So oder so abschieben

Den neuen »Bleiberechtsbeschluss« legt jedes Bundesland anders aus. Überall bekommen nur die wenigsten Flüchtlinge eine Aufenthaltserlaubnis. von anke schwarzer

Sprachlich ist der so genannte Bleiberechtsbeschluss der Innenminister gegenüber den »Altfallregelungen« aus den Jahren 1999 und 1996 ein Schritt nach vorne. Bloß kann bei dem Beschluss vom 17. November keine Rede von einem Recht zu bleiben sein. Von den knapp 249 000 Personen, die im Herbst 2006 eine Duldung oder Aufenthaltsgestattung besaßen und die zu einem großen Teil länger als zehn Jahre in Deutschland leben, können schätzungsweise nur 30 000 bis 40 000 die Voraussetzungen für eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis erfüllen.

»Ausreisepflichtige«, die sich zum Zeitpunkt des Beschlusses mindestens seit acht Jahren in Deutschland befanden, erhalten eine Aufenthaltserlaubnis, wenn sie selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen und keine Sozialleistungen beziehen. Gleiches gilt für Personen, die mindestens seit sechs Jahren hier leben und ein Kind haben, das die Schule oder den Kindergarten besucht. Eine Art Sippenhaftung gilt für Familien, wenn ein Mitglied straffällig geworden ist. Dann kann die ganze Familie abgeschoben werden. In Bayern sieht es mit den geforderten Deutschkenntnissen ähnlich aus: Spricht ein einziges Familienmitglied nicht gut genug, befristet das Land die Aufenthaltserlaubnis für alle Angehörigen bis zum 30. September 2007. Offen bleibt, wie die zuständigen Sachbearbeiter überhaupt die mündlichen Sprach­kenntnisse prüfen wollen, obwohl derzeit noch nicht einmal die Veranstalter von Sprachkursen über einen geeigneten Test verfügen.

Unmissverständlich heißt es im Beschlusspapier der Innenminister, dass eine »Zuwanderung in die Sozialsysteme« vermieden und der Aufenthalt von Menschen, die nicht von der Vereinbarung profitieren, »konsequent beendet« werden müsse.

Abgesehen von den strengen Kriterien handelt es sich bei der Regelung keineswegs um die gesetzliche Grundlage für einen Aufenthaltsanspruch. Eine Gesetzesänderung, die auch Kettenduldungen – die mehrfach wiederholte Verlängerung des Duldungsstatus – verhindern würde, ist nicht vorgesehen, weil sich die Regierung darüber nicht einig wird. Stattdessen erlässt jedes Bundesland eigene Verordnungen, die sich an den Beschluss vom November anlehnen.

Bis zum 18. Mai müssen die Anträge auf eine Aufenthaltserlaubnis gestellt und Wohnraum, Geld und Deutschkenntnisse müssen nachgewiesen sein. Auf den Zeitdruck sind die Ausländerbehörden offenbar nicht eingestellt. Das Innenministerium von Nord­rhein-Westfalen ließ sich nach der Konferenz im November fast einen Monat Zeit, bis es den Behörden die entsprechenden Handlungsanweisungen zuschickte. Diese warfen neue Fragen auf. Und während Unklarheiten beseitigt werden, vergehen weitere Wochen, die den Antragstellern am Ende fehlen dürften.

Sachsen hat erst vor wenigen Tagen die Verwaltungsvorschrift erlassen. In Hamburg lag die Weisung zwar schon Ende November vor. Doch auch dort sind die Behörden nicht auf die große Zahl von Anträgen vorbereitet. Um die Anträge zügig zu bearbeiten, hätte das Personal in den Arbeitsagenturen und in der Ausländerbehörde aufgestockt werden müssen, was aber nicht geschah. »Kein Arbeitgeber hält ein Jobangebot zwei Monate aufrecht, bis die Sache endlich in der Arbeitsagentur und der Ausländerbehörde geklärt ist«, sagt Ufuk Yilmaz, der in einer Hamburger Einrichtung Flüchtlinge berät. Manche Bestimmungen seien immer noch nicht bei den Sachbearbeitern angekommen.

