Die Deutschen und die Verdächtigen

ARD und ZDF übertragen die Tour de France nicht mehr, aber gedopt sind trotzdem immer nur die anderen. von elke wittich

Rentner angefahren und schwer gestürzt. Hund angefahren und schwer gestürzt. Niemanden angefahren, aber beim Doping erwischt. Für Freunde deutscher Dusseligkeiten war die erste Woche der Tour de France ein ziemlicher Spaß: Morgens im Videotext die neuesten Nachrichten über den aktuellen Verletzungsstand lesen, gemütlich frühstücken und dann den Kommentatoren von ARD und ZDF beim Üben weitgehend neutraler Radrenn-Kommentierung zuhören.

In den Anfangstagen der diesjährigen Rundfahrt ging man schließlich allgemein davon aus, dass kein Deutscher eine Chance haben werde, ins Gelbe Trikot zu fahren. Entsprechend konnten sogar die Reporter von ARD und ZDF, in früheren Jahren schon ganz furchtbar aufgeregt, wenn nur die Chance bestand, dass ein deutscher Fahrer gleich ins Bild radeln werde, die Tour de France gemütlich angehen.

Lange ging die Sache mit der journalistischen Neutralität jedoch nicht gut. Die anfangs noch mangelnden Spitzenleistungen der heimischen Sportler wurden von den öffentlich-rechtlichen Experten auf anderem Gebiet ausgeglichen: Unermüdlich präsentierte man sich als Vorkämpfer gegen Doping, empörte sich über Lücken bei den Kontrollen der Tour, zählte bei jedem Fahrer statt sportlicher Erfolge eventuelle Verdachtsmomente auf und war nur in einem Punkt ganz sicher: Die Fahrer von T-Mobile waren allesamt sauber. Im Gegensatz zu allen anderen. Ein ZDF-Reporter teilte die Radler an einem der ersten Renntage in »die Deutschen und die Verdächtigen« ein.

Vermutlich unbeabsichtigt machte man damit genau dort weiter, wo man anlässlich des Skandals um den Dopingarzt Fuentes aufgehört hatte. Jahrelang hatte man bei den Live-Übertragungen der Tour jeden Hinweis auf Doping wegerklärt, solange deutsche Fahrer oder Angestellte deutscher Teams betroffen waren. Deutsche Spitzenleistungen wurden auf überragende Trainingsmethoden, Pferdelungen, unglaubliches Talent zurückgeführt, während man bei der Konkurrenz plötzliche Leistungssteigerungen durchaus auf unerlaubte Substanzen schob. Deutschland, so das Gesamturteil, sei schließlich das einzige Land der Welt mit funktionierenden Dopingkontrollen, während in fast allen anderen Staaten praktisch nach Herzenslust mit Epo, Hormonen und anderen Präparaten nachgeholfen werden könne.

Und dann war es ausgerechnet ein Deutscher, der mitten in der Vorfreude auf den vorigen Samstag, an dem fest damit gerechnet wurde, dass Klöden ins Gelbe Trikot fahren werde, als Doper gemeldet wurde. Patrik Sinkewitz, bei der Tour verletzt ausgeschieden, war bei einer Trainingskontrolle positiv auf Testosteron getestet worden.

Obwohl es sich streng genommen eben nicht um Doping bei der Frankreich-Rundfahrt handelte, machten ARD und ZDF ihre Drohung wahr und erklärten ihre Live-Berichterstattung über die Tour für beendet. Auch wenn zum Beispiel in der amerikanischen Football-Liga NFL, deren Saisonfinale Superbowl die ARD alljährlich mit großem Aufwand live präsentiert, Testosteron-Doping nichts Ungewöhnliches ist. Die Strafe für einen erwischten Spieler beträgt vier Wochen Sperre.

Genau das könnte für die Öffentlich-Recht­lichen in den nächsten Jahren zum Problem werden. Künftige Verhandlungen über Übertragungsrechte dürften für ARD und ZDF sehr schwierig werden, weil vom Internationalen Olympischen Komitee über die Fußballverbände und Werbeagenturen bis zu den Vertretern kleiner Disziplinen niemand einen unberechenbaren Partner schätzt, der plötzlich wegen eines einzigen Dopingfalls Übertragungen beendet. Außerdem gibt es praktisch keine Sportart, in der nicht gedopt wird; folgten ARD und ZDF ihren vor der Tour aufgestellten Regeln, bliebe ihnen nur noch, sportliche Großereignisse wie den Deutschen Volkswandertag live zu übertragen.

In einem Punkt hatten sich die selbsternannten Fernsehsittenwächter allerdings verrechnet. Übertragungsrechte kaufen und dann einfach keine Livebilder zu senden, geht nicht. Die Verträge enthalten detaillierte Vereinbarungen über Sendetermine und Aufzeichnungen, wie RTL vor einigen Jahren feststellen musste: Bloß das Topspiel mit deutscher