One day strike

In Großbritannien haben etwa 1,5 Millionen öffentliche Angestellte gegen die Rentenreform gestreikt. Die Regierung lehnt jeden Kompromiss ab. von fabian frenzel, sheffield

Es war die größte organisierte Arbeitsniederlegung in Großbritannien seit 80 Jahren, zumindest nach Angaben der Gewerkschaften. 1,5 Millionen Beschäftigte im lokalen öffentlichen Dienst protestierten demnach am Dienstag voriger Woche gegen die Verschlechterung ihrer Pensionsbedingungen. Im ganzen Land waren Schulen, Bibliotheken und andere öffentliche Einrichtungen geschlossen. In vielen britischen Städten und in ganz Nordirland kam der öffentliche Verkehr zum Erliegen, zudem wurden Brücken und Autotunnel blockiert. Die Streikenden protestierten in ausnahmslos friedlichen Demonstrationen.

Der Streik richtete sich gegen die geplante Abschaffung einer bestimmten Pensionsregelung im öffentlichen Dienst. Nach der »Formel 85« haben Arbeiter im öffentlichen Dienst Anspruch auf eine volle Rente, sobald die Summe ihres Lebensalters und ihrer Gesamtarbeitszeit 85 beträgt.

Diese Regelung galt bis Herbst vorigen Jahres gleichermaßen für alle Rentenfonds des öffentlichen Sektors, darunter der nun umstrittene Rentenfonds der Kommunen (LGPS). In Großbritannien existiert eine rein aus Steuern finanzierte Grundrente, die allerdings kaum das Sozialhilfeniveau übersteigt. Darüber hinaus gibt es unterschiedliche öffentliche und private Rentenfonds, in die Unternehmer und Lohnabhängige einzahlen und die im Regelfall von den Unternehmern verwaltet werden.

Die Regierung in London ist nicht nur für die gesetzliche Grundrente, sondern auch für die Rentenfonds von öffentlich Beschäftigten verantwortlich. Um eine mangelhafte Finanzierung der Fonds, die allein im öffentlichen Sektor auf über eine halbe Billion Pfund veranschlagt werden, zu vermeiden, plant die Regierung, das gesetzliche Rentenalter langfristig von derzeit 65 Jahren für Männer und 60 Jahren für Frauen auf 68 Jahre für beide Geschlechter zu erhöhen.

Die »Formel 85«, die bisher einen vollen Rentenanspruch mit 55 Jahren erlaubte, wird daher nun als zu teuer angesehen. Sie wurde – zum Beispiel von dem Verband der britischen Industrie – auch wiederholt als eine »positive Diskriminierung« der öffentlichen Angestellten gebrandmarkt.

Bei der Abschaffung der »Formel 85« allerdings misst die Regierung mit zweierlei Maß. Glaubt man den Gewerkschaften, spielt sie dabei unterschiedliche Sektoren des öffentlichen Dienstes gegeneinander aus. So erzielte der damalige Sozialminister John Hutton im Herbst für die von ihm verantworteten Rentenfonds von Lehrern, Polizisten und Beschäftigten im Gesundheitswesen einen Kompromiss mit den Gewerkschaften: Alle bisher Beschäftigten können demnach weiterhin von der Formel profitieren, sobald sie 60 Jahre alt sind. Für Neueingestellte allerdings gilt sie nicht mehr.

Der LPGS, aus dem die Renten von generell schlech­ter bezahlten lokalen Angestellten finanziert werden, wird vom Innenministerium verwaltet, und dort hat der verhandelnde Staatsekretär Phil Woolas einen vergleichbaren Kompromiss über die »Formel 85« wiederholt abgelehnt. Auch nach dem Streik ist die Regierung nicht willens, klein beizugeben. Man sei extrem enttäuscht, ließen die Gewerkschaften verlauten und kündigten für Ende April weitere Streiks an. Unison, die größte am Streik beteiligte Gewerkschaft, hat der Labour-Partei wegen der Auseinandersetzung die finanzielle und politische Unterstützung bei den anstehenden Kommunalwahlen am 4. Mai gestrichen.

Um die Pensionen wird derzeit auch in vielen Tarifverhandlungen großer Unternehmen des privaten Sektors gestritten, wo ein Defizit von insgesamt 150 Milliarden Pfund die Rentenfonds bedrängt.