Uwe Thele, der Leiter der Ausländerstelle in der Hamburger Agentur für Arbeit, betont dagegen die gute und schnelle Zusammenarbeit zwischen Arbeitsagentur und Ausländerbehörde: »Begünstigte können wir nun sofort identifizieren, weil die Ausländerbehörde sie mit einem Extra-Stempel ausweist.« Lege ein Antragsteller ein Arbeitsangebot vor, würden die Arbeitsbedingungen »innerhalb einer Woche« geprüft. Von 154 vorgelegten Jobangeboten, die fast alle im Niedriglohnsektor lagen, seien 67 abgelehnt worden, weil die Bedingungen nicht ortsüblich gewesen seien oder der Lohn unter dem Tarif gelegen habe, berichtet Thele.

Die Prüfung wirke letztlich wie ein Ausschluss, sagt Bernd Mesovic, Referent bei Pro Asyl. Es gibt Fälle, in denen der Antragsteller, der jahrelang einem faktischen Arbeitsverbot unterlag, den mühsam gesuchten Job nicht annehmen durfte, weil der Lohn wenige Cent unter dem Tarif lag. Manche Initiativen, etwa der Berliner Flüchtlingsrat, fordern, auf die Prüfung zu verzichten und den Betroffenen die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

In Hamburg leben nach dem Ausländerzentralregister vom Oktober rund 14 000 Menschen mit Duldung oder Aufenthaltsgestattung. Jörg Klußmann, der Zuständige für Grundsatzangelegenheiten des Ausländerrechts in der Behörde für Inneres, rechnet mit etwa 3 000 Anträgen nach der Bleiberechtsregelung. Bis Ende Januar seien 1 200 gestellt worden. In Sachsen-Anhalt mit etwa 5 000 geduldeten Menschen zählte das Innenministerium bis jetzt 530 Anträge, wobei in 24 Fällen die Duldung für die Arbeitssuche bis zum Herbst dieses Jahres verlängert worden sei. In Schleswig-Holstein, wo 3 000 geduldete Menschen leben, sind nach Informationen des Innenministeriums bis Ende Januar 435 Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt worden. 34 Personen hätten bereits eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, neun Anträge seien abgelehnt worden.

Die Regelungen in den Bundesländern weichen zum Teil erheblich voneinander ab. Juristisch gegen eine ungleiche Behandlung vorzugehen, ist nicht möglich, da es sich eben nicht um ein Gesetz handelt. Der Frankfurter Rechtsanwalt Reinhard Marx hat die Weisungen, soweit sie vorlagen, analysiert. Danach gibt es beispielsweise große Unterschiede bei den Regelungen für Personen, die minderjährig einreisten, inzwischen aber volljährig sind und einen eigenen Antrag stellen müssen. Auch die Anweisungen für Minderjährige, die unbegleitet einreisten, unterscheiden sich stark. Bayern und Baden-Württemberg setzen bei den jungen Erwachsenen einen Mindestaufenthalt von sechs Jahren für die Aufenthaltserlaubnis voraus, erwähnen aber die unbegleitet eingereisten Minderjährigen nicht. In Bremen und Schleswig-Holstein ist für beide Personengruppen nichts geregelt. In Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz können unbegleitet eingereiste Minderjährige einen Antrag stellen, wenn sie bis zum 17. November 2000 einreisten. In Niedersachen lediglich dann, wenn die Jugendlichen spätestens am 30. September 2007 volljährig werden und sechs Jahre die Schule besucht haben.

Beispiele für derlei bürokratischen Irrsinn gibt es viele, und man könnte über sie lachen, zielten sie nicht allesamt darauf ab, möglichst keinen Cent für lange in Deutschland lebende Flüchtlinge auszugeben. Alleinerziehenden wird in manchen Bundesländern vorgeschrieben, ab wann sie wieder zu arbeiten haben, und sogar alte Menschen müssen jemanden finden, der sich verpflichtet, Versicherungsbeiträge und andere Kosten für sie zu übernehmen.