»Die Zensur ist oft skurril«

Der in Wien lebende Schriftsteller tarek eltayeb beschäftigt sich mit verbotener arabischer Literatur. Er kritisiert die Kooperation der Buchmesse mit der Arabischen Liga

Tarek Eltayeb wurde 1959 in einer sudanesischen Familie in Kairo geboren und lebt seit 1984 in Wien. Seine Bücher, auch auf Arabisch und Französisch erhältlich, sind auf Deutsch in der Edition Selene erschienen.

Welche Hoffnungen setzen Sie auf die Frankfurter Buchmesse mit dem Schwerpunkt arabische Literatur?

An sich ist es sehr positiv, dass die arabische Literatur in den Mittelpunkt der Frankfurter Buchmesse gerückt wird. Allerdings besteht das Problem, dass dieser Schwerpunkt auf einer Zusammenarbeit mit der Arabischen Liga, also mit den Machthabenden der arabischen Staaten beruht. Damit fallen automatisch viele oppositionelle und exilierte Schriftsteller, die nicht nur inhaltlich, sondern auch rein literarisch zu den besten gehören, die die arabische Literatur aufzuweisen hat, unter den Tisch. Aus dem Irak werden hier einige Schriftsteller, die schon unter Saddam Hussein regierungsnahe Literatur verfasst haben, präsentiert. Wo aber bleiben die wichtigen Exilschriftsteller, von denen nur wenige eingeladen wurden? Soweit ich weiß, fehlen Autoren wie Saadi Yousuf, Sargoun Boulus, Abdel Kadir al-Janabi, Fadel al-Azzawi, Abdel Rahman al-Rabie, Anwar al-Ghassani, Muayyad al-Rawi, Jamal Juma, Hatif al-Janabi und viele andere.

In Frankfurt werden vor allem Schriftsteller sein, die quasi in einer halboffiziellen Funktion als kulturelle Botschafter ihrer Länder gebraucht werden. Für oppositionelle Literatur ist dabei ebenso wenig Platz wie für junge AutorInnen, die oft sehr gute Literatur verfassen, aber nicht unbedingt in das Bild passen, das die Machthaber dort von der arabischen Literatur vermitteln wollen.

Das Problem ist aber auch, dass die arabische Literatur dort als gemeinsame Literatur dargestellt werden soll. Ich würde es ja sehr befürworten, wenn es diesen gemeinsamen literarischen Raum der arabischen Sprache geben würde, aber es gibt ihn eben in der Realität nicht. Beispielsweise können Bücher, die im Libanon oder in Ägypten erscheinen, in Saudi-Arabien oder in anderen Staaten verboten sein. Solange eine Vielzahl arabischer Bücher von den Regierungen zensiert wird, können wir nicht von einer arabischen Literatur sprechen, die in Frankfurt gemeinsam präsentiert werden kann.

Weshalb hat sich die Buchmesse für eine Zusammenarbeit mit der Arabischen Liga entschlossen, statt mit verfolgten oder zensierten SchriftstellerInnen zusammenzuarbeiten?

Das würde Deutschland nie wagen. Die arabischen Staaten sind ein viel zu wichtiger ökonomischer und politischer Partner der europäischen Staaten, als dass man es sich leisten könnte, die offiziellen Stellen zu übergehen. Abgesehen davon habe ich den Eindruck, dass den Veranstaltern manche jetzt auftretenden Probleme nicht wirklich bewusst waren.

Der Schriftsteller Rafik Schami hat kürzlich in einem Interview gemeint, dass die Organisation einer Buchmesse durch die Arabische Liga einem Vortrag von Dieter Bohlen über Adorno gleichkomme. Wie sehen Sie die Situation der Literatur und des Verlagswesens in den arabischen Staaten?

Der Vergleich mit Dieter Bohlen ist nicht schlecht. Neben der Zensur gibt es auch jede Menge anderer Probleme. Wenn von einem Buch 5 000 Exemplare verkauft werden, ist das in der arabischen Welt schon ein absoluter Bestseller. In Europa verkauft ein noch nicht so bekannter junger Schriftsteller vielleicht schon ebenso viele Bücher. Ein durchschnittlicher Europäer liest im Jahr über 36 Stunden Literatur, in der arabischen Welt sind es sechs Minuten. Beim hohen Analphabetismus und dem geringen Bildungsniveau in der arabischen Welt ist das kein Wunder.

