Zweierlei Maß

EU-Verhandlungen mit der Türkei und Kroatien von boris kanzleiter

Es war ein langes Ringen, das am Montag vergangener Woche beim Gipfel der Außenminister der Europäischen Union in Luxemburg zu Ende ging. Nachdem sich die österreichische Außenministerin Ursula Plassnik zunächst mit Zähnen und Klauen gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei gesperrt hatte, zeichnete sich dann doch noch eine Lösung ab. Österreich würde nachgeben, wenn gleichzeitig mit der Türkei auch Kroatien zu Beitrittsgesprächen eingeladen werde. Das war denn auch das Ergebnis des Gipfels.

Nun können sich alle auf die Schultern klopfen. Der amtierende EU-Ratsvorsitzende und britische Außenminister Jack Straw freute sich: »Wir haben gerade Geschichte geschrieben.« Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sprach von einem »Sieg über die Vorurteile in der christlichen Gemeinschaft«. Aber auch das katholische Österreich ist zufrieden, wurde doch mit Kroatien nicht nur einem christlichen Nachbarn, sondern auch einem devoten politischen Verbündeten und überdies einer ehemaligen Provinz der Habsburger Monarchie der Weg in die EU eröffnet.

Letztlich sind aber doch nicht alle Sieger. Denn wenn es für die Türkei – und hier vor allem für die säkularen und liberalen Kräfte – sicher ein Erfolg ist, dass sich letztlich die Kulturkämpfer des christlichen Europa nicht durchsetzen konnten, sind Beitrittsverhandlungen in diesem Fall keineswegs mit einem Beitritt gleichzusetzen. Ganz im Gegenteil werden bis dahin noch einmal mindestens 15 Jahre vergehen. In dieser Zeit wird die EU der Türkei wohl eine Bedingung nach der anderen stellen. Und dabei wird es nicht nur um die Einhaltung von Menschenrechten und die Demokratisierung gehen, sondern auch um wirtschaftliche Reformen, die oftmals die EU begünstigen und nicht das Kandidatenland. Das zeigt die Erfahrung der osteuropäischen Staaten, die 2004 Mitglied im Club wurden. Und selbst, wenn sich die Türken wie Musterschüler verhalten, ist das noch keine Garantie dafür, dass irgendwann um das Jahr 2020 alle EU-Länder die Aufnahme tatsächlich ermöglichen.

Ganz anders dagegen Kroatien, dessen Regierung einen kleinen Erfolg hatte. Denn erst im vergangenen März waren die bereits angesetzten Beitrittsverhandlungen auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Die Chefanklägerin des Den Haager Kriegsverbrechertribunals, Carla del Ponte, unterstützt vor allem von der britischen Regierung, hatte bemängelt, die kroatische Regierung zeige keinen Willen, den wegen der Vertreibung von 200 000 Serben als Kriegsverbrecher gesuchten General Ante Gotovina auszuliefern. Noch kurz vor dem Gipfel wiederholte Del Ponte ihre Kritik. Doch dann überlegte es sich die barsche Dame auf einmal anders. Am Montag voriger Woche verkündete sie überraschend, die kroatische Regierung arbeite jetzt doch mit dem Kriegsverbrechertribunal zusammen. Woher die neue Erkenntnis kam, verriet sie nicht. Gotovina ist weiterhin untergetaucht. Offensichtlich gab Del Ponte dem Druck Österreichs kläglich nach und machte damit deutlich, wie schlecht es um die von ihr stets betonte Unabhängigkeit des Kriegsverbrechertribunals bestellt ist.

Offenbar wurde auch noch etwas anderes: Im Namen Europas wird einmal mehr ein Kriegsverbrechen zum Kavaliersdelikt erklärt, wenn es nur von den eigenen Verbündeten begangen wurde. Eine Glanzleistung aus Wien, unterstützt von der Staatskanzlei in München. Dort wurde nicht nur die Türkei-Blockade mit Österreich abgestimmt, sondern auch der Plan, Kroatien zu bevorzugen, mit ausgeheckt.