Die Folgen des Tankerunglücks vor der Atlantikküste

Die Katastrophe aus der Tiefe

Nach dem Tankerunglück an der spanischen Atlantikküste drohen verheerende soziale Folgen. Die Regierung unternimmt kaum etwas.

Wenn es sein muss, trinken wir das Erdöl, damit es nicht in die Mündungen gelangt«, schreit ein Fischer am Hafen von Portonovo. Sie gelten in Galizien als »Flüsse des Lebens« und sind reich an Meeresfrüchten. »Tausende Familien leben vom Meer. Das ist für die nächsten fünf Jahre vorbei, an einigen Orten für zehn, wenn das Öl auf den Grund sinkt und die Meeresfauna erstickt«, sagt Xavi. Der Lehrer aus Pontevedra hilft am Wochenende dabei, die angespülten Erdölreste zu beseitigen. Das Unglück des Tankers »Prestige« hat verheerende Folgen. Von Tag zu Tag vergrößert sich die ökologische und auch die soziale Katastrophe, gegen die die in ihrer Existenz bedrohten Anwohner verzweifelt ankämpfen.

Es ist Samstagmorgen. Hunderte Freiwillige sind gekommen. In ihren ölbeschmierten weißen Plastikanzügen, hohen Stiefeln und Gasmasken sehen sie aus, als hätten sie gerade einen biologischen Angriff überstanden. Die andockenden Fischer laden statt Fisch eine klebrige, stechend riechende Suppe aus. Von den Ladeflächen der abfahrenden Lkw spritzt eine schwarze Masse. Ein Dutzend Helfer trägt Fischernetze zum Kai, um schwimmende Barrieren zu bauen. Auf dem Marktplatz sitzen Studenten auf ihren Rucksäcken. Wie schon am Wochenende zuvor sind aus Madrid, Sevilla, Barcelona und anderen Städten Busse gekommen. »Wir wissen noch nicht, wo wir untergebracht sind«, sagt eine Studentin, »aber man sagte uns, dass sowieso nicht genügend Gummistiefel vorhanden sind.«

Einen Monat ist es bereits her, dass die starke Flut 250 Kilometer vor der galizischen Küste die maroden, einschichtigen Stahlwände der »Prestige« wie einen Papierbeutel auseinander riss. Nach sechs Tagen versank das Schiff mit mehr als 60 000 Tonnen giftigem und Krebs verursachendem Erdöl im Meer.

Dort wollten es die spanische und die galizische Regierung auch wissen. »Sicher erreicht das Öl nicht die galizische Küste«, meinte der Gouverneur, Arsenio Fernandez de Mesa, noch am 14. November. Und der spanische Fischereiminister Arias Cañete erklärte: »Dank des schnellen Einsatzes der Behörden, um die 'Prestige' von der Küste zu entfernen, fürchten wir keine ökologische Katastrophe.« Jetzt liegt der Tanker 3 500 Meter tief auf dem Meeresgrund und verliert täglich mindestens 125 Tonnen Flüssigkeit. »Wir rechnen damit, dass in den nächsten Wochen auch noch die restliche Ladung aus den Tanks quillt«, so Ladislao, ein Ingenieur aus Vigo.

»Wir erwarten eine dritte schwarze Flut«, sagt Alberto Gil, ein Aktivist der Organisation Ecologistas en Acción. »Nach einem Monat gibt es immer noch keine Mittel und Geräte, um die Katastrophe zu mildern«, schimpft er. Er koordiniert die Säuberungsarbeiten. »Das Versagen jeglicher staatlicher Funktionen ist alarmierend«, meint auch Albert Rodriguez, der bei Greenpeace arbeitet.

Für nur acht Euro pro Stück habe Ende November eine kanadische Firma der spanischen Regierung komplette Schutzbekleidungen angeboten, berichtet José Luis, ein Angestellter des Katastrophenschutzes in La Coruña. Das Ministerium für Infrastruktur und Bau aber habe mit der Begründung, die Aufräumarbeiten seien bereits in ihrer Schlussphase, die Offerte abgelehnt. »Auch auf die Angebote mehrerer ausländischer Unternehmen, Spezialschiffe zum Säubern zu entsenden, reagierte die Regierung gar nicht oder erst sehr spät.« Gil weiß, warum: »Sie wollten es unter allen Umständen verhindern, eingestehen zu müssen, dass das Öl an die Oberfläche kommt.«

