Krieg in Israel

Verlierer ohne Ausweg

Nach den Anschlägen der vergangenen Tage glauben nur noch wenige Israelis an eine Verständigung mit Arafat.

Für Yassir Arafat ist die Situation bekannt. Vor fast genau 20 Jahren saß er schon einmal in einem Keller, damals in Beirut, bombardiert von israelischer Artillerie. Damals wartete das Exil in Tunis auf ihn und die Führung der PLO.

Doch seitdem israelische Truppen sein Hauptquartier in Ramallah gestürmt haben, werden Forderungen nach der Ausweisung oder gar Liquidierung des Palästinenser-Präsidenten in Israel immer lauter. »Das vordringliche Ziel von Yassir Arafats Terrorregime ist nicht die Errichtung des 22. arabischen Staates, sondern die Zerstörung des jüdischen Staates«, erklärte der ehemalige Premierminister Benyamin Netanyahu in der Jerusalem Post am vergangenen Freitag und forderte einen umfassenden Krieg gegen die »palästinensischen Terroristen«.

Am vergangenen Mittwoch verkleidete sich der von den israelischen Geheimdiensten seit Jahren gesuchte Hamas-Aktivist Abdel-Basset Odeh als Frau und sprengte sich in der Küstenstadt Netanja inmitten einer Gesellschaft, die das Pessachfest feiern wollte, in die Luft. 22 Menschen wurden getötet und über 130 verletzt. Kein Wort der Entschuldigung kam aus Ramallah, vielmehr folgten bis Sonntag fünf weitere tödliche Anschläge auf israelische Zivilisten. Erst als am Donnerstagabend klar wurde, dass Israel mit einer groß angelegten Militäraktion reagieren würde, erklärte Arafat seine Bereitschaft zu einem umfassenden Waffenstillstand. In den Tagen zuvor hatte er sich trotz der Bemühungen des US-Nahostbeauftragten Anthony Zinni geweigert, einer Waffenruhe zuzustimmen.

Nach dem Anschlag von Netanja scheint sich die Sicht Netanyahus in Israel größerer Popularität zu erfreuen als je zuvor. Juden in aller Welt nahmen den Anschlag als antisemitisch motivierte Tat wahr, die sich an einem hohen religiösen Feiertag nicht gegen Israel, sondern direkt gegen das Judentum und seine Religion als Ganzes richtete. Selbst Mitglieder von Peace Now befürworteten in den vergangenen Tagen einen harten Schlag gegen die palästinensische Autonomiebehörde (PA), in der Hoffnung, so eine Grundlage für ein Friedensabkommen zu schaffen.

Die öffentliche Meinung in Israel schwankt noch zwischen der Forderung nach einem einseitigen Rückzug aus den palästinensischen Gebieten, wie ihn etwa der Council on Peace and Security, ein Zusammenschluss ehemaliger Politiker und Offiziere, befürwortet, und dem Ruf nach Wiederbesetzung der Westbank und des Gaza-Streifens. Derzeit glaubt nur noch eine verschwindend kleine Minderheit, dass mit Yassir Arafat überhaupt ein Verhandlungsfriede erreicht werden könne.

Für die Palästinenser dagegen ist die Invasion in Ramallah und die Erstürmung des Hauptquartiers des palästinensischen Präsidenten - nachdem Premierminister Ariel Sharon ihn zuvor zum »Feind Israels« erklärt hatte - die direkte Reaktion einer »staatsterroristischen« Regierung auf den in Beirut vom arabischen Gipfel angenommenen Friedensplan. Die jüngsten Militäraktionen zeigten einmal mehr, dass Israel einen historischen Kompromiss mit den Palästinensern und seinen arabischen Nachbarländern nicht schließen wolle und stattdessen mit der faktischen Zerschlagung der PA antworte.

Einige arabische Länder profitieren jedoch vom israelisch-palästinensischen Konflikt und fördern die Eskalation der Lage. Mehr als 10 000 US-Dollar zahlt der irakische Staat jeder Familie eines so genannten Märtyrers in Palästina, wie offiziell die Selbstmordattentäter von der PA bezeichnet werden. Die Hamas könnte ohne Gelder aus Saudi Arabien kaum als effektive Organisation überleben, gleiches gilt für den Jihad Islami. Auch Syrien unterstützt neben der Hizbollah verschiedene palästinensische Organisationen wie die PFLP-GC, die in den vergangenen Monaten für Attentate verantwortlich zeichneten.

