Ein bisschen Fahndung

Die türkischen Behörden suchen die Drahtzieher der Terroranschläge in Istanbul lieber im Ausland. Denn die Regierung will nicht, dass sich noch mehr Islamisten von ihr abwenden. von sabine küper-busch, istanbul

Stolz führte die türkische Polizei in der vergangenen Woche der Presse den angeblichen Anstifter der Terroranschläge von Ende November in Istanbul vor. Die Zeitungen durften Bilder veröffentlichen, auf denen der mutmaßliche Terrorist Fevzi Yitiz den Beamten im Istanbuler Industrieviertel Ikitelli die Werkstatt zeigte, in der die Bomben gebaut worden sein sollen.

Den Befehl, in Istanbul zuzuschlagen, will Yitiz nach Informationen der Tageszeitung Hürriyet von Usama bin Laden über drei türkische Kuriere bekommen haben. Bin Laden habe den Anschlagsplänen allerdings nur unter der Bedingung zugestimmt, »dass sie gegen die Amerikaner und ihre Verbündeten gerichtet sind und nicht gegen Türken«. Da es vor allem muslimische Opfer gegeben habe, werte bin Laden die Anschläge nun als Fehlschlag, folgert der türkische Geheimdienst aus den Äußerungen von Yitiz.

Der Gefangene soll zudem ausgesagt haben, dass er 1994 in Afghanistan in einem Lager der al-Qaida militärisches Kämpfen und den Umgang mit Sprengstoffen gelernt hat. Man habe ihm auch gezeigt, wie man Anhänger dazu motiviert, Selbstmordattentäter zu werden. Drei Monate habe er mit einer Gruppe von Glaubensgenossen die Anschläge vorbereitet. Ausgeführt worden seinen sie von vier freiwilligen Selbstmordattentätern. Yitiz soll sich zu dem Zeitpunkt im Iran befunden haben. Bei der Rückkehr in die Türkei sei er dann am iranischen Grenzübergang zur anatolischen Provinz Hakkari festgenommen worden.

Was an der Geschichte stimmt und was nicht, ist nicht zu verifizieren. Yitiz’ Familie und sein Umfeld behaupten, er sei zwar übermäßig religiös, aber nicht fanatisch gewesen und auch kein Mitglied irgendeiner Organisation. Am Freitag vergangener Woche meldeten die Behörden die Festnahme von Adnan Ersoz. Er soll von bin Laden persönlich die Anweiungen zu den Anschlägen erhalten haben, was er jedoch bestreitet. Hürriyet meldet außerdem, Anti-Terror-Einheiten der Polizei und der Geheimdienst gingen davon aus, dass sich im Umfeld der Attentäter etwa 450 Sympathisanten befänden. Alle hätten in der Vergangenheit in Afghanistan, Pakistan und Tschetschenien gekämpft oder wurden dort militärisch von al-Qaida-Organisationen geschult.

Auffällig ist, dass ausschließlich Hürriyet über die Hintergründe des Anschlags informiert ist. Bereits wenige Tage nach den Explosionen, bei denen 61 Menschen ermordet wurden, wusste die Tageszeitung über den mutmaßlichen Täter zu berichten. Das Massenblatt der Dogan-Holding, die den türkischen Medienmarkt dominiert, steht politisch dem Generalstab nahe.

Die Regierung und auch der Generalstab sind zur Zeit vor allem daran interessiert, sowohl der eigenen als auch der internationalen Öffentlichkeit schnell eine Version der Hintergründe der Anschläge zu präsentieren, die möglichst wenig auf Terrorstrukturen in der Türkei hinweist und klare Verbindungen zu ausländischen Terrorstrukturen herstellt. Durchsickernde Nachrichten über geheime Pläne zur Wiederherstellung der nationalen Sicherheit lassen jedoch vermuten, dass Ankara sich durchaus Sorgen wegen eines unter den Augen des Geheimdienstes gewachsenen islamistischen Terrornetzes in der Türkei macht.

Demnach will der militärische Geheimdienst bei derartigen Terroranschlägen stärker in das Krisenmanagement eingreifen, gleichzeitig sollen alle islamistischen Publikationen, Vereine und Gruppen strengstens unter die Lupe genommen und, wenn nötig, aus dem Verkehr gezogen werden. Auch die Entscheidung der Regierung, die umstrittenen Korankurse an den Wochenenden und in den Ferien an Schulen stattfinden zu lassen, wurde plötzlich abgebügelt. Das Ministerium für religiöse Angelegenheiten erklärte, es sei nicht der richtige Zeitpunkt, um Lehrer dafür abzuordnen.

