Deutsche Feierlichkeiten am 11. September

Schluss mit traurig

Während am letzten Mittwoch auf der anderen Seite der Welt die Angehörigen der Opfer trauerten, eröffnete Bundespräsident Johannes Rau im Deutschlandfunk, die Zeit der Trauer sei nun vorüber. Der Schrecken des 11. September verblasse, immerhin hätten wir jetzt auch die »Flutkatastrophe gehabt, und auch diese Bilder haben sich eingebrannt. Der Mensch kann überhaupt nur leben, wenn er die schrecklichen und die schönen Bilder, die sein Leben bestimmen, ein Stück weit auch verdrängen kann, denn er kann nicht immer mit dem Bild vom World Trade Center leben.«

Die Gelegenheit war günstig, also mahnte er seine Schutzbefohlenen, als ob sie die Attentäter selbst und die schrecklichen Bilder ihre schönsten wären, sie bräuchten »ein Amerika-Bild, das nicht nur die Büro-Zentralen von New York und die Regierungszentrale von Washington sieht, sondern diese 240 Millionen Menschen, die uns eng verbunden sind, von denen aber viele sich selber so genügen, dass sie den Blick auf die andere Seite der Welt nicht werfen«. Wissen die Amerikaner überhaupt, dass wir hier ein verheerendes Hochwasser hatten, das uns bis zu den Hüften stand? Halten sie Gedenkgottesdienste für die Flutopfer ab?

George W. Bush fasste sich kurz und erwähnte den Irak mit keinem Wort. Indessen erinnerte Gerhard Schröder noch einmal an die »aktuellen Meinungsverschiedenheiten« und erklärte wortreich, warum sein Satz von der »uneingeschränkten Solidarität« nicht so gemeint war. Bush, der angeblich in seinem ganzen Leben kein Buch zu Ende gelesen hat, bewies mit seiner an diesem Tag geübten Zurückhaltung einen Takt, dessen Schröder, der viele schlechte Bücher gelesen hat, gründlich ermangelt. Es ist eben alles eine Frage der Bildung.

Oder des rechten Glaubens? Die in London erscheinende Al-Hayat klagte, die Religiosität der US-Amerikaner habe sich auch nach dem Koranunterricht vom letzten September nicht vertieft. Den Vorwurf könnte sie den Deutschen schwerlich machen, die, als die Menge in New York schwieg, den Pfaffen das Wort erteilten. In Anwesenheit der höchsten Repräsentanten des Staates verglich Kardinal Georg Sterzinsky die Anschläge von New York und Washington mit Hiroshima, also Bin Ladens Krieg gegen »Kreuzfahrer und Juden« mit der Niederwerfung der Achsenmacht. Bischof Wolfgang Huber forderte hingegen eine »Achse des Friedens«. Jedem Seelenklempner seine eigene Achse, und die Ökumene erfüllt sich im Volk der Fernsehzuschauer.

Das erklärt sich, so ein Talkgast des MDR, die Abscheu der Islamisten vor dem Westen mit dessen Verkommenheit - um nur die Sexfilme auf RTL und die Silikonimplantate zu nennen. So mag sich der uneingeschränkte Wille zum Dialog mit den Massenmördern von Bagdad und anderswo auch mit einem Hass auf die Zivilisation erklären, die ja schon den alten Germanen, die es in ihren Wäldern ganz zufrieden waren, förmlich aufkomplimentiert werden musste. Dass es mit ihr bis heute nicht weit her ist, beweisen Trauerfeiern, die einzig zu dem Zweck abgehalten werden, zu bekunden, mit der Trauer sei es nun vorbei.

Die Möglichkeit, in diesem Fall ganz auf sie zu verzichten oder wenigstens die Fortsetzung der Kritik am kriegslüsternen Amerika, von der man zuletzt am Dienstag gehört hatte, auf Donnerstag zu verschieben, kam niemandem in den Sinn. Und das ist eben, wie wir Transatlantiker sagen, the difference that makes a difference.