26.06.2002
Der Kölner Müllskandal und die Folgen für die SPD

Der Genosse der Gosse

Wegen des Kölner Müllskandals sitzt Karl Wienand wieder in Haft. Er war einmal ein wichtiger Mann in der SPD. Ein Porträt

Gerade erst hatte die nordrhein-westfälische SPD die Aufklärung des Kölner Schmiergeld- und Spendenskandals für erledigt erklärt, schon steckten die Genossen wieder tief im Sumpf. Genauer: im Müll. Und mittendrin ein Genosse, der ihnen wie ein böser Geist aus einer längst vergangenen Zeit erschienen sein dürfte: Karl Wienand.

Tapfer hatten die Kölner SPD, die Landes- und die Bundespartei so getan, als hätten sie es gar nicht mitbekommen, dass bereits Anfang März der Name des 75jährigen im Zusammenhang mit dem Kölner Skandal auftauchte. Dem SPD-Bundestagsfraktionschef Peter Struck fiel nur die verblüffte Frage ein: »Lebt der überhaupt noch?« Nun weiß er es. Denn die Verhaftung des 75jährigen vor zwei Wochen hat der SPD genau die Schlagzeilen beschert, die sie mit allen Mitteln im Bundestagswahlkampf vermeiden wollte.

Karl Wienand, der Mann aus Windeck an der Sieg, war einmal eine große Nummer in der SPD. Er gehörte Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre nach Auffassung des Historikers Arnulf Baring »zum sozialliberalen Kernbereich, zur Handvoll ihrer wichtigsten Figuren«. Die Sozialdemokraten verdanken ihrem »Schlawienand« viel. Ohne seine krummen Geschäfte hätte Willy Brandt wahrscheinlich schon 1972 als Bundeskanzler seinen Abschied nehmen müssen. Bis heute hat der damalige parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion die Namen der Unionsabgeordneten nicht verraten, die sich durch seine »Großzügigkeit« überzeugen ließen, beim konstruktiven Misstrauensvotum nicht für den Unionskandidaten Rainer Barzel zu stimmen. Nur die Anzahl verriet er: »Es waren vier.«

Die Karriere des Bauarbeitersohns, dessen Vater die Nazis als Kommunisten einsperrten, verlief nach seinem Parteieintritt im Jahr 1947 rasant. Mit 25 Jahren war er bereits Mitglied des SPD-Bezirksvorstands Mittelrhein und Bürgermeister der Gemeinde Rosbach, mit 26 Jahren saß er 1953 als jüngster Abgeordneter im Bundestag. Zehn Jahre später wurde er stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und Wehrobmann seiner Fraktion. 1967 machte ihn der damalige Fraktionsvorsitzende Helmut Schmidt zu seinem Parlamentarischen Geschäftsführer. Diesen Posten behielt er auch, als Herbert Wehner das Amt von Schmidt übernahm.

Wienand galt in der Fraktion als Mann für »heikle Fälle«. Ohne die Kungel- und Saufkünste des Vertrauten von Wehner und Brandt und Duzfreundes von Schmidt und Rau wären viele Projekte der sozialliberalen Koalition gescheitert. Wenn es sein musste, griff der Skatspieler und Jäger auch zu drastischen Mitteln. Als die CSU 1970 auf ihrem Nürnberger Parteitag mit großen Tönen den Übertritt des FDP-Parlamentariers Karl Geldner verkünden wollte, war Wienand schneller. Geldner, ein notorisch klammer fränkischer Bäckermeister, bekam einen großzügigen Kredit und blieb bei den Liberalen.

Schon 1971 verhedderte sich Wienand in einem Geflecht von lukrativen Partei- und Geschäftsbeziehungen. So wurde ihm nach der missglückten Notlandung eines Flugzeugs auf der Autobahn bei Hamburg, bei der 22 Menschen starben, vorgeworfen, die Charterfluggesellschaft »Paninternational« nicht ganz uneigennützig vor einer Prüfung durch die Luftfahrtbehörde geschützt zu haben. Er soll einen Beratervertrag mit der später bankrotten Skandalfirma gehabt haben. Das jedoch bestritt Wienand vor einem Untersuchungsausschuss, nannte die überwiesenen Geldbeträge an »Charter Charly« Darlehensrückzahlungen. Der Ausschuss kam zu keinem abschließenden Urteil. Es blieb der Verdacht von Zahlungen in Höhe von 162 500 Mark.

