Where the right went wrong

Auch in der neuen US-Regierung besetzen die Neokonservativen wichtige Positionen. Die Probleme im Irak betrachten sie als eine Folge der inkonsequenten Umsetzung ihrer Strategie. von richard gebhardt

Wie schnell sich die Zeiten ändern: Wurde nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 den neokonservativen Planern, Strategen und Publizisten die Schlüsselrolle in der US-Politik zugeschrieben, so wurden sie angesichts der Schwierigkeiten des nation building im Irak ebenso rasch totgesagt. Nun, nach dem erneuten Wahlsieg von George W. Bush, werden die Neocons auch weiter strategisch wichtige Positionen in Washington besetzen. Außenminister Colin Powell dagegen, der als ihr wichtigster Gegenspieler in der Regierung galt, trat vergangene Woche zurück.

Zuvor hatten die Neocons, jene in den letzten Jahren zur politischen Geheimgesellschaft stilisierte Formation um Vize-Außenminister Paul Wolfowitz, alle Truppen aufgeboten, um dem Präsidenten und seinem Kriegskabinett »four more years« zu verschaffen. In der Endphase des Wahlkampfs spielten sie jedoch keine größere Rolle.

Der Diskurs über diese Strömung ist vorwiegend ein akademischer; politischen Kommentatoren dienen die Neocons als Chiffre für die geheimen Mächte hinter dem Präsidenten. Das Unbehagen über die Neocons regt sich insbesondere im akademischen Milieu. Für Joe Sixpack und seine Kollegen hingegen spielt diese Debatte kaum eine Rolle.

Innerhalb der modernen US-Rechten, deren Spektrum von den isolationistischen Paleocons und bibelfesten Fundamentalisten bis hin zu afro-amerikanischen Verteidigern eines minority conservatism sowie anti-etatistischen Libertären reicht, bilden die Neocons ohnehin einen Sonderfall. Geprägt wurde der Begriff von dem Historiker und Sozialisten Michael Harrington, der damit 1976 gegen jene ehemaligen Linken polemisierte, die nach der Studentenrevolte zur Republikanischen Partei wechselten.

Da sich die führende Riege der Neocons – hierzu zählen die Publizisten Irving Kristol und Norman Podhoretz sowie Ronald Reagans UN-Botschafterin Jeane Kirkpatrick – aus ehemaligen Linken und Mitgliedern der Demokratischen Partei zusammensetzt, eilt ihnen bis heute der Ruf voraus, letztlich immer noch verkappte Liberale zu sein.

Der altkonservative Journalist Pat Buchanan nennt sie in seinem neuen Buch »Where The Right Went Wrong« gar »liberale Wölfe in konservativen Anzügen«. Andere verweisen darauf, dass Irving Kristol aus trotzkistischen Zirkeln stammt. In dessen Kritik an der Bürokratie des Wohlfahrtsstaats und dem Konzept des militärischen Umsturzes diktatorischer Regime erkennen sie ein trotzkistisches Erbe. Dieser originellen Lesart zufolge ist die Bush-Administration wohl der bewaffnete Arm der IV. Internationale.

Bereits zu Reagans Amtszeit gelangte die erste Generation der Neocons in führende administrative, publizistische und akademische Positionen. Und obwohl damals, unter den Bedingungen des Kalten Krieges, eine Art Waffenstillstand zwischen den verschiedenen Lagern herrschte, betrachteten Altkonservative die Konkurrenten argwöhnisch. Schon 1986 schrieb Stephen Tonsor über die Herkunft der Neocons: »Es ist wunderbar, wenn die Stadthure zur Religion findet und in die Kirche kommt. Sie gibt gelegentlich sogar eine gute Chorleiterin ab. Aber wenn sie anfängt, dem Pastor vorzuschreiben, was er in seiner Sonntagspredigt sagen soll, dann wurde die Sache zu weit getrieben.«

Dass aber Bushs Sonntagspredigten, seine Strategien und politischen Programme von interessierter Seite gesteuert werden, gilt als ausgemacht. Tatsächlich hatte George W. Bush, der der christlichen Rechten weitaus näher steht als den Neocons, bei einem Dinner des neokonservativen Think Tanks The American Enterprise Institute (AEI) dessen Arbeit gelobt. Bush hatte darauf hingewiesen, das er 20 ehemalige Angestellte des AEI in seinen Stab aufgenommen habe. Diesem in der zweiten Reihe der Administration platziertem Umfeld ist es glänzend gelungen, nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 die passenden Blaupausen zu liefern, den Krieg gegen die Taliban und Saddam Hussein zu propagieren und den Fokus auf eine unilaterale Außenpolitik zu richten.

In Think Tanks wie dem AEI wurden die Konzepte entworfen, in Blättern wie dem von Rupert Murdoch (Fox TV) finanzierten Hausorgan der Neocons, dem Weekly Standard, wurde die ideologische Aufrüstung betrieben. Die »Bush-Doktrin«, die Strategie des regime change und Präventivkrieges, wurde in diesem Kreis mitentwickelt und popularisiert.

Doch weder sind die Neocons eine einheitliche Formation, noch sind die Macher des von William Kristol, dem Sohn des Gründervaters Irving Kristol, geleiteten Weekly Standard, nur die intellektuellen Cheerleader des Präsidenten. Schon früh wandten sich Kristol und der durch den Bestseller »Macht und Ohnmacht. Amerika und Europa in der neuen Weltordnung« bekannt gewordene Robert Kagan gegen die Irak-Strategie des Weißen Hauses. Beide warfen insbesondere Donald Rumsfeld eine mangelnde Ausstattung der Truppen, fehlende strategische Flexibilität und unzureichende militärische Härte vor.