Ich kenne einen sehr talentierten jungen nubischen Schriftsteller in Ägypten, Ahmad Abu Khneger, der letztes Jahr den staatlichen Literaturpreis bekommen hat. Er bekommt dafür etwas Geld, und sein Buch erscheint in einer Auflage von 500 Stück. Davon bekommt er 200 Stück, die er verschenken kann, und 300 verschimmeln in irgendwelchen Lagern und werden nie verkauft. Nicht einmal in seinem eigenen Dorf ist er wirklich bekannt. Wenn die Regierung tatsächlich daran interessiert wäre, dass die ÄgypterInnen mehr lesen, dann müsste sie versuchen, diese Literatur zu unterstützen, indem eine höhere Auflage subventioniert und der Vertrieb geregelt wird. Man kann die Literatur zum Beispiel an den Schulen verteilen, also dafür sorgen, dass sie zu den Lesern kommt. Es reicht nicht, ab und zu Preise zu vergeben.

Angesichts dieser Situation kann wohl auch niemand von seiner Literatur leben?

Stimmt, von den SchriftstellerInnen die ich kenne, gibt es keinen, der von der Literatur leben kann. Die meisten müssen sich irgendwoanders ihren Lebensunterhalt verdienen, sei es mit dem Schreiben für Zeitungen und Zeitschriften, sei es als Taxifahrer oder Lehrer. Viele sind sogar dazu gezwungen, die Produktion ihrer eigenen Bücher zur Hälfte bis zur Gänze selbst zu finanzieren.

Noch schlechter ist es dann wohl um die Literatur der Minderheiten innerhalb der arabischen Liga bestellt. Wird die kurdische oder nubische Literatur oder die Literatur der Berber in Nordafrika auf der Frankfurter Buchmesse vertreten sein?

Für die meisten arabischen Staaten ist schon allein die Erwähnung von Minderheiten ein Sakrileg. Man ist dann sofort im Verdacht, die nationale Einheit zu gefährden oder ein imperialistischer Agent zu sein. Selbstverständlich wird dann auch die Literatur der Minderheiten ignoriert. SchriftstellerInnen, die in einer Minderheitensprache schreiben, haben dann selbstverständlich noch viel größere Probleme mit der Veröffentlichung ihrer Bücher.

Sie arbeiten an einer Fortsetzung Ihres Romans »Städte ohne Dattelpalmen« und an einem Buch über verbotene arabische Literatur. Wie kamen Sie dazu, ein Buch über zensierte Literatur zu verfassen?

Das hat eigentlich damit begonnen, dass ich mir vor einigen Jahren in Kairo eine arabische Ausgabe von »Tausend und einer Nacht« kaufen wollte. Der Buchhändler hat mir dann vier dünne Hefte in die Hand gedrückt und erklärt, dass dies die »moralisch verbesserte« Ausgabe sei, die bereits von allen »unmoralischen« Stellen gesäubert worden sei. Ich habe dann immer wieder Fallgeschichten von SchriftstellerkollegInnen recherchiert, deren Bücher zensiert wurden, weil sie etwas Kritisches über die Regierung schrieben oder weil irgendwo etwas über Sexualität zu lesen war. Oft sind Bücher wegen einzelner Sätze zensiert worden, oder man hat plötzlich bei einer späteren Auflage einen Grund gefunden, das Buch zu zensieren.

Aus dieser Sammlung von Beispielen von Zensur wollte ich schon lange ein Buch machen, um die absurden und oft skurrilen Gründe für Zensur bekannt zu machen.

Soll dieses Buch auch auf Arabisch erscheinen?

Ich bemühe mich auf jeden Fall darum. Ich habe auch Kontakte zu arabischen Verlagen in Europa, und wenn es nicht in einem arabischen Staat erscheinen kann, dann eben hier.

interview: thomas schmidinger