Deutschland unterm Kreuz

Mit der Wahl eines Landsmannes zum Papst wird die Entschuldung der Deutschen letztinstanzlich abgesegnet. Aber nicht nur Hitlerjungen freuen sich. von ivo bozic
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Die Heiligsprechung des neuen Papstes wird eines Tages kein Problem sein. Denn sein erstes Wunder hat Benedikt XVI. schon vollbracht. Und das hat einer festgestellt, der etwas davon versteht: der Kölner Kardinal Meisner. Dass 60 Jahre nach dem Krieg nun ein Deutscher zum Papst gewählt wurde, erklärte er strahlend, sei »nicht nur ein kleines, sondern ein großes Wunder«.

In einer Zeit, da der Bundeskanzler erstmals zu den Feierlichkeiten der Sieger über Nazideutschland in die Normandie und nach Moskau eingeladen wird und Deutschland den Anspruch auf einen Sitz im Weltsicherheitsrat der Uno erhebt, ist es auch kein Tabu mehr, dass ein ehemaliger Hitlerjunge zum Papst gewählt wird. Deutschland ist wieder da. Wir sind nicht nur wieder wer, »wir sind Papst!«, wie die Bild-Zeitung titelte, und damit quasi die Stellvertreter Gottes auf Erden.

Natürlich haben die Kardinäle im Konklave nicht in erster Linie eine nationalpolitische Entscheidung getroffen. Sie votierten schlicht für die Fortsetzung der bisherigen Politik des Vatikans, und da lag die Wahl Ratzingers nahe. Nicht dass sie einen Deutschen zum Papst wählten, ist das Problem, sondern dass es offenbar kein Hindernis mehr ist, Deutscher und gar einer mit NS-Vergangenheit zu sein, wenn einer Papst werden will. Ausgerechnet als Nachfolger eines polnischen Papstes, der zumindest in der Verklärung als Antifaschist eingeordnet wurde, als Angehöriger der Opfergeneration, tritt nun einer an, der für Hitler in Ungarn Panzerfallen gelegt hat und in der HJ gelegentlich den Hitlergruß gezeigt haben dürfte. Es geht nicht darum, Ratzinger zu einem Nazifunktionär aufzubauschen. Aber dass seine Vergangenheit in der HJ überhaupt keine Bedeutung bei der Wahl eines der moralisch aufgeladensten Ämter der Welt hat, ist ein verheerendes Signal.

Die Bild-Zeitung fasste es treffend zusammen: »Was bedeutet die Wahl für Deutschland? Einen gewaltigen Schub und eine Aufwertung des deutschen Namens in der Welt! Das ist ein kaum zu überschätzender Aktivposten gerade in diesen Tagen, da die ganze Welt des Kriegsendes vor 60 Jahren gedenkt.« Zwei Tage später antwortete dieselbe Zeitung auf die britische Kritik an der Vergangenheit Ratzingers mit einer Selbstbezichtigungskampagne. Dutzende alte Männer bekannten mit Foto und Namen: »Ich war Hitler-Junge«, und dafür »müssen wir uns doch nicht schämen«. Ein Karlheinz Gundlach (78) erklärte: »Die Hitlerjugend war eine schöne Zeit. Ich habe dort reiten gelernt.« (siehe Junk Word)

Ratzinger wird gewiss seine Verantwortung als deutscher Papst ernst nehmen. Keinesfalls sind von ihm antisemitische oder deutschnationale Ausfälle zu erwarten. Im Gegenteil. Gerade er wird die von ihm erwartete Rolle annehmen und in der Übernahme der Verantwortung die Last und das Leid der Schuld zelebrieren, bis er selbst – jesusartig – zum Opfer wird.

Damit wird er, ähnlich wie die gegenwärtige rot-grüne Geschichtsklitterung, seinen Beitrag zur Wiedereingliederung Deutschlands in die Weltgemeinschaft leisten. Eines vermutlich gar nicht so fernen Tages wird Benedikt XVI., wie zuvor Johannes Paul II., in Jerusalem vor die Klagemauer treten. Und dort wird dann eben nicht nur ein katholischer Kirchenführer erneut um Verzeihung bitten, sondern auch ein ehemaliger deutscher Flakhelfer. Dieser deutsche »Kniefall« vor der Klagemauer wird somit göttliche Weihen erfahren, die Entschuldung Deutschlands wird sozusagen letztinstanzlich abgesegnet. Die Tageszeitung Die Welt hat dies bereits vorweggenommen. Die Wahl Ratzingers sei eine »Geste der Vergebung«, schreibt sie. »Das Weltgewissen hat Deutschlands Sühne akzeptiert.«

Nicht nur dass die, wie die Kardinäle versichern, göttlich geleitete Wahl eines Deutschen zum Papst perfekt in den Normalisierungsdiskurs rund um den 60. Jahrestag des Sieges über Deutschland passt, die Wahl Ratzingers könnte aus einem Drehbuch für die neue Weltordnung stammen.