Der größte islamistische Dachverband ist der »Verein für Gedankenfreiheit und für das Recht auf Bildung für alle« (Özgür-Der). Verschiedene islamistische Zeitschriften und Nachrichtenagenturen, Vereine und Prominente unterstützen ihn. Sie formulieren die Inhalte, die die islamische Regierungspartei von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan aus Vorsicht vor dem von den Generälen dominierten Nationalen Sicherheitsrat, nicht mehr zu den dringlichen Themen ihrer Politik macht. Allen voran die Kopftuchfrage. In der Türkei dürfen in öffentlichen Gebäuden und in manchen Berufszweigen auch weiterhin keine Schleier oder Kopftücher getragen werden.

In einem Chat-Room auf der Web-site von Özgür-Der wird über den Umgang mit der Kopfbedeckung diskutiert. Die Kommentare reichen von Verständnis bis zu unverhohlenem Zorn über die Heuchler und Stiefellecker in der Regierung. »Bush ist genauso ein Terrorist wie Saddam Hussein«, kommentierte Özgür-Der die Festnahme des irakischen Ex-Diktators. Es wird zwar die Verhaftung begrüßt, US-Präsident Georg W. Bush aber zum weltweiten Agressor erklärt.

Im Zentrum des Interesses steht allerdings Palästina. Eine Befreiung Jerusalems sei der Traum aller Muslime, schwärmt Hamza Türkmen, Herausgeber der Zeitschrift Küdüs (Jerusalem), die ebenfalls Özgür-Der angehört. Das Blatt vertritt die Ansicht, dass Anschläge in den palästinensichen Gebieten, in Israel, Tschetschenien, Afghanistan und dem Irak eine notwendige Antwort auf den Terror der Herrschenden gegen die muslimische Bevölkerung darstellen.

Die Terrorakte vom 11. September 2001 in den USA und die Anschlagsserie in Istanbul verurteilt Özgür-Der allerdings als unmenschlich und unmuslimisch. Viele Kommentatoren auf der Website sehen dahinter allerdings abstruse Komplotte westlicher Geheimdienste. Bin Laden sei schließlich ein ehemaliger CIA-Agent.

Bin Laden sei die Antwort auf die jahrelang herrschende Unterdrückung in unterentwickelten Gesellschaften wie Afghanistan, behauptet dagegen Türkem. Anders als die Taliban, die einen übertriebenen Druck auf die afghanische Bevölkerung ausgeübt haben, sei bin Laden ein Vorbild für viele gut ausgebildete jüngere Glaubenskämpfer, die auf den steigenden imperialistischen Druck mit Terroakten reagierten.

Türkem glaubt, dass Ministerpräsident Erdogan viele seiner Anhänger enttäuscht hat. So versprach er den Kopftuch-Studentinnen, die in den neunziger Jahren den aktivsten Teil der proislamischen Bewegung darstellten, dass die islamische Kopfbedeckung überall zugelassen werde. Inzwischen sitzen nur unverschleierte Frauen für seine Partei im Parlament. »Wir machen aus Istanbul Islambol und ihr seid die Glaubenskämpfer«, brüllte der Islamistenführer Necmettin Erbakan noch 1997 am Jahrestag der »Eroberung Istanbuls« im überfüllten Inönü-Stadion. Erdogan stand an seiner Seite.

Die Zeiten haben sich geändert und auch die Ansichten des früher von Erbakan dominierten Regierungschefs. Bei seinen damaligen Anhängern sieht das anders aus. Die Moderaten schlossen sich dem Erdoganismus an, von den Radikalen gingen aber einige nach Tschetschenien und Afghanistan, um zu kämpfen. Auch die Infrastruktur der islamistischen Bewegung konnte trotz der repressiven Politik des Militärs ab 1999 nicht völlig zerstört werden.

Besonders erfreut ist Türkmen darüber, dass sich in letzter Zeit eine stärkere Verbindung zwischen der westlichen Anti-Globalisierungsbewegung und der islamischen Bewegung ergeben hat. Diese Darstellung unterstreicht ein Bild von Rachel Corrie, die im März bei dem Versuch, ein Haus in Gaza vor der Zerstörung zu schützen, von israelischen Bulldozern zerquetscht wurde. Das Foto erschien auf der Rückseite der Dezember-Ausgabe von Küdüs.

Die Aufnahme ist allerdings nicht ganz authentisch. Corrie wurde mit der Hilfe eines Bildbearbeitungsprogramms ein schwarzes Kopftuch umgebunden.