Afrikas Nummer eins

In vier afrikanischen Ländern bemüht sich der Bundeskanzler in dieser Woche um bessere diplomatische Beziehungen. Deutsche Interessen und Sicherheitspolitik stehen dabei im Vordergrund. von alex veit
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Auf den Nummernschildern deutscher Diplomatenwagen in Kenia steht »1 CD«. Als die britische Kolonie 1963 die Unabhängigkeit erlangte, war es die Bundesrepublik, die zuerst diplomatische Beziehungen zu dem neuen Staat in Ostafrika aufnahm. In den vergangenen Monaten wurde dieser Umstand immer wieder betont, um auf die traditionell engen diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten hinzuweisen.

Zwar kühlten sie in den neunziger Jahren spürbar ab, sollen nun aber wieder belebt werden. Denn seit etwas mehr als einem Jahr regiert in Kenia Mwai Kibaki, ein Präsident, der für sich reklamieren kann, durch eine demokratische Wahl in sein Amt gelangt zu sein. Da trifft es sich besonders gut, dass der außen- und sicherheitspolitische Berater im Bundeskanzleramt, Bernd Mützelburg, während seiner Zeit als deutscher Botschafter in Kenia gute Kontakte zur damaligen Opposition aufbaute, die nun in Nairobi regiert.

Wahrscheinlich ist es Mützelburgs Einfluss zu verdanken, dass Kenia eine der vier Stationen auf der Afrikareise von Bundeskanzler Gerhard Schröder in dieser Woche ist. Schröder besucht außerdem Äthiopien, Südafrika und Ghana. Die deutsche Regierung möchte, wie Mützelburg es vor der Reise formulierte, »als Mittelmacht« auch unabhängig von den ehemaligen europäischen Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien Afrikapolitik betreiben. Deshalb solle gerade mit Kenia eine »privilegierte Partnerschaft« aufgebaut werden, die sich vorerst vor allem in der Verdopplung der finanziellen Zuwendungen auf 50 Millionen Euro in den nächsten zwei Jahren ausdrückt.

Kenia ist als Ansatzpunkt einer neuen deutschen Afrikapolitik keine schlechte Wahl. Das ökonomische Zentrum Ostafrikas unterhält keine besonders engen Beziehungen zu Frankreich, dessen Vorgaben sich die deutschen Politiker in der Afrikapolitik ansonsten unterordnen. Zudem entsprechen die Anti-Korruptionsagenda der neuen kenianischen Regierung und ihre liberale Wirtschaftspolitik ziemlich genau den Vorstellungen der rot-grünen Regierung über »gute Regierungsführung« in afrikanischen Staaten.

Darüber hinaus ist Kenia ein Schlüsselland im so genannten Kampf gegen den Terror. Bereits 1998 wurde die US-amerikanische Botschaft Ziel eines verheerenden Bombenanschlags, und 2002 explodierte vor dem Eingang eines von israelischen Touristen frequentierten Hotels in der Touristenmetropole Mombasa eine Bombe. Die deutschen Marineflieger, die im Rahmen der Operation Enduring Freedom in Mombasa stationiert waren, wurden im September 2002 allerdings abgezogen. Nun kündigte Mützelburg an, dass die Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten der beiden Länder verstärkt werden solle, ohne auf Einzelheiten eingehen zu wollen.

Seit die Regierung Kibaki im Amt ist, wird sie vor allem von den USA umworben. Ihre Vermittlung zwischen den Bürgerkriegsparteien im Nachbarland Sudan wurde von US-Außenminister Colin Powell sogar für so wichtig befunden, dass er Ende vorigen Jahres zu den Verhandlungen ins kenianische Naivasha flog. Dort versuchte er erfolgreich, die Regierung Sudans und die mit den USA verbündete Rebellengruppe Sudan People’s Liberation Army (SPLA) zu einem Abkommen über die Aufteilung der beträchtlichen Ölvorkommen des Landes zu bewegen.

