Was symbolisiert die Bibliotheca Alexandrina?

Historischer Reichtum von götz nordbruch

So viel Streit war selten. Die zahlreichen Berichte vor der Frankfurter Buchmesse vermitteln den Eindruck, der diesjährige Schwerpunkt habe in der arabischen Öffentlichkeit eine rege Debatte um das Selbstverständnis der arabischen Kultur ausgelöst. Arabische Stimmen, die die geplante Präsentation und die Auswahl der teilnehmenden Autoren mit guten Argumenten kritisieren, werden ausführlich zur Kenntnis genommen. Die gestellten Fragen sind so aktuell wie nie, doch in der Berichterstattung beispielsweise der ägyptischen Medien haben sie angesichts der offiziellen Euphorie über das Kulturereignis in Frankfurt kaum eine Chance, Gehör zu finden.

Weniger laut, aber für die Bestimmung des kulturellen Selbstverständnisses wohl bedeutsamer sind andere Debatten. Die Bibliothek von Alexandria, die dieser Tage den zweiten Jahrestag der Wiedereröffnung begeht, war in der Vergangenheit immer wieder Anlass für solche Diskussionen. In den Auseinandersetzungen um die architektonische Gestaltung, um die Auswahl des Buchbestandes und um die inhaltliche Ausrichtung der Veranstaltungen und Seminare, die im Neubau der geradezu mythisch aufgeladenen antiken Bibliotheca Alexandrina stattfinden sollen, spiegeln sich zentrale Fragen, die auch von den Kritikern der Frankfurter Buchmesse angesprochen werden.

Hier sind sie alltäglich präsent. Das markante Gebäude der Bibliothek an der Promenade Alexandrias, dessen Fassade mit meterhohen Zeichen aus allen Schriftsprachen der Welt verziert ist, ist bereits Provokation genug. Die antike Bibliothek aus dem dritten Jahrhundert v. Chr. gilt als Symbol für den kulturellen Reichtum und die kulturelle Vielfalt des Mittelmeerraums und insbesondere des Niltals. Der von der Unesco geförderte und von der ägyptischen Regierung leidenschaftlich unterstützte Neubau am symbolischen Ort greift diesen Mythos unumwunden auf. Als »Wiege des Wissens« und »Ägyptens Leuchtturm zur Welt« wurde die im Oktober 2002 eröffnete Bibliothek geradezu überschwänglich gefeiert.

Bei aller Begeisterung über die Möglichkeiten, die die Bibliothek bietet, war gerade ihre symbolische Bedeutung Anlass für zahlreiche Fragen: Ist Ägypten multikulturell? War das Niltal Wiege oder Schmelztiegel der Kulturen? Wie hält man es mit hebräischsprachigen Büchern, die auch für eine Erforschung der ägyptischen Geschichte von Bedeutung sind? Und, vor allem, in welchem Verhältnis steht die Vielzahl der antiken kulturellen Einflüsse zur heutigen ägyptischen Kultur?

Während von verschiedenen Autoren die Bibliothek als Symbol für die kulturelle Bedeutung Ägyptens wahrgenommen wurde, sehen andere, wie der Journalist Gamal al-Ghitani, gerade in der Diskrepanz zwischen dem historischem Reichtum und dem gegenwärtigen Konformismus der ägyptischen und arabischen Kultur die Herausforderung, die mit der Bibliothek verbunden ist. Pointierter noch formulierte der ägyptische Autor Amin al-Mahdi diese Bedenken: Der Neubau der Bibliothek werde zwar dem historischen Ort gerecht, passe aber nicht recht in die ägyptische Gegenwart.

Mehrere Vertreter der Bibliothek werden auch auf der Frankfurter Buchmesse präsent sein. Ihr Ziel ist es, die arabische Kultur »als Teil der Weltkultur und nicht als isolierte Einheit« zu präsentieren. Dieses Anliegen muss einem deutschen Publikum erst vermittelt werden. Es bleibt allerdings auch in der arabischen Öffentlichkeit umstritten.