Vorm Abflug in die Fresse

Europäische Regierungen sollen die von der CIA vorgenommenen illegalen Verschleppungen von Personen in Geheimgefängnisse unterstützt haben, behauptet der Ermittler des Europarats. von jörg kronauer

Dicht an dicht verlaufen die Linien über Eu­ropa. Der Schweizer Dick Marty, der Sonderberichterstatter des Europarats zu den Gefangenenflügen der CIA, legte am Mittwoch der vergangenen Woche seinen Abschlussbericht vor. Auf einer Landkarte hat er Flugstrecken einzeichnen lassen. Seinen Recherchen zufolge legten Flugzeuge des US-Auslandsgeheim­dienstes diese Strecken zurück – auf dem Weg zu Geheimgefängnissen und mit verschleppten Personen an Bord.

Die Linien über Europa treffen sich an Knotenpunkten. Das sind europäische Flughäfen, 17 insgesamt, wenn man Larnaka (Zypern) und Incirlik (Türkei) hinzuzählt. Marty hat sie unterschiedlich kennzeichnen lassen. Dunkle Punkte markieren einfache Zwischenlandungen der CIA-Flugzeuge, orangefarbene Quadrate symbolisieren Orte länger dauernder Aufenthalte. Mit einem roten Dreieck sind Flughäfen gekennzeichnet, auf denen Ge­fan­­gene in US-Maschinen gepackt und an meist unbekannte Ziele gebracht wurden. Schließlich finden sich auch drei rote Kreise in Europa: Hier waren, so vermutet der Sonderberichterstatter, Geheimgefängnisse eingerichtet, wie sie ansonsten in Kabul, Bagdad, Taschkent und Guantánamo zu finden sind.

Als das »globale ›Spinnennetz‹ geheimer Inhaftierungen und ungesetzlicher zwischenstaatlicher Überstellungen« bezeichnet Marty dieses System, das er mit den Kreisen, Dreiecken und Linien auf der Landkarte anschaulicher machen will. An dessen gesetzlosem Charakter lässt er keinen Zweifel. Zehn Fälle mit insgesamt 17 Opfern hat er exemplarisch untersucht und klar herausgearbeitet, dass es darum ging, Verdächtige »außerhalb der Reichweite jeglichen Rechtssystems« gefangen zu halten. Auch auf die Befragungstechniken, die Foltermetho­den beinhalten, geht er ein und urteilt, die Behand­lung der Verschleppten durch die CIA ziele insgesamt »anscheinend auf Erniedrigung ab«.

Was ist geschehen? Hat das barbarische Amerika des George W. Bush den arglosen alten Kontinent mit fiesen Geheimdiensttricks hereingelegt und den europäischen Hort der Zivilisation für seinen menschenverachtenden Terror missbraucht?

Keineswegs, meint Marty. Vielmehr zeige die Praxis illegaler Verschleppungen von Personen in Geheimgefängnisse, welchen Grad an Barbarisierung Europa selbst inzwischen erreicht habe. »Es ist jetzt klar (…), dass die Behörden in mehreren europäischen Staaten gemeinsam mit der CIA an diesen ungesetzlichen Handlungen aktiv teilgenom­men haben«, schreibt er. »Andere Länder ignorierten sie wissentlich.« Protest habe kein europäischer Staat eingelegt.

Sieben Ländern schreibt Marty ausdrücklich schwere Verstöße gegen grundlegende Menschenrechte zu: Schweden, Bosnien-Herzegowina, Groß­britannien, Italien, Mazedonien, Deutschland und der Türkei. Dass in der Schweiz Journalisten von den Behörden verfolgt wurden, weil sie mit der Enthüllung vertraulicher Dokumente die Aufdeckung des Skandals voran­trieben, nennt der ehemalige Staatsanwalt schlicht und einfach »shocking«. Am Fall von Khaled al-Masri konkretisiert er beispielhaft die enge und bereitwillige Koope­ration europäischer und amerikanischer Ge­heimdienste. Auch mit dem Mythos Bush räumt er gründlich auf. Das so genannte rendi­tion programme zur Überstellung von Gefangenen stammt Martys Bericht zufolge bereits aus den neunziger Jahren und wurde nach dem 11. Sep­tember 2001 nur verschärft. Stimmen Martys Informationen, dann beteiligten sich übrigens bereits zu der Zeit, als Bill Clinton noch Präsident der USA war, deutsche Behörden daran.

Der Bericht macht das regierungsamtliche Men­schenrechtsgetöse europäischer Staaten als das kenntlich, was es seit je war: Kampfpropaganda zur Delegitimierung des jeweiligen Gegners. Wer sich mit der Barbarisierung der Verhältnisse wirk­lich nicht zufrieden geben will, hat auf dem eigenen Kontinent genug zu tun.