Selbst bei größter Besinnung auf die geistlichen Belange sind Päpste immer auch Politiker. Sie mischen sich ein in die Weltpolitik, das hat Johannes Paul II. auch getan. Und während Ratzinger in theologischen Belangen ein erzreaktionärer Dogmatiker ist, so wird er, ob er will oder nicht, im politischen Weltgeschehen die Rolle eines Antiimp-Papstes einnehmen und die Stimme Europas, die, wenn sie sich sammelt, in erster Linie eine antiamerikanische ist, verstärken und mit einer heiligen Aura umgeben. Man kann sagen: Old Europe hat endlich einen Führer.

Bereits der alte Papst war auf dem Kontinent nicht nur bei Konservativen beliebt. Sogar linke Antiimperialisten hatten ihm seine Rolle beim Zusammenbruch des Sowjetsozialismus verziehen und dankten ihm ausgiebig für seinen Einsatz gegen Neoliberalismus, die Postmoderne und den Irak-Krieg. In den letzten Jahren war der schwer kranke Wojtyla jedoch schon lange nicht mehr alleiniger Herr seiner Worte. Und der Papstflüsterer hieß Ratzinger.

Dieser hat bereits angekündigt, den Kurs seines Vorgängers weiterzuverfolgen. Bereits im Jahr 2000 zeigte er sich als engagierter Europäer, als er in einer Rede die europäische Identität als »gemeinsame Reichsidee« bezeichnete. Europa bzw. »das Abendland« solle endlich seinen »pathologischen« »Selbsthass« ablegen. Wenn es sich hingegen auf »das Beste seines Erbes« besinne, könne es »der ganzen Menschheit dienen«.

Der Sympathien, die Johannes Paul II. von der Pace-Fahnen schwingenden Europa-Bewegung entgegengebracht wurden, kann sich Benedikt XVI. bereits jetzt sicher sein. Für Aussagen wie der, dass »der demokratische Sozialismus und die katholische Soziallehre« gemeinsam ein »Gegengewicht gegenüber den radikal liberalen Positionen« bildeten, werden die vereinten No-Globals ihm schon bald seine Ansichten zu Familie, Homosexualität und Abtreibung verzeihen.

Benedikt XV., an den der neue Papst mit seiner Namenswahl anknüpft, wird zum »Friedenspapst« stilisiert, der sich einerseits gegen den Ersten Weltkrieg, andererseits aber auch gegen den Versailler Vertrag ausgesprochen haben soll. Frieden – aber immer schön im deutschen Interesse. Da hat Joseph Fischer ja einen Kumpanen gefunden. Rechte und vor allem linke Europäer bemühen scheinheilig das Wort von der »europäischen Friedensmacht«, um dem machtpolitischen Wettbewerb mit den USA moralische Legitimität zu verleihen.

Schon Johannes Paul II. wurde im Irak-Krieg gerne als Stimme Europas wahrgenommen, auch wenn das eher ein Wunschdenken der europäischen Öffentlichkeit als päpstliche Intention gewesen sein mag. Als am 4. Juni 2004 150 000 Italiener in Rom gegen den Besuch des US-Präsidenten George W. Bush und den Irak-Krieg demonstrierten, zeigte das Fernsehen, dass der Papst bei der Audienz im Vatikan Bush wie einen Schulbub anwies, dem Irak die Souveränität zurückzugeben. Er verlangte auch ein »besseres und tieferes Verständnis zwischen den USA und Europa«, womit unmissverständlich gemeint war, dass Europa eine größere Rolle in der Weltpolitik spielen solle. Der Jubel der Massen war dem »Medienpapst« damit gewiss.

Auch wenn die rot-grüne Öffentlichkeit Papst Benedikt XVI. im Moment wegen seiner konservativen Ansichten noch ablehnt, steht sie ihm näher, als sie denkt.