So erscheint es fraglich, ob die arabischen Staaten derzeit ein wirkliches Interesse an einem umfassenden Friedensvertrag mit Israel haben. Jede weitere Eskalation in Israel lenkt weiter von einem möglichen Angriff auf den Irak ab. Die Botschaft der arabischen Staatschefs an die USA war klar: Wenn es überhaupt eine Vereinbarung über ein gemeinsames Vorgehen gegen den Irak geben kann, dann nur auf der Grundlage einer Befriedung des israelisch-palästinensischen Konfliktes.

Deshalb verließ der Irak auch als Sieger den arabischen Gipfel in Beirut. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren tauschten der irakische und der saudische Delegierte Bruderküsse aus; und nachdem der Irak Kuwait erstmalig die Anerkennung seiner territorialen Integrität zusicherte, schüttelte der kuwaitische Vertreter seinem irakischen Kollegen öffentlich die Hand. Zumindest vorerst fallen Kuwait und Saudi-Arabien als mögliche Alliierte der USA in einem Krieg gegen den Irak weg. Und eine weitere Zuspitzung des israelisch-palästinensischen Konfliktes liegt momentan im Interesse des Irak, der seit 1991 geschickt sein Schicksal mit dem des »palästinensischen Volkes« verknüpft hat.Anfang März hatte Saddam Hussein sich gegenüber Faruk Kaddoumi, der in Beirut die palästinenische Delegation anführte, »glücklich über die jüngsten palästinenischen Selbstmordattentate in Israel geäußert« (dpa).

Länder wie Saudi-Arabien, Kuwait und Jordanien fürchten augenblicklich den Unmut der eigenen Bevölkerung im Falle eines Angriffes der USA auf den Irak, der wie kein anderes Land in der Region in Krisenzeiten die »arabische Solidarität gegen Imperialismus und Zionismus« zu mobilisieren versteht, mehr als den unberechenbaren Nachbarn selbst. Zugleich fürchten Länder wie Jordanien und Ägypten, dass der Druck der Straße, die Palästinenser militärisch zu unterstützen, wächst, sollte Israel Arafat liquidieren oder ausweisen. Schon riefen aufgebrachte Demonstranten in Kairo nach dem ägyptischen Militär, auch in Damaskus und im Libanon gab es Massenkundgebungen gegen Israel.

So haben sich die arabischen Staaten in Beirut mit einer vage formulierten Erklärung als Friedensbringer geriert und Israel und die USA für jede weitere Eskalation verantwortlich gemacht. Auf eine nachhaltige Unterstützung der arabischen Staaten können die Palästinenser allerdings nicht hoffen. Der palästinensische Informationsminister Jassir Abed Rabbo stellte selbst fest, dass die Hilferufe Arafats ungehört verklingen würden. Die Palästinenser werden von den arabischen Staaten einmal mehr als Mittel benutzt, von anderen Vorgängen abzulenken, sei es die enge Verbindung Saudi-Arabiens mit dem al Qaida-Netzwerk, sei es der irakisch-amerikanische Konflikt.

Während Israel international weiter isoliert wird, ist die Stimmung innerhalb des Landes längst hoffnungslos. Die Innenstädte von Jerusalem und Tel Aviv sind fast ausgestorben, die wenigen Passanten werden von Sicherheitskräften kontrolliert. Dennoch sprengte sich in einem Jerusalemer Supermarkt eine Attentäterin der al Aqsa-Brigaden in die Luft, sie tötete zwei Israelis und verletzte mehr als zwanzig. Bei einem Selbstmordanschlag in einem Restaurant in Haifa starben am Sonntag mindestens 15 Menschen. Immer mehr Israelis emigrieren nach Amerika, Australien oder Europa, und immer häufiger wird in endzeitlichen Metaphern von der Lage gesprochen. Der israelische Schriftsteller Aharon Appelfeld erklärte kürzlich, man beginne sich wie ein »Eindringling im eigenen Land« zu fühlen.

Diese Unsicherheit und Angst in Israel - inzwischen sterben wöchentlich mehr Israelis als Palästinenser - wird von vielen Arabern als Teilsieg empfunden. Der arabische Autor Fouad Ajami fasste diese Stimmung in der vergangenen Woche im Wall Street Journal so zusammen: »Ein stinkender Wind weht durch die arabischen Staaten, denn die Überzeugung, dass Israel sich jetzt auf dem Rückzug befindet, hat sich in den Köpfen der Araber festgesetzt, die Vorstellung, dass nicht nur die Resultate des 67er Krieges, sondern auch des Jahres 1948, also Israel, rückgängig gemacht werden können.«

Die Resultate des Kriegs von 1967 vollständig wiederherzustellen und die palästinensischen Gebiete dauerhaft militärisch zu besetzen, wäre jedoch kein Sieg Israels, sondern eine weitere Niederlage. Wie 1982 wäre zwar Arafat wieder der Verlierer, aber nicht der einzige.