»Der Westen denkt komisch von uns«

Die libanesische Autorin Iman Humaidan-Junis sieht die Buchmesse als Chance für die arabischen Künstler und Intellektuellen

Iman Humaidan-Junis wurde 1956 in Ain Anub/Libanon geboren. Sie studierte Soziologie an der Amerikanischen Universität in Beirut und arbeitet seit 1989 als freie Mitarbeiterin für Feuilletons verschiedener arabischer Tageszeitungen. Bisher hat sie zwei Romane und mehrere Kurzgeschichten veröffentlicht. Zur Buchmesse erscheint ihr Roman »Wilde Maulbeeren« auf Deutsch.

Was erwarten Sie von der Frankfurter Buchmesse?

Die Araber sind seit 9/11 in einer sehr kritischen Situation. Die Buchmesse in Frankfurt ist eine Chance und eine Plattform für uns, um zu zeigen, dass es noch etwas anderes als diese 9/11-Perspektive gibt.

Ahmed Al Aidi, 29jähriger Erfolgsschriftsteller aus Ägypten, sagte, dass es idiotisch wäre, zeigen zu wollen, auch Araber seien gute Menschen und keine Terroristen. Für ihn gehe es um die arabische Kultur, die niemand ignorieren könne.

Natürlich kommen wir nicht nach Frankfurt, jedenfalls ich nicht, um zu zeigen, das wir auch gute Seiten haben. Ich halte es für idiotisch, alle Araber über einen Kamm zu scheren. Wenn ich »wir« sage, dann meine ich die arabischen Autoren und Intellektuellen, die normalerweise im Westen wenig präsent sind.

Es heißt immer, es gäbe eine mangelnde Kommunikation zwischen Ost und West.

Mangelnde Kommunikation gibt es nicht nur zwischen Ost und West. Mangelnde Kommunikation gibt es in allen Regionen, rund um den Erdball. Es existieren genug Probleme zwischen uns selbst, hier im Libanon und in der gesamten arabischen Welt. Da müsste man anfangen. Was mich aber so sehr stört, ist die Idee vom »Clash der Zivilisationen«, die in den USA besonders populär ist. Die Europäer haben darauf mit ihrem Dialogprogramm geantwortet. Was zwar unterschiedlich klingt, aber eigentlich ist es nur die andere Seite derselben Medaille. In beiden Fällen wirft man die gesamte arabische Welt in einen Topf: die Araber, die Moslems, die Terroristen. Also los, kommunizieren wir mit ihnen, mit dem Islam, mit den Fundamentalisten.

Stereotype sind auch eine Machtfrage.

Stereotype sind natürlich fabriziert, an denen wird gearbeitet. Gewiss gibt es hier Terroristen, Fundamentalisten, Rassisten, aber die findet man auch genauso leicht im Westen. Man muss sie nur sehen wollen. Für mich ist es wichtig, aus diesem Klischeeblickwinkel herauszukommen, und zwar in Ost und West.

Gerade bei der Publikation von Büchern aus der arabischen Welt spielen aber Stereotype und Klischees ein große Rolle. Wer z.B. über ein Frauenthema schreibt, hat größere Chancen, übersetzt zu werden.

Die Verlagsmenschen haben Vorstellungen von der orientalischen, arabischen Frau im Kopf, und diese Bücher bestätigen diese Vorstellungen. Ich sprach kürzlich in Beirut mit einem deutschen Filmemacher. Er erkundigte sich nach der Rolle der Frau, ob man denn hier über Sex sprechen kann etc. Da merkt man sofort, was für komische Vorstellungen diese Leute aus dem Westen von uns haben.

Welche komischen Vorstellungen sind das?

Es ist nicht wahr, dass wir nicht über Sex sprechen oder schreiben können. Es ist nicht wahr, dass die Frauen, die ein Kopftuch tragen, von den Männern dazu gezwungen werden. All diese Klischeevorstellungen eben. Ich kenne Frauen, die ein Kopftuch gegen den Willen ihres Ehemannes tragen.

Dennoch existiert eine Zensur, auch im Libanon. Vor kurzem wurde der »Da Vinci Code« verboten. Ist das ein obskurer Einzelfall?

Nein, es gibt eine Reihe von Büchern, die wegen sexueller und religiöser Restriktionen verboten wurden. Wenn zum Beispiel die weiblichen oder auch männlichen Geschlechtsorgane zu detailliert beschrieben werden, greifen die Zensurbehörden ein.

Die Grenzen der Zensur sind im Libanon nicht sehr klar. Im Vergleich zu anderen arabischen Ländern gilt der Libanon als liberal.

Ja, allerdings, ganz im Gegensatz zu Saudi-Arabien oder Syrien. Sex, Politik und Religion sind die drei Themen, bei denen es gefährlich werden kann. Es gibt keine klare Linie, manchmal ist man toleranter, manchmal werden Bücher auch einfach übersehen. Der »Da Vinci Code« ist ein gutes Beispiel, den konnte man seit Monaten in den Buchhandlungen kaufen. Allerdings auf Englisch. In dem Moment, als man ihn ins Arabische übersetzte und die Kirche davon Wind bekam, wurde das Buch verboten. Vielleicht, weil ein größeres Publikum Zugang bekommen hätte. Wer weiß, mir jedenfalls sind die Beweggründe der Zensoren schon immer ein Rätsel gewesen.

interview: alfred hackensberger