Bis heute gilt den Neocons die halbherzige Umsetzung ihrer Pläne, nicht aber ihre Strategie selbst als Grund für die schwierige Situation im Irak. Die Diskrepanzen zwischen Planung und Umsetzung zeigen, dass auch konkurrierende außenpolitische Überlegungen die Politik Bushs mitbestimmen. Eine Politik, die im konservativen Lager ein unterschiedliches Echo hervorruft.

Traditionelle Konservative wie der langjährige Herausgeber des National Review, William F. Buckley jr., stellten z.B. angesichts der manipulierten Beweise und Probleme vor Ort ihre Zustimmung zum Krieg in Frage. Auch im neokonservativen Spektrum selbst sind Differenzen auszumachen. Exemplarisch dafür ist der Streit, welcher im Sommer zwischen dem Kolumnisten der Washington Post, Charles Krauthammer, und Francis Fukuyama (»Das Ende der Geschichte«) entbrannte. Die einstigen Verbündeten stritten vehement über die Entwicklung im Irak. Während Krauthammer den Irak als Erfolgsmodell feierte, warf Fukuyama ihm vor, ein realitätsfernes Bild von den wirklichen, desaströsen Verhältnissen zu zeichnen.

Der historische Optimismus, mit dem Neocons wie Krauthammer die Verhältnisse im Nahen und Mittleren Osten ändern wollen, stößt immer mehr auf Befremden. Generell wird in den USA gerade die Ideologie des »Empire«, die dem konservativen Credo des regional Besonderen ein universalistisches Demokratiemodell entgegensetzt, mit großer Skepsis betrachtet. Doch die Neocons, welche den konservativen Katechismus in den letzten Jahren in zahlreichen Punkten umgeschrieben haben, konnten sich trotz der anhaltenden Krise im Irak konsolidieren. Der Erfolg dieser Strömung, die ihre vermeintliche Omnipotenz der Phantasie ihrer Kritiker verdankt, liegt nicht primär in der Mobilisierung von Wählerstimmen, sondern im politischen agenda setting.

In der Septemberausgabe der Zeitschrift Commentary, einem traditionsreichen Organ der Bewegung, verfasste Norman Podhoretz unter dem Titel »Der Vierte Weltkrieg - Wie er begann, was er bedeutet und warum wir ihn gewinnen müssen« eine 37 Seiten lange, von jedem Selbstzweifel freie Abhandlung zur Bedeutung der »Bush-Doktrin«. Sein Ziel ist, den »Kampf gegen den Terror« kompromissloser zu führen. Zwar deutet aktuell wenig darauf hin, dass Bush nach dem Angriff auf den Irak nun auch ernsthaft Iran, Syrien oder Nordkorea ins Visier nimmt. Trotzdem ist die neokonservative Option des regime change nicht in den Schubladen verschwunden.

Bezeichnend für die derzeitige Situation ist, dass nicht die Posten von Paul Wolfowitz oder Staatssekretär Douglas Feith zur Disposition stehen, dafür aber der als moderat geltende und von den Neocons mit einer gewissen Skepsis betrachtete Colin Powell nicht mehr im Kabinett sitzen wird. Tom Donnelly vom AEI würdigte nach dessen Rücktritt zwar Powells Qualitäten, erinnerte aber auch an seine Rolle als Relikt des alten Status quo. Insbesondere seine Kontakte zum Journalisten und Bush-Kritiker Bob Woodward (»Bush at war«), für den Powell eine wichtige Quelle gewesen sein soll, waren dem Weekly-Standard-Kommentator Donnelly ein Dorn im Auge, galt das Verhalten Powells doch als Anlass für weitere Unbotmäßigkeiten im Außenministerium.

Von Condoleezza Rice, die bedingungslos zu Bush steht, im Gegensatz zu den Neocons allerdings auf allzu missionarische Töne verzichtet, wird eine eindeutigere Haltung zum Krieg erwartet. Und die Neocons haben sich längst noch nicht totgesiegt. Gelingt die derzeitige Militäroperation in Falluja und verlaufen die geplanten Wahlen im Irak zufriedenstellend, könnte dies jenen Kräften Auftrieb geben, die nach einer Ausweitung des Krieges gegen die islamischen Fundamentalisten im Namen der Demokratie rufen.

Innenpolitisch haben die in zahlreichen Medien präsenten Neocons bereits jetzt einen wichtigen Sieg erringen können. Während es den Republikanern und der christlichen Rechten gelungen ist, die Homo-Ehe und Abtreibung als unamerikanischen Anschlag auf die Verfassung zu skandalisieren, gelten weder außergerichtliche Hinrichtungen, die Anwendung von Folter oder die Sondergesetze in den Kreisen der Demokratieexporteure als besonders anrüchig. Von der einstigen liberalen Herkunft der Neocons ist kaum etwas zu spüren.

In der Bereitstellung von Material für die ideologische Aufrüstung liegt die Aufgabe der in der zweiten Reihe der Administration platzierten Neocons, deren Ideen sich die Entscheidungsträger in Washington bei Bedarf bedienen. Interpretationen, die dieses Verhältnis umkehren und aus Wolfowitz den geheimnisvollen Strippenzieher machen, an dessen Fäden die Marionette George W. Bush hängt, bedienen lediglich verschwörungstheoretische Stereotype und tragen zur Aufklärung nichts bei.