Schön versöhnt

Der Revisionismus in den osteuropäischen Staaten kann sich der deutschen Unterstützung sicher sein. Jetzt greift die Uno ein. von jörg kronauer

Leonid Skotnikow ist zufrieden. »Wir begrüßen die Tatsache, dass die EU nach langen Verhandlungen zu der Entscheidung gekommen ist, unser Projekt zu unterstützen«, erklärte der Uno-Botschafter Russlands kürzlich in Genf. Bei der noch andauernden 61. Tagung der Uno-Menschenrechtskommission hat die Versammlung am 14. April mit großer Mehrheit einen Antrag von Russland, Belarus und Kuba angenommen, Neonazismus und Rassismus zu verurteilen. Über den Hintergrund berichtet die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti: Russische Diplomaten haben Estland und Lettland aufgefordert, »die Heroisierung der Legionäre der Waffen-SS zu beenden«.

Aufmärsche alter SS-Veteranen und Ehrungen für NS-Kollaborateure sorgen in den baltischen Staaten regelmäßig für heftige Auseinandersetzungen mit Russland. Der Revisionismus dort reicht jedoch weiter, er betrifft die gesamte europäische Nachkriegsordnung, wie der Streit um die Moskauer Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Siegs über Nazideutschland erneut deutlich gemacht hat. Die Frage, ob man daran teilnehmen solle, spaltete die Gesellschaft im Baltikum, und nicht nur dort. Im Gegensatz zu den Präsidenten Estlands und Litauens entschied sich Vaira Vike-Freiberga, die Staatspräsidentin Lettlands, für die Teilnahme. Wie die Konrad-Adenauer-Stiftung mitteilte, hatte Vike-Freiberga bereits im Februar über die Angelegenheit »Gespräche mit einflussreichen europäischen Politikern« aufgenommen.

Mitte Februar eskalierte die Debatte auch in Polen. Staatspräsident Aleksander Kwasniewski erklärte sich bereit, ebenfalls nach Moskau zu reisen. Konservative Kreise protestierten lauthals, die Abendnachrichten füllten sich mit dem Schlagwort »Jalta«. Die alliierte Konferenz auf der Krim vom Februar 1945 hat für Polen besondere Bedeutung. Auf ihr wurde nicht nur Polen der sowjetischen Einflusszone zugeschlagen, es wurde auch – wie schon nach dem Ersten Weltkrieg – die nach dem ehemaligen britischen Außenminister benannte »Curzon-Linie« zur polnischen Ostgrenze erklärt. Deshalb umfasst der bis heute gültige Grenzverlauf größere ukrainische und belarussische Gebiete nicht mehr, die Polen ab 1919 den Bolschewiki mit militärischer Gewalt genommen hatte. Die Krim-Konferenz sei »kein Anfang einer neuen Friedensordnung in Europa, sondern auch der Anfang einer neuen Versklavung in Mittel- und Osteuropa«, erklärte ein konservativer polnischer Europa-Parlamentarier im Februar.

Mit seiner Sicht auf Jalta befindet er sich in der Nähe deutscher Politiker. Die »Konferenzteilnehmer von Teheran, Jalta und Potsdam« müssten »Verantwortung« für ihr Handeln übernehmen, beschwerte sich im September 2003 der damalige Bundespräsident Johannes Rau: »Hitlers verbrecherische Politik entlastet niemanden, der furchtbares Unrecht mit furchtbarem Unrecht beantwortet hat.« Gegen die im Potsdamer Abkommen beschlossene Umsiedlung der Deutschen polemisierte im November 2004 der SPD-Außenpolitiker Markus Meckel. »Zwar wurden Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen von Diktatoren wie Hitler und Stalin angeordnet«, sagte Meckel vor einem Ausschuss des Europarats. »Aber auch Demokraten wie Churchill und Roosevelt akzeptierten, dass durch ethnische Homogenisierung politische Stabilität geschaffen werden sollte.«

Markus Meckel ist Vorsitzender des »Unterausschusses für Mittel- und Osteuropa« der Parlamentarischen Versammlung der Nato und Vorsitzender der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Außerdem ist er seit kurzem Träger einer der höchsten Auszeichnungen des lettischen Staates, des »Drei-Sterne-Ordens«, mit dem besondere Verdienste um die lettische Unabhängigkeit geehrt werden. Und Meckel trieb die Debatte weiter voran. Am Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus könne »nicht davon abgesehen werden, dass die Völker der Sowjetunion und die Hälfte Europas auch nach dem Sieg über den Nationalsozialismus unter der kommunistischen Diktatur Unterdrückung und Unfreiheit erleiden mussten«, schrieb er gemeinsam mit Matthias Wissmann (CDU) in einem in der Welt publizierten Text. Dass Putin das Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs nunmehr als »Ereignis der europäischen Versöhnung« bezeichne, sei eine »begrüßenswerte Neuorientierung«. Das ermutigte die Anti-Jalta-Front. Der Artikel erschien gleichzeitig in renommierten Tageszeitungen Estlands, Lettlands, Litauens, Polens, Österreichs und Frankreichs. Die Welt gab mit der Überschrift die Stoßrichtung der Revisionsbestrebungen wieder: »Brüssel vor Moskau«.

Drei Tage nach dem Erscheinen des Artikels nahmen die Staatspräsidenten Estlands und Litauens sich die Äußerungen der Deutschen zu Herzen und sagten ihre Teilnahme an den Moskauer Befreiungsfeierlichkeiten offiziell ab.

Während die europäische Nachkriegsordnung immer mehr in Frage gestellt wird, werden in den Revisionsstaaten alte Kollaborateure Deutschlands geehrt. Mitte März berichteten russische Nachrichtenagenturen empört über einen Gedenkmarsch in Lettland: Dort feierten alte NS-Kollaborateure den Gründungstag der lettischen Waffen-SS. Rund 100 000 Letten hatten gemeinsam mit den deutschen Truppen gegen die Sowjetunion gekämpft, zahlreiche von ihnen in der Waffen-SS. Von deren Mitgliedern sind viele auf einem Friedhof in Lestene begraben, der in Kooperation mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge eingerichtet wurde. Und Tausende ausländischer Veteranen der Waffen-SS beziehen großzügige Pensionen nach dem Bundesversorgungsgesetz.

Denkmäler für Soldaten der Waffen-SS gibt es inzwischen auch in Estland. Der ehemalige litauische Staatspräsident Vytautas Landsbergis wollte vor einigen Jahren der Partnerschaft mit Nazideutschland sogar staatliche Weihen verleihen: Er forderte, der Unabhängigkeitserklärung Litauens vom 23. Juni 1941 denselben Rang zu verleihen wie den entsprechenden Erklärungen von 1918 und 1990. 1941 hatten litauische NS-Kollaborateure die einrückende Wehrmacht begeistert begrüßt und ihren eigenen Staat ausgerufen. Die Deutschen und ihre baltischen Helfer ermordeten danach rund 90 Prozent der jüdischen Bevölkerung.

Ihre »tiefe Besorgnis über die Verherrlichung der nationalsozialistischen Bewegung« hat nunmehr die Uno-Menschenrechtskommission auf Antrag von Russland, Belarus und Kuba ausgedrückt. Der Resolutionstext hebt »die Errichtung von Denkmälern und Gedenkstätten« sowie »öffentliche Demonstrationen« ausdrücklich hervor. Auch wenn die schlimmsten revisionistischen Auswüchse nun von der Uno kritisiert werden, setzen Deutschland und seine osteuropäischen Partnerländer den Kampf gegen die europäische Nachkriegsordnung fort.