In Berlin geht was

Aber was? Bundespräsident Johannes Rau will, dass sich das Land noch einmal mit seiner Hauptstadt beschäftigt. jörg sundermeier macht den Anfang

Wolfgang Schäuble (CDU) sprach seinerzeit den Parlamentariern aus dem Herzen. »Es geht heute nicht um Bonn oder Berlin, sondern es geht um unser aller Zukunft, um unsere Zukunft in unserem vereinten Deutschland, das seine innere Einheit erst noch finden muss, und um unsere Zukunft in einem Europa, das seine Einheit verwirklichen muss, wenn es seiner Verantwortung für Frieden, Freiheit und soziale Gerechtigkeit gerecht werden will.«

Verwirklichen konnte Europa seine Einheit demzufolge nur in Berlin, und so beschloss der Bundestag, nach Berlin zu ziehen, nahezu alle Bundesinstitutionen folgten peu à peu. Dieses Berlin, dem gleich auch noch eine »Berliner Republik« zu Füßen gelegt wurde, sollte Schluss machen mit dem elenden Föderalismus, von hier aus sollte vielleicht sogar zentralistisch regiert werden. So hieß es Anfang der neunziger Jahre in der so genannten Hauptstadt-Debatte.

Inzwischen ist die Bundesregierung in Berlin, und das Bundeskriminalamt soll noch kommen. Doch Berlin ist pleite. Selbst der Auswärtige kann es sehen, denn nicht nur in den sozialen Initiativen, an den Hochschulen und Schulen und überhaupt wird das Geld knapp, nein, auch die Straßen befinden sich in Unordnung, nicht wenige Brunnen sind abgestellt, Fassaden bröckeln.

Mit Berlin aber ist eben auch die deutsche Hauptstadt pleite, das wichtigste Symbol des Projektes Deutschland. Das gibt selbstverständlich jeder Patriotin und jedem Patrioten Anlass zur Sorge. Und die Sorgen der Patrioten sind nun so groß, dass sich Anfang dieses Monats sogar der scheidende Bundespräsident Johannes Rau einschaltete. Die Diskussion um den zukünftigen Status der Stadt solle nach dem Willen Raus in der Föderalismuskommission des Bundestages und des Bundesrates geführt werden. »Die Kommission soll die Berlin-Frage behandeln«, forderte er. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), solle die Kommission für eine Diskussion über die Rolle der Hauptstadt nutzen und klären lassen, was Bund und Länder bereit seien, für Berlin zu tun.

»Dynamik in die Hauptstadtdebatte«, wie die Berliner Morgenpost das nennt, versuchen auch andere Verbände zu bringen. Denn diese Stadt wird, so heißt es unisono, bisher mit den Hauptstadtaufgaben nicht fertig. Doch was sind Hauptstadtaufgaben? Eine Hauptstadt hat zu repräsentieren, zu glänzen, muss Metropole sein, und, wenn es geht, sogar ein Mythos. Sie muss einen guten Ruf in aller Welt haben. So wie Paris! London! Oder New York! Entschuldigung, ich meine Washington.

Doch da ist nicht nur der weltweit gefürchtete Icke und seine ihm wesensgemäße Unfreundlichkeit vor. Berlin hat wenig von dem, was Neuberliner gern Urbanität nennen. Unternehmen, die den Steuereintreiber erfreuen, gibt es nur wenige, Sozialfälle dafür umso mehr. Die einst viel gerühmten Boulevards wie Unter den Linden oder der Kurfürstendamm sind heute bereits geehrt, wenn eine Starbucks-Filiale an ihren Gehsteigen eröffnet. Selbst wenn, wie neulich am Potsdamer Platz, ein neues Luxushotel eröffnet, kann Berlin nur solche Promis aufbieten, von denen die Menschen, die außerhalb des Sendegebietes des RBB leben, nie gehört haben.

Die Zeitungen dieser Stadt, die sich schon mal mit der Washington Post messen wollten, genießen wenig Ansehen, die meisten Neubauten sind öde und von der Einfallslosigkeit ihrer Architekten schwer gezeichnet, der Hauptbahnhof ist ein Kuriosum und die Berlin-Arena will sich, so hört man, nun wieder Velodrom rufen lassen.

Dann ist da noch die so genannte Hochkultur. Doch selbst an dieser Stelle hat Berlin zunächst wenig zu bieten. Es verfügt zwar über mehrere, einst ruhmreiche Theaterhäuser, doch sind Thomas Ostermeier und Klaus Peymann alles andere als Max Reinhardt, Erwin Piscator oder Heiner Müller.

Ähnlich sieht es an den drei großen Opern aus. Zwar geizen sie nicht mit Stars, doch die interessanteren Programme kann man in der Neuköllner Oper sehen. Auch ist diese Stadt zwar die deutsche Stadt, die die meisten Autoren als ihre Bewohner begrüßen kann, doch weder von einer munteren Verlagsszene noch von einem blühenden literarischen Leben kann gesprochen werden. So bleibt Berlin nichts als die Vergangenheit und die Subkultur.

Die Vergangenheit stellen in der offiziellen Erzählung die berüchtigten Goldenen Zwanziger Jahre dar, in denen es reichlich Koks und Sex gab, die Ermordung Walter Rathenaus hingegen, der Kapp-Putsch oder die SA-Trupps bleiben ausgeblendet. Auch mit der Vergangenheit lässt sich nicht hausieren gehen, denn jeder, der genauer hinsieht, wird beim Blick zurück eine kaiserliche Kolonialmacht finden, von den Jahren nach den Zwanzigern ganz zu schweigen.

So wendet sich Berlin inzwischen auch in der offiziellen Vermarktung durch das Tourismusmanagement der Zukunft zu. Denn die agilen, recht unbekannten Musikerinnen und Musiker und die nicht minder aktiven Literaten, die kleinen Plattenlabels und die Off-Galerien machen die Stadt bekannt, lassen sie als jung erscheinen und kosten vor allem nicht viel. In Berlin sind die Mieten niedrig, das macht die Stadt für Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt attraktiv. Man stellt ihnen nun verhältnismäßig wenig Gelder für Festivals wie die Transmediale oder Marke B zur Verfügung, überlässt ihnen die Volksbühne oder das Tempodrom und beschwert sich nicht mal, wenn dann eine Zapatista-Soli-Party stattfindet.

Die Künstler liefern gute Shows und angenehme Werke oft für einen Bruchteil dessen, was sie etwa in München an Honorar verlangen können, und verlangen zum Teil, weil sie es für eine Frage der Unabhängigkeit halten, nicht mal öffentliche Förderung. Andere werden von der Bundeskulturstiftung für vermeintlich subkulturelle Projekte belohnt.

All diese Künstler erzeugen einen Lärm, der Berlin attraktiv macht. Wenn sich jedes Jahr zu Neujahr rund 800 000 Menschen nach Berlin begeben, kommen sie nicht des Brandenburger Tores oder gar der Currywurst wegen, sondern weil ihnen in Lifestylemagazinen und in Reportagen der Eindruck vermittelt worden ist, Berlin brodele vor Leben. Selbst die geplante RAF-Ausstellung in den Kunstwerken, die nun doch nicht vom Senat gefördert wird, wirkt positiv für das Image der Stadt. »In Berlin geht was«, ist die Botschaft, und selbst Leute, die bekunden, nicht nach Berlin ziehen zu wollen, kommen seufzend mit ihren Umzugskisten, eben »weil es zu Berlin keine Alternative gibt«.

Dass sie so denken, liegt an dieser Subkultur, deren Produkte sich allerdings von denen der im großen Stil geförderten Institutionen oft nur dadurch unterschieden, dass ihnen die Produktionsmittel fehlen. Nicht wenige Künstler, wenn sie sich durchgesetzt haben, haben den Charme des Niedlichen und des Geheimtipps verloren und wirken plötzlich genauso öde wie die bereits etablierten Künstler.

Dennoch: Es ist und bleibt vorerst die Subkultur, freiwillig oder unfreiwillig, die das Projekt Berlin rettet. Ob sie nebenbei auch noch die »innere Einheit Deutschlands« und die europäische Einheit verwirklicht, sei dahingestellt. Nicht wenige Künstler in Berlin allerdings haben sich das in der letzten Zeit zur Aufgabe gemacht.