Ob ein endgültiger Friedensvertrag im Sudan zustande kommt, wird sich wahrscheinlich in den nächsten Tagen herausstellen. Kurz vor Neujahr spekulierte Kerstin Müller, die grüne Staatsministerin im Auswärtigen Amt, bereits über die Stationierung deutscher Soldaten im Rahmen einer möglichen UN-Blauhelmmission im Sudan. Das Kanzleramt hält sich bedeckter. »Wir können uns die Stationierung von ein bis zwei Stabsoffizieren in einer Waffenstillstandskommission vorstellen«, erklärte Mützelburg vor der Presse.

Eine solche Stationierung wäre nach der Beteiligung an der EU-Truppe in der Demokratischen Republik Kongo im letzten Sommer der zweite Schritt bei der Militarisierung der Afrikapolitik durch die rot-grüne Regierung. Zur Enttäuschung vieler dem grünen Milieu zugehörigen Entwicklungsorganisationen spielte Afrika für Außenminister Joschka Fischer unmittelbar nach seiner Amtsübernahme keine große Rolle. Erst im Jahr 2000 organisierte sein Ministerium eine Konferenz, die Ansätze einer neuen Afrikapolitik erarbeiten sollte. Eine Gruppe besonders dienstbarer, zum Teil ehemals linker Wissenschaftler um den Leipziger Ulf Engel verfasste zu dieser Gelegenheit ein »Memorandum zur Neubegründung deutscher Afrikapolitik«, in dem die Verantwortung für die Vielzahl der wirtschaftlichen und militärischen Krisen auf dem Kontinent ausschließlich den Afrikanern zugewiesen wurde. Der deutschen Regierung empfahlen die Autoren, auf der Basis eines technokratischen Quantifizierungskataloges Länder auszuwählen, die in den Genuss weiterer Entwicklungsgelder kommen sollen.

Länder »ohne Entwicklungsperspektive« sollten hingegen nur »Not- und Krisenhilfe« bekommen, »soweit nicht übergeordnete politische oder strategische Gründe dafür sprechen, sich hier in besonderem Maße krisen- und konfliktpräventiv zu betätigen«. Insgesamt sei die Afrikapolitik zu »politisieren«, was bedeutet, deutsche Interessen in den Vordergrund zu stellen.

Das Memorandum löste eine teils heftige Debatte unter Afrikanisten aus. In einer unter anderem von dem Politologen Henning Melber verfassten Replik wurde den Autoren vorgeworfen, sozialdarwinistische Thesen zu verbreiten, »wobei das Subjekt dieses Überlebenskampfs nicht wie bei Darwin die biologische Spezies, die Spezies Mensch, ist, sondern die Nation. Nicht um das gute Leben der Menschheit geht es, sondern um den Vorteil Deutschlands, allenfalls noch der EU.« Im Auswärtigen Amt hingegen nahm man das Papier dankbar auf und arbeitete es seitdem in verschiedene regional differenzierte »Strategiepläne« ein.

Vor allem seit dem 11. September 2001 liegt der Schwerpunkt der Afrikapolitik allerdings nicht mehr in der Entwicklungszusammenarbeit, sondern in der Sicherheitspolitik. Wie Joschka Fischer es zuerst formulierte, dürften »Afrikas Probleme« keinesfalls nach Europa »exportiert« werden. Für ihn werden die deutschen Interessen vor allem in den von Südostasien über den Nahen Osten bis an die ostafrikanische Küste reichenden Gebieten mit vorwiegend muslimischer Bevölkerung verteidigt. Um wieder einmal die Nummer eins in den diplomatischen Beziehungen mit afrikanischen Staaten zu werden, setzt die deutsche Regierung auf Interventionspolitik, und nicht auf ihre früheren Vorstellungen einer »nachhaltigen Entwicklung«, die in den Sonntagsreden rot-grüner Politiker weiterhin beschworen wird.