La Boum – die Fete geht weiter

Demonstrationen, Streiks, Verkehrsblockaden: Der wachsende Druck der Straße lässt in Frankreich die Rivalität zwischen Regierungschef de Villepin und Innenminister Sarkozy hervortreten. von bernhard schmid, paris

Wir sind im Krieg von 1914. Im Schützengraben. Ein Zurückweichen gibt es nicht. Ich, ich habe Eier!« Mit diesen Worten begründete Dominique de Villepin vorige Woche im französischen Kabinett, warum man jetzt unbedingt durchhalten müsse. Die in sanftem Ton vorgetragene Replik des konservativen Innenministers und Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy lautete: »Wissen Sie, in Frankreich schneidet man nicht die Eier ab. In Frankreich schneidet man Köpfe ab.« Eine offenkundige Anspielung auf Szenen vergangener Revolutionen.

Eine Revolution dürfte im Augenblick nicht zu erwarten sein. Stattdessen findet ein sozialer Konflikt statt, der sich voraussichtlich in den kommenden Tagen noch zuspitzen dürfte. Der soziale Druck auf die Regierenden hat auch die Meinungsverschiedenheiten im bürgerlichen Lager sichtbar hervortreten lassen. Insbesondere die Rivalität zwischen dem amtierenden Regierungschef de Villepin und seinem hyperaktiven Minister und Chef der konservativ-liberalen Regierungspartei UMP, Sarkozy.

Letztgenannter glaubte noch Anfang voriger Woche, mit bonapartistischen Rezepten zusätzliche Popularität erhaschen zu können, indem er sich als über den tobenden Interessenkämpfen stehender »starker Mann« anbietet, der die Streitparteien wieder zusammenbringt. Laut schwang Sarkozy, der sich in der Sache gewöhnlich für eine härtere Gangart beim wirtschaftsliberalen Umbau der Sozialsysteme ausspricht, sich zum Mann des »sozialen Dialogs« auf. In einer viel beachteten Rede im nordfranzösischen Douai am Montag voriger Woche variierte er dieses Thema: »Man kann eine feste Position einnehmen, ohne sich zu versteifen … Man kann versöhnlich sein, ohne dass es Schwäche wäre …« Dabei handelt es sich freilich nur um Wortgeklingel, denn inhaltlich fordert Sarkozy nichts anderes als das, was sein Rivale de Villepin selbst mittelfristig anstrebt und die Unternehmerverbände als »Alternative« zur derzeitigen Regierungspolitik fordern.

Sarkozy spricht sich dafür aus, statt neue Sonderverträge vom Typ des umstrittenen Ersteinstellungsvertrags (CPE) für die unter 26jährigen lieber einen reformierten »Einheitsvertrag« für alle abhängig Beschäftigten zu schaffen. Das aber bedeutet nichts anderes, als dass die Einschränkung des Kündigungsschutzes auf sämtliche neu abgeschlossenen Arbeitsverträge ausgedehnt werden soll. Etwa dergestalt, dass der Kündigungsschutz von der Anzahl der Dienstjahre abhängt: Je länger man in einem Unternehmen gearbeitet hat, desto mehr Kündigungsschutz »erwirbt« man. Einen ähnlichen »Einheitsvertrag« möchte mittelfristig auch Regierungschef de Villepin, wie er im Januar erklärte. Nur versucht er, den Kündigungsschutz vorher auf dem Umweg über Sonderverträge für bestimmte Beschäftigtenkategorien abzubauen. Wie eben durch den CPE.

Um dessen Akzeptanz ist es jedoch schlecht bestellt. Über zwei Millionen Menschen demonstrierten am Dienstag voriger Woche in ganz Frankreich dagegen. In manchen Universitäten wie im westfranzösischen Rennes geht der Hochschulstreik ohne Unterbrechung in die achte Woche.

Mancherorts findet ein regelrechter sozialer Gärungsprozess statt. So verabreden sich in einigen mittelgroßen Städten, wie in Auch in Südfrankreich, jeden Abend zahlreiche Protestierende aus ganz unterschiedlichen Spektren auf öffentlichen Plätzen, um den öffentlichen Raum zu besetzen, um sich auszutauschen, um über gesellschaftliche Alternativen zu diskutieren. Überall mischen sich die sozialen Kräfte im Protest, man trifft auf Jugendliche und Studierende, auf die Eltern von potenziell Betroffenen des CPE, auf Gewerkschafter aus öffentlichen Diensten und aus Privatbetrieben. Studierende aus der Sorbonne gehen vor die Fabriktore von Citroën in der Trabantenstadt Aulany-sous-Bois, um Flugblätter zu verteilen. Ähnlich in Rennes, wo die Studierenden vor zahlreichen Industriebetrieben für ihre Interessen warben. Und tatsächlich kamen auch weit mehr Beschäftigte von dort zu den Demonstrationen, als sonst üblich ist, denn bei anderen Anlässen dominiert der öffentliche Dienst die Gewerkschafts­proteste in Rennes.

Der Konflikt um die umstrittene Gesetzesregel, die den CPE einführt, entwickelt sich zur politischen und sozialen Kraftprobe im ganzen Land. Den Konservativen geht es dabei darum, nicht das politische Kapital zu verlieren, das sie aus eigener Sicht im Jahr 2003 erwarben – als man es schaffte, die damalige umstrittene »Rentenreform« gegen massive soziale Widerstände durchzudrücken. Zumindest einige Konservative streben danach, unter Beweis zu stellen, dass es auf die Gewerkschaften nicht ankommt und dass sich sozialer Widerstand nicht lohnt, ähnlich wie Margaret Thatcher »ihren« Gewerkschaften in den achtziger Jahren eine Niederlage mit langfristigen Konsequenzen beibrachte. Vor diesem Hintergrund sieht sich selbst der normalerweise als Hardliner auftretende Nicolas Sarkozy mit seiner Taktik derzeit ins Abseits gedrängt.

Nach einer erfolgreich überstandenen Kraftprobe, so glaubt man, lassen sich weitere Einschnitte umso leichter durchsetzen – während umgekehrt ein Erfolg der Protestbewegung dazu führen könnte, dass von den Demonstranten neue Forderungen erhoben werden. Dagegen führt die Frage, die in der französischen und ausländischen Presse gestellt wird, ob de Villepin »starrsinnig« oder »taub« gegenüber den Protesten sei, in eine falsche Richtung. Es handelt sich mitnichten um Individualpsychologie, sondern um ein bewusstes politisches Kalkül. Aber es beinhaltet aus Sicht der Herrschenden auch erheb­liche Risiken.

Bisher folgen die Proteste dem Plan der institutio­nalisierten Gewerkschaften. Die Führung der sozial­demokratischen CFDT hätte zweifellos wieder einen »Kompromiss« mit der konservativen Regierung unterzeichnet wie bei früheren sozialen Massenprotesten, 1995 oder 2003. Dass ihre Ansichten die konservative Regierung offenkundig überhaupt nicht interessierte, lässt sie aber stocksauer werden. Und falls auch eine große Beteiligung an den bevorstehenden Aktions- und Streiktagen die Regierung nicht umstimmen kann, stellt sich für viele an der Basis und auch für manche Gewerkschaftssektionen die Frage, ob sie ab Mittwoch zu unbefristeten Streiks übergehen sollen. Denn nur, wenn man den kapitalistischen »Normalbetrieb« beeinträchtige, wie es tausende Studierende am Donnerstag vergangener Woche bereits mit mehrstündigen Eisenbahn- und Autobahnblockaden versuchten, könne man Erfolg haben. Dann dürfte es zum entscheidenden Kräftemessen kommen.