Einwanderungsdebatte in Frankreich

Gute Feinde

Kaum jemand hatte erwartet, dass sich ausgerechnet die neue konservative Regierung in Paris dieser Frage widmet. Doch in den vergangenen Wochen avancierte die Diskussion um die Integration der in Frankreich lebenden Einwanderer zu einem der wichtigsten Themen der Regierung. Einen entsprechenden Vertrag (contrat d'intégration) zwischen dem Staat und den Neuankömmlingen schlug Staatspräsident Jacques Chirac in einer viel beachteten Rede Mitte Oktober vor.

Ein junger Abgeordneter der neuen bürgerlichen Einheitspartei UMP, Yves Jégo, forderte sogar, den legalen Einwanderern das Wahlrecht auf kommunaler Ebene zu geben. Er wurde jedoch schnell gebremst. 90 Prozent der bürgerlichen Abgeordneten und auch Premierminister Jean-Pierre Raffarin erklärten ihre Ablehnung. Dennoch hat sich in der Zuwanderungsdebatte, die in den vergangenen Jahrzehnten zumeist von irrationalen Ängsten und durch den Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen geprägt war, der Tonfall scheinbar geändert.

Nun wird es vor allem darauf ankommen, was der geplante Integrationsvertrag zum Inhalt hat. Die Rede ist vom Sprachunterricht und von Landeskunde, »nach dem Vorbild dessen, was in manchen unserer Nachbarländer existiert«. Damit spielte Chirac auf die neuen Regelungen an, die seit einiger Zeit in Deutschland, Österreich, Dänemark und den Niederlanden gelten. Aber die Tatsache, dass in dreien dieser Länder bis vor kurzem Koalitionen mit rechtspopulistischen Parteien regierten, stimmt nicht besonders optimistisch.

Die sozialdemokratische Parlamentsopposition zeigt sich indes sprachlos. Die konservative Mehrheit hat mittlerweile eines ihrer beliebtesten Argumente übernommen, wonach der »notwendige Kampf gegen die illegale Einwanderung«, so Chirac, mit der Integration der legal im Lande lebenden Immigranten einhergehen müsse.

Die neuen Töne erklären sich auch aus wirtschaftlichen Veränderungen. Das absehbare Defizit der Rentenversicherung und der Mangel an ausgebildeten Fachkräften in bestimmen Sektoren haben die Einwanderungsdiskussion beeinflusst. Seit dem Ende der neunziger Jahre arbeiten daher sowohl konservative wie auch sozialistische Politiker an einem neuen »Konsens in der Einwanderungsfrage«. Die nützlichen und gut ausgebildeten Arbeitskräfte sollen kommen, die nutzlosen draußen bleiben.

Der Kampf gegen den inneren Feind geht dennoch weiter. Denn in der französischen Öffentlichkeit werden nach wie vor die jungen Einwanderer in den Banlieues mit Gewalt assoziiert und für die immensen sozialen Probleme verantwortlich gemacht, die tatsächlich wegen der jahrzehntelangen Vernachlässigung der großen Vorstädte entstanden.

Dabei ist nicht zu leugnen, dass sich an manchen Orten die Gewalt zu einer fast alltäglichen Angelegenheit entwickelt hat. Der Tod einer 17Jährigen, die Anfang Oktober in Vitry-sur-Seine von einem Kleinkriminellen mit Benzin übergossen und angezündet wurde, ist nur der dramatischste Ausdruck davon. Eine polizeiliche Krisenverwaltung wird an diesen sozialen Strukturen allerdings kaum etwas verändern.