Im Dezember 1973 wurde seine Immunität wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung aufgehoben. Ein Jahr später legte er sein Bundestagsmandat nieder. Im November 1975 wurde er wegen Steuerhinterziehung - auch für die Bezüge von Paninternational - zu insgesamt 102 000 Mark Geldstrafe verurteilt.

Wienand startete seine zweite Karriere, zunächst als Geschäftsführer der Bonner Gesellschaft für kosmetische plastische Chirurgie und Ästhetik mbH Klinik International, dann als Unternehmensberater. Inzwischen ist er seit 20 Jahren für den Gummersbacher Anlagenbauer Steinmüller tätig und seit 15 Jahren für den Viersener Müllunternehmer Trienekens. Für den Besitzer einer Bonner Müllkippe handelte er als Bevollmächtigter Mitte der neunziger Jahre mit der Stadt Bonn einen Vertrag aus, der seinem Auftraggeber 6,25 Millionen Mark und Bonn eine »Müllaffäre« einbrachte. Sein damaliger Verhandlungspartner war der ehemalige CDU-Ratsfraktionschef und damalige Mülldezernent Reiner Schreiber. Auch er, Gerüchten zufolge ein Spezi Wienands, wurde unlängst unter Bestechungsverdacht verhaftet.

Der SPD blieb Wienand stets verbunden, und in den achtziger Jahren arbeitete er sogar an einem politischem Comeback. 1980 ließ er sich wieder in den Unterbezirksvorstand der SPD Rhein-Sieg wählen, 1981 in den Vorstand des Bezirks Mittelrhein. 1985 wurde er auch noch Mitglied des Parteirats. Politik und Geschäft gingen dabei für ihn stets Hand in Hand.

Doch 1990 war das parteipolitische Revival vorbei. Nachdem er wegen wiederholten Autofahrens unter Alkoholeinfluss zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden war, verzichtete Wienand auf seine Kandidatur für den Vorsitz im SPD-Unterbezirk Rhein-Sieg und zog sich aus der Parteiarbeit zurück.

Seine Geschäfte liefen allerdings weiter glänzend, bis 1994. Im Januar wurde der Vertrag zum Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage unterzeichnet. Vier Monate später aber geriet Wienand unter Spionageverdacht. 1996 wurde er zu zweieinhalb Jahren Haft und einer Million Mark Geldstrafe verurteilt. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht befand, er habe sich aus Geldgier und verletzter Eitelkeit nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag mit der Stasi eingelassen und zwischen 1977 und 1989 bei fast 100 konspirativen Treffen im westlichen Ausland mit seinem Führungsoffizier etwa 1,3 Millionen Mark »Agentensold« kassiert. Wienand bestreitet bis heute die Vorwürfe, doch der Bundesgerichtshof bestätigte 1997 das Urteil.

Im April 1999 gab Bundespräsident Roman Herzog einem Gnadengesuch Wienands wegen gesundheitlicher Probleme nach. Die Begnadigung verband Herzog jedoch mit einer fünfjährigen Bewährungszeit. Und die ist noch nicht um.

Nun wirft ihm die Kölner Staatsanwaltschaft Beihilfe zu Bestechlichkeit und Bestechung sowie Steuerhinterziehung vor. Von den 21,6 Millionen Mark an Schmiergeld, die die Gummersbacher Anlagenbaufirma Steinmüller im Zusammenhang mit dem Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage gezahlt haben soll, soll Wienand 4,4 Millionen kassiert und zusätzlich noch den für Hellmut Trienekens bestimmten Anteil in Höhe von zwei Millionen bekommen haben. Am 13. Mai wurde Wienand wegen Flucht- und Verdunklungsgefahr in Untersuchungshaft genommen und in die Düsseldorfer Justizvollzugsanstalt »Ulmer Höh« gebracht.

Danach wollte sich die SPD doch noch von ihrem verdienten Genossen trennen. Am vergangenen Wochenende kam Wienand allerdings einem drohenden Parteiausschluss zuvor und gab sein Parteibuch zurück. Eine grandiose Karriere ist zu Ende.