27.09.2006

Programmausfall

Das Wahlergebnis der NPD in Mecklenburg-Vorpommern zeigt: Die staatlichen Programme gegen Rechts bewirken wenig. von burkhard schröder

In Papua-Neuguinea haben die Kommunen eine lange Erfahrung mit Programmen gegen ungünstiges Wetter: Ist es zu trocken, tanzt man unter kundiger Anleitung der Schamanen, bis es regnet. Bei zu viel Nässe geht man ähnlich vor. In der Hälfte aller Fälle hilft der Regenzauber.

Diese oder eine vergleichbare Wirkung erzielen auch moderne, mitteleuropäische Formen der primitiven Magie, etwa das kollektive Tragen von Lichterketten oder die staatlichen »Programme gegen Rechts«. Nach dem Erfolg der NPD in Mecklenburg-Vorpommern streiten alle darüber, wer warum und weshalb Geld bekommt. Die unterschiedlichen Meinungen sind klar: Je linker man sich selbst fühlt, um so mehr gehört es zur staatsbürgerlichen Tugend, für den Erhalt der real existierenden Programme zu fechten. Die tun was: Sie haben Pillen und Rezepte gegen das Böse.

Die Bürgerlichen möchten jedoch nur »gegen Gewalt« sein und wenden sich gegen die Extremisten von links und rechts. Die immer noch gültige politische Staatsreligion der Totalitarismusdoktrin besagt, dass die Kommunisten und die NSDAP sowieso irgendwie identisch gewesen seien und die Antifas und Neonazis deren heutige Inkarnationen seien. Wer nur gegen Rassisten ist, löst den bei den Christdemokraten eingebauten weltanschaulichen Reflex aus: Aber bitte auch gegen links!

Der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye schreibt in Spiegel online: »Nun ist es wohl endgültig nicht mehr zu übersehen: Die Republik hat ein Rechtsradikalen-Problem.« Der Mann könnte aus Mecklenburg stammen, wo nach einem Wort des ehemaligen Reichskanzlers Bismarck alles 100 Jahre später geschieht. Vielleicht erinnern sich die Älteren noch an die Pogrome in Rostock und Hoyerswerda, an die Morde von Mölln. Jemand mit dem Gedächnis einer Eintagsfliege sollte sich über Konzepte gegen Rechts nicht öffentlich äußern.

Der Generalsekretär der CDU, Ronald Pofalla, bezweifelt, ob die real existierenden Programme »die gewünschte Wirkung« hätten. Nein, definitiv nicht, weil niemand sich bisher erdreistet hat zu behaupteten, man könne mit Jugendarbeit den Neonazis die potenziellen Wähler abspenstig machen.

Beweisen könnte das ohnehin niemand. Der »Kampf gegen Rechts« ist vergleichbar mit der Drogenprophylaxe, die am besten schon beim Kleinkind anfängt, das Gewissen aller beruhigt und deren Wirkung weder zu beweisen noch nachzuprüfen ist.

Was »rechts« ist, weiß niemand der Beteiligten. Und wofür oder wogegen sich die Initiativen genau richten, auch nicht. Für Toleranz? Sollen die Neonazis ein bisschen toleranter gegenüber Fußballern mit schwarzer Hautfarbe wie Gerald Asamoah sein? Sollen die Juden tolerant gegenüber islamischen Fundamentalisten sein? Die Atheisten gegenüber Verehrern höherer Wesen?

Rock gegen Rechts? Das ist doch zum Totlachen. Fast 60 Prozent aller Projekte beschäftigen sich mit Bildung und Kultur. Das suggeriert: Wer Musik hört, also Kultur besitzt, und wer Thomas Mann im Original lesen kann, ist vor Rassismus und Antisemitismus gefeit.

