die die neue Regionalregierung stellt, verfolgt eine klassisch sozialdemokratische Politik. So ist etwa das Studium an Schottlands Universitäten nach wie vor kostenlos, während in England hohe Studiengebühren eingeführt worden sind.

Für die SNP war diese Reform nicht unbedingt von Vorteil, da sich nun ihr Hauptargument - die »Fremdbestimmung« schottischer Angelegenheiten durch englische Politiker - weitgehend erledigt hat.

Seitdem gibt es in der Partei einen Flügelkampf zwischen den »Bravehearts«, die auf nationale Emotionen setzen, und Modernisierern wie Andrew Wilson. Der Abgeordnete in Edinburgh ging so weit vorzuschlagen, bei den Fußballweltmeisterschaften in diesem Sommer die englische Mannschaft zu unterstützen, weil die schottische Auswahl in der Qualifikation gescheitert ist: »Wir teilen eine Grenze, wir teilen eine Kultur, wieso, zum Himmel, können wir sie nicht unterstützen?« Besonders populär war sein Vorschlag wohl nicht. Seine Mobilbox, so erklärte Wilson am nächsten Tag, sei nun blockiert mit »nicht zitierfähigen Anrufen« empörter schottischer Fans.