Gil telefoniert mit Radio 3. Der Moderator in Madrid berichtet von Enrique Lopez Vega, dem Fischereibeauftragten der galizischen Regierung, der kürzlich sagte, die Freiwilligen behinderten nur die Aufräumarbeiten. »Es ist unglaublich, die Behörden helfen kein bisschen, es gibt schon die ersten Erkrankungen durch das Einatmen der giftigen Gase, und die Verantwortlichen verschlimmern die Lage«, beschwert sich Gil. Gruppen wie Ecologistas en Acción müssten die Koordination der Arbeit übernehmen, um Schlimmeres zu verhindern. Er meint die drohende Verseuchung im Landesinneren. »Die Müllhalden werden in der Nähe der Küsten eingerichtet, ohne die geringsten Vorkehrungen zu treffen«, erklärt die Umweltaktivistin Marije. »Niemand ist sich darüber im Klaren, dass wir es hier mit Sondermüll zu tun haben.«

An einem Strand begegnen wir dem Personal von Tragsa. Die Firma wurde von den Behörden beauftragt, Menschen zum Säubern der Küsten einzustellen. Nach offiziellen Angaben soll den betroffenen Fischern damit eine Arbeitsmöglichkeit geschaffen werden, um ihre Verluste zu kompensieren. Doch wer sich kritisch über die Regierung äußere, werde nicht angestellt, sagt Gil. »Die lassen dich einen Fragebogen mit Fragen zum Ablauf der Katastrophe ausfüllen, und deine Antworten sind ausschlaggebend, ob du eingestellt wirst.«

Auch in Pontevedra ist die Kritik an den Behörden deutlich. »Die Hilfsbereitschaft der Leute ist wirklich erstaunlich, aber wir brauchen professionelle Kräfte, denn mit gutem Willen allein werden wir zu nichts kommen«, meinen Miguel Angel und Tomas, zwei Feuerwehrleute aus Teruel. Sie haben sich frei nehmen müssen, sind auf eigene Kosten angereist und stehen jetzt täglich um sechs Uhr auf, um die Arbeit zu organisieren. »Ein Glück, dass die Feuerwehrmänner kamen«, sagt José Ramon von der Umweltgruppe Defensa da Ria. Sie seien viel effizienter als die Soldaten, die ohne Material erschienen seien. »Die Soldaten arbeiten nur, wenn die Presse da ist«, schimpft Ramon. »Oder wenn Minister kommen«, ergänzt eine ältere Frau.

In dem Ort Cangas diskutiert eine Gruppe Jugendlicher mit Einwohnern. »Am 6. Dezember haben die Politiker in Madrid die Verfassung gefeiert, anstatt, wie wir, nach Galizien aufzubrechen. Und Fraga war am Wochenende nach dem Unglück der 'Prestige' in Kastilien auf der Jagd«, beschweren sich die Helfer. Doch die Älteren verteidigen den galizischen Ministerpräsidenten Manuel Fraga. Die Fischer, die in einer Hafenbar eine Pause einlegen, sind gereizt: »Aznar belügt uns alle, die öffentlichen Medien sind manipuliert, er soll sich nur trauen, hierher zu kommen.«

Die Schäden für die Menschen und die Umwelt sind enorm. In Galizien sind mehr als 1 300 Kilometer Küste verseucht, betroffen sind aber auch Asturien, Kantabrien und das Baskenland. Wichtige Naturschutzgebiete wie die Inseln Ons und Sies hat die schwarze Flut erreicht. Selbst portugiesische und französische Ortschaften meldeten bereits Ölfunde.

Rund 16 000 Menschen arbeiten in Galizien als Fischer, knapp 6 000 leben von der Ausbeute an Meeresfrüchten, die allermeisten von ihnen sind Frauen. Etwa 12 000 Beschäftigte gibt es in der Konservenindustrie und knapp 7 000 im Verkauf der Fischereiprodukte. Ein Fünftel des galizischen Sozialprodukts wird in diesem Wirtschaftszweig erzeugt. Vor allem seit dem Ende der Werftindustrie hatte die Region schon mit einer hohen Arbeitslosenquote zu kämpfen.

»An mehreren Stränden wurde uns von bewaffneten Soldaten der Zutritt untersagt«, beschwert sich Iñaki, der mit seinem Kamerateam in Galizien drehte. Gil bestätigt die Zensur: »An vielen Stellen überschreitet die Armee ihre Kompetenz, sie führt sich als eine Art Schutztruppe auf.« Diese Maßnahmen erregten bereits den Protest der Angestellten des öffentlichen Fernsehens. In der vergangenen Woche nahmen 150 000 Menschen an einer Demonstration in Vigo teil - mehr als je zuvor in Galizien - und forderten den Rücktritt der Zentral- und der Regionalregierung. Fast wöchentlich gibt es in Galizien Demonstrationen unter dem Motto: »Nie wieder«.