Arbeit, Arbeit, Arbeit

Die nächste Runde in der Reformdebatte ist eröffnet. Die Deutschen sollen länger arbeiten und weniger Urlaub nehmen. Dann kommt der Aufschwung ganz bestimmt. Die Jungle World diskutiert mit

Praktisch nichts verdient

Montagmorgen. Michael Rogowski, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), ist aufgeregt. Bereits seit zwei Stunden sitzt er am Schreibtisch, und nichts hat sich bewegt in Deutschland. Er greift zum Telefonhörer. Bei Hans-Werner Sinn, dem Leiter des Ifo-Instituts in München, klingelt es.

Sinn: Sinn, Ifo-Institut.

Rogowski: Hallo Hans-Werner, Michael hier, BDI.

Sinn: Hallo Mike, na, wie geht’s?

Rogowski: Gut, gut. Ich bin gerade am Überlegen, was wir in dieser Woche so fordern könnten. (Er lehnt sich zurück und legt die Füße auf den Schreibtisch.) Und da habe ich mir gedacht, die 40-Stunden-Woche bei Siemens in Nordrhein-Westfalen ließe sich noch steigern. Fordern wir doch einfach die 50-Stunden-Woche.

Sinn: Keine schlechte Idee. (Kichert in sich hinein.) Aber lassen wir das doch den Klaus Zimmermann vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforderungen, äh, für Wirtschaftsforschung machen. Dann regen sich alle furchtbar auf, und ich sage dann, 42 Stunden würden reichen. Dann sind alle wieder glücklich und zufrieden.

Rogowski: Genau so machen wir’s. Und weil wir schon mal bei den Arbeitszeiten sind, könnte ich auch gleich noch weniger Urlaub fordern. Ich ruf’ mal die Osnabrücker Zeitung an, ob die mich nicht dazu befragen will.

Sinn: Welches deiner Lieblingsmärchen willst du ihnen diesmal erzählen?

Rogowski: (Lächelt süffisant.) Ach, ich sag’ einfach, die deutschen Unternehmer hätten in den vergangenen Jahren »praktisch nichts verdient«.

Sinn: Haha! Genial! Der Dieter Hundt wird sich auf die Schenkel klopfen, wenn er das hört. Aber man sollte bei der Gelegenheit gleich noch den Arbeitslosen eins auf die Mütze geben. Wir könnten fordern, dass sie jeden Drecksjob machen müssen.

Rogowski: Stimmt genau. Da hab’ ich eine Idee. Das lassen wir den Hendrik Wüst machen.

Sinn: (Kratzt sich am Bauch.) Wüst? Wüst?

Rogowski: Ja, der sitzt im Bundesvorstand der CDU. Der ist 29, der ist scharf, der will noch was werden. Der soll fordern, dass Arbeitslose Spritzen auf Spielplätzen aufsammeln oder was in der Art.

Sinn: Sein Name passt jedenfalls. (Japst vergnügt.)

Rogowski: Und damit das eine runde Sache wird, soll der Horst noch was dazu sagen. Dass die Deutschen schon immer gezeigt haben, dass sie arbeiten können! Dass sie sich immer wieder selbst geholfen haben! Dass sie in der Krise zusammenstehen!

Sinn: Wunderbar. Weißt du, Mike, wenn du nicht in die Wirtschaft gegangen wärst, du hättest Politiker werden können. Ins Fernsehen hättest du es sicher auch geschafft.

Rogowski: Wirtschaft, Politik, Fernsehen, ist das nicht alles irgendwie das Gleiche?

Sinn: Da hast du auch wieder Recht, Mike.

Rogowski: Eben. Dir noch ’ne schöne Woche, Hans-Werner.

Sinn: Dir auch.

Beide legen den Hörer auf.

Sinn: Der Mike. Der hat’s schon drauf. Hut ab.

stefan wirner

Die 150-Stunden-Woche

Soso. Nach der 40-Stunden- jetzt die 50-Stunden-Woche. Die Arbeitszeiterhöhung in den nordrhein-westfälischen Siemens-Werken hat politische Folgen. Denn die IG Metall ist die größte Gewerkschaft ihrer Art auf der Welt. Ihre Siege oder Niederlagen haben Vorbildfunktion in anderen Ländern. Der Arbeiter in Deutschland trägt also die Verantwortung dafür, dass es den Leuten in der ganzen Welt gut geht.

Deutsche Wirtschaftsvertreter haben das auch erkannt. Es geht also gar nicht um Arbeitszeiten. Es geht darum, dass Deutschland in der Welt eine wichtige Rolle spielt. Der deutsche Soldat hat am Hindukusch auch die Tugend des deutschen Fleißes zu verteidigen. So wie die Metallarbeiter das eigentlich in ihren Betrieben machen müssten, um Signale in die Welt auszusenden. Ihr habt Verantwortung, KollegInnen! (Wieso überhaupt arbeiten gehen, könnte man auch mal fragen. Die Olle vom Filialleiter macht ditte ooch nich.)

Die Hirnforschung geht heute davon aus, dass Erinnerungen und Erlebnisse innerhalb einer Generation genetisch codiert werden können, also auch vererbbar sind. Was soll man von Leuten halten, die sich ein Foto ihres Weltkriegspapas auf den Tisch stellen und behaupten, ihre größte Leistung sei gewesen, deutsches Militär weltweit einsatzfähig zu machen, wie Bundeskanzler Gerhard Schröder, oder von jemandem, der seinen Nazi-Opa verehrt wie Friedrich Merz? Wie weit ist es vom Motto »Arbeit macht frei« bis zum heute vertretenen Ideologem: »Wir müssen mehr arbeiten, damit wir weltweit konkurrenzfähig bleiben«?

Und wie ist das mit unserer eigenen Veranlagung? Ist sie so zwanghaft wie die von Merz? »Ich würde auch nicht zum Arbeitsamt gehen, wenn ich arbeitslos werden würde«, sagt mir eine Redakteurin vom Tagesspiegel. Dass sie dort nur die von ihr selbst eingezahlten Beiträge abholen würde, kommt ihr gar nicht in den Sinn. Geschweige denn, ein Arbeitsamt zu besetzen.

In deutschen Betrieben hat sich längst die Ansicht durchgesetzt: Teilzeit ist Vollzeit bei weniger Lohn. Dabei ist die Arbeit an sich versaut, entwertet und korrumpiert wie die Menschen, die sie tun. Das hat die Debatte um die Gruppenarbeit in der Autoindustrie gezeigt. Die Manager schoben die Verantwortung für die Rentabilität den Arbeitern selbst zu. Keine klaren Fronten mehr zwischen Unternehmer und Angestelltem. Die Folge: Stress an der Maschine.

Die Ideologie der Disziplinierung ist in den Menschen fest verankert. Viele glauben, dass sie ihr Leben der Arbeits- und Existenzangst opfern müssen. Angst sorgt für verwirrte Köpfe. Für überzeugte oder meinetwegen radikale Linke hieße das: Ab sofort Aufnahmestopp für die Zeitkiller Medien, Alkohol, Drogen und schädlichen Arbeitskonsum. Sich selbst analysieren im Dialog mit anderen. Und gesunde Aggression muss auch sein. Nie im Leben will ich mir von einer Ostschrippe wie Angela Merkel und ihren Schergen sagen lassen, was ich wann, wo und wie zu tun habe.

jürgen kiontke

Warum nicht gleich so?

Kaum hat die Regierung beherzt einen Teil des Problems gelöst und erfolgreich die unverschämt auf Staatskosten vor sich hin lebenden Arbeitslosen zu künftigen Obdachlosen gemacht, stellen sich schon wieder neue leidige Fragen. Was macht man mit dem volkswirtschaftlich unproduktiven Menschenhaufen, der ja dadurch nicht kleiner geworden ist? Arbeiten tun die ja noch immer nicht.

Kann man ihnen nicht ihre Würde zurückgeben, indem man sie behutsam wieder der Arbeitsgesellschaft zuführt, die sie zuvor achtlos ausgestoßen hat? Anders formuliert: Kann man sie nicht irgendwie ausbeuten, vernutzen und Sklavenarbeiten verrichten lassen, wenn sie schon frech allmonatlich die Hand aufhalten? Muss es sein, dass arbeitslose Akademiker und Bauarbeiter grüppchenweise vor Supermarktfilialen stehen, sich mit Dosenbier launig zuprosten und dergestalt das Stadtbild verschandeln?

Die deutsche Politik hat ein Problem. Solange es nämlich noch nicht erlaubt ist, die Arbeitslosen allesamt in einen Sack zu stecken und auf dem Grund der Nordsee zu versenken oder sie in großen Mengen per Schaufelbagger von der Straße zu schaffen und wenigstens gewinnbringend zu Soylent Green zu verarbeiten, muss der Politiker sich notgedrungen etwas anderes einfallen lassen.

Und prompt, bevor ihnen die bislang nie um einen hübschen brutalen Vorschlag verlegene SPD zuvorkommt, haben ein paar Herren von der CDU schon äußerst moderne, kreative und wunderbar menschenverachtende Verfahrensweisen parat. Auf die CDU war in dieser Hinsicht stets Verlass, wenn sich die Sozialdemokraten wieder mal als zu feige und zu kleinmütig erwiesen.

Martin Kayenburg, der Fraktionsvorsitzende der schleswig-holsteinischen CDU, kann sich gut vorstellen, dass Langzeitarbeitslose, bevor sie wieder zu jammern anfangen, ihre Energie besser darauf verwenden, demnächst »verdreckte Bushaltestellen« und »dreckige Straßenlampen« zu säubern.

Und Hendrik Wüst vom Bundesvorstand der CDU fragt beispielsweise: »Warum sollen Arbeitslose nicht Spielplätze sauber halten, die häufig mit Hundekot, Glasscherben und Drogenspritzen verschmutzt sind?« Das sind durchaus passable, wenn auch noch etwas zaghafte Vorschläge.

Wenn alle Spielplätze, Bushaltestellen und Parkanlagen blank gewienert sind, könnte man das Arbeitslosenheer beispielsweise dazu verpflichten, alles erneut sorgfältig zu beschmutzen, dann gäbe es auch wieder Arbeit.

Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt, von dem man bereits hätte ahnen können, dass auch er es gerne sähe, wenn arbeitsscheue Subjekte dazu genötigt werden könnten, für einen Kanten Brot und einen Schluck Wasser die Halle des Frankfurter Flughafens mit der eigenen Zahnbürste zu reinigen, sagt das auch: »Im Grundsatz bin ich der Meinung, dass Arbeitslose jede Tätigkeit übernehmen müssen.« Ja, das ist in etwa der Sound, auf den wir gewartet haben. Irgendwie muss es ja auch nach der Agenda 2010 weitergehen, sonst drohen Reformstau, Stillstand und gar der Betonwohlfahrtsstaat.

Warum eigentlich nicht die offene Diktatur einführen? Es wäre ja früher oder später mal an der Zeit. Es ist ja eh schon allen alles vollkommen wurscht.

Oder, was die bei weitem innovativere Idee wäre, man ersetzt neoliberale Sportskanonen wie Herrn Wüst durch simple Sprechautomaten, die auf Knopfdruck das Wesentliche in kompakter Kürze fordern (»Gewerkschaften abschaffen!«, »Arbeitsverweigerer verhaften!«) und bei Bedarf auch andere drollige protofaschistische Phrasen von sich geben. Herr Wüst und andere kühne Verfechter eines modernisierten Arbeitsmarkts würden dann nicht mehr benötigt und wären in der Folge freigestellt für sinnvolle Tätigkeiten. Und da fielen einem auf Anhieb noch so einige ein, die dringend erledigt werden müssen.

thomas blum

Ich bleib im Bett

Die Wissenschaft hat festgestellt, dass der Mensch zur Gattung der Faultiere gehört. Etwa sieben Millionen Jahre lang, bis vor kurzem, lagen wir auf der Bärenhaut. Etwa drei Stunden benötigte der Mensch, seit er denken konnte, für die Reproduktion. Das heißt: Tief im Inneren eingeprägt ist uns die 21-Stunden-Woche. Jede Minute mehr ist anthropologisch absurd, Folter, unbegreiflich, spiritualistisch. Auch ökonomisch Quatsch.

Man sollte einmal die Katastrophen und Kosten, die durch die menschliche Arbeit entstehen, gegen die Kosten der Arbeitslosigkeit und des Nichtstuns aufrechnen. Ich vermute, nahezu alle Probleme der heutigen Menschheit entstehen dadurch, dass gearbeitet wird.

Seit wann gearbeitet wird, ist Ansichtssache. Seit ein paar hundert Jahren vielleicht. Dass ganze Völkerschaften in Statistiken gepresst werden können, die sie einteilen in Arbeitende, Arbeitslose, Sozialschmarotzer etc., ist eine Unsitte der vergangenen paar Jahrzehnte. In der DDR, der man manches nachsagen kann, hatten jedenfalls alle Arbeit und keiner tat was. Dieser Ex-Staat ließ ein Ideal durchschimmern, das darin bestehen könnte, dass Arbeit und Faulheit in eins fallen.

In Ländern wie Westdeutschland gibt es eine irrwitzige Vergötterung der Arbeit. Linke wie Rechte lieben die Arbeit, weil nur ein arbeitender Mensch ausgebeutet werden kann. Der Kampf um eine angemessene Beteiligung an der Ausbeutungsrate ist die raison d’être einer gedankenlosen Linken, die ihre anthropologischen Ursprünge verraten hat, und kein Unternehmer hat je über die Inhumanität von Unworten wie »Wachstum«, »Rentabilität« und »Dienstwagen« nachgedacht.

Nicht darüber sollten wir diskutieren, wie man ganze Völker zu Ausbeutungsobjekten macht, sondern darüber, wie ein Leben ohne Arbeit zu gestalten wäre. Wie vernünftige Faulheit aussehen könnte. Das zu tun, wäre eine kluge unternehmerische Leistung.

Auch immanent ist die Dummheit unübersehbar. Mir hat noch keiner erklären können, warum längere Arbeitszeiten, geringere Löhne und sinkende Einkünfte von Erwerbslosen, Studiengebühren etc. zur Sanierung der öffentlichen Haushalte, zu wirtschaftlichem Wachstum und sinkenden Arbeitslosenzahlen führen sollen. Worin der ökonomische Nutzen bestehen soll, wenn Sozialhilfeempfänger städtische Mülleimer leeren, statt unter der Paulinenbrücke zu sitzen und gelegentlich ein Bier zu trinken.

Ich würde die Faulheit nicht loben, wenn es nicht die einzige menschenwürdige Seinsweise wäre. Nur Faulheit gebiert Großes. Sicher, die meisten Menschen sind nicht fähig, korrekt faul zu sein. Aber sie können ja auch nicht gescheit arbeiten. Seit mehr als 50 Jahren beobachte ich, was, wie und wofür in Deutschland gearbeitet wird. Es ist eine Katastrophe.

Für mich persönlich habe ich das Problem gelöst, das darin besteht, dass Faulheit als asozial gilt. Erst wollte ich Musiker werden, dann wurde ich Schriftsteller. Als Schriftsteller kann ich im Bett liegen, in Kneipen, Kaufhäusern, Parks rumlungern, in Bibliotheken sitzen, wie ein Berber durch die Welt reisen. Ich behaupte einfach, ich müsste Material und Gedanken für mein nächstes Buch sammeln.

Ich krieg’ zwar fast keine Rente, und für meine Honorare würde kein Flaschner ein Klo reinigen, aber ich weiß, dass ich einer der wenigen bin, die einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen. Für viele, die man von klein auf zur Arbeit erzieht und verfolgt, wenn sie faul sind, ist das keine Lösung. Es wird aber jedem einleuchten, dass eine entwickelte Industriegesellschaft nicht alle mit Arbeit versorgen kann und dass es inhuman ist, den nicht verwertbaren Rest zu diskriminieren.

Wir brauchen eine neue Ethik der Faulheit. Schon im Elternhaus und in der Schule müssen die Menschen zu sinnvollem Nichtstun erzogen werden. So wie der gesellschaftliche Nutzen der Arbeit – nicht nur der individuelle – erst noch geschaffen werden muss, ist auch der Nutzen der Faulheit noch zu entdecken. Das Lob der Faulheit ist eine enzyklopädische Arbeit. Außerdem bitte ich darum, dass mal jemand dem neuen Bundespräsidenten das Maul verbietet.

peter o. chotjewitz