Die »Programme gegen Rechts« sind gut gemeint, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben sich alle Mühe, und leicht haben sie es nicht in so mancher Region. Aber ohne Zweifel sind sie auch ein typisches Phänomen der bildungsbürgerlichen Mittelschicht, also der Klientel der Grünen und der linken Sozialdemokraten. Bildung hat diesem Milieu den sozialen Aufstieg ermöglicht. Deshalb verlangt man in diesen Kreisen gern von anderen, vor allem den unteren Klassen, sich an die Regeln zu halten und der Kultur zu frönen. Es muss aber gesittet zugehen: Man sitzt zusammen, und jemand redet.

»Programme gegen Rechts« sind die moderne Version des Heimes für gefallene Mädchen und des Turnvaters Jahn. Sachsens Ministerpräsident Georg Mil­bradt (CDU) will auch den Sport mehr fördern. Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper – und Arbeit macht frei von Rassismus.

Eine Diskussion über die Ziele der Programme im »Kampf gegen Rechts« würde zu heftigen politischen Turbulenzen führen. Rechts ist bekanntlich, wer völkische Ideen von der Nation vertritt, wer Immigranten nur unter dem Aspekt beurteilt, ob sie dem Profit dienen, den sich das Kapital erhofft, und wer die Bevölkerung unter die Knute einer Leitkultur stellen will, der christlichen womöglich.

Rechts ist, wer die Residenzpflicht der Migranten für vereinbar hält mit der vom Grundgesetz garantierten Menschenwürde. Rechts ist, wer bei Abschiebungen den Tod von Menschen billigend in Kauf nimmt. Rechts ist, wer das deutsche Volk durch eine »Kultur« definiert. Programme gegen diese Ideen und gegen diese Praxis werden nicht gefördert – außer die wenigen, die sich explizit der Situation von Flüchtlingen widmen. Einer Initiative, die etwa von der Politik forderte, das immer noch auf dem Abstammungsprinzip beruhende Staatsbürgerschaftsrecht zu ändern, die Einbürgerung von Immigranten zu erleichtern und die Abschiebeknäste zu schließen, würde schnell der Geldhahn zugedreht.

Weil in Deutschland ungern kontrovers diskutiert wird, belässt man es bei vager Moraltheologie: Man ist für Demokratie und gegen Gewalt und gegen jedwede Ismen. Wenn es politisch, also ernst würde, verabschiedete sich die CDU ohnehin. Wer bekämpft sich schon gern selbst – und das auch noch mit Steuergeldern? Die ganze Angelegenheit des regierungsamtlichen Kampfes gegen dies und das ist nicht nur pure Heuchelei, sondern ein Regenzauber, der noch weniger wirkt als ein Tanz in Papua-Neuguinea. Seitdem die Programme aufgelegt wurden, hat sich die Zahl der Neonazis in den Parlamenten stetig erhöht. Das wird niemand bestreiten. Und was folgern wir daraus?

Die Idee, der Staat müsse Geld ausgeben für Berufsjugendliche und andere Beschwörer des Guten, Schönen und Wahren, um das Denken der Bürgerinnen und Bürger zu beeinflussen, ist ohnehin niedlich und naiv. Aber sehr deutsch. Von links bis rechts, vom Punk bis zum Spießer, sind sich die Deutschen in zwei leitkulturellen Dingen einig: in der Liebe zum Hund und in der Idee, die Obrigkeit müsse sich in die Gedanken der Untertanen irgendwie einmischen, um diese auf den Pfad der Tugend zu führen.

Wer fordert, Arbeitsplätze abzuschaffen, ist böse. Wer fordert, Arbeitsplätze von Leuten abzuwickeln, die es moralisch gut gemeint haben, ist noch böser. Dabei könnten die Programme »gegen Rechts« genauso ersatzlos gestrichen werden wie der Verfassungsschutz. Kaum jemandem würde ihr Fehlen unangenehm auffallen, außer denen, die Jugend- und Sozialarbeit nur noch bewilligt bekamen, weil das Logo »gegen Rechts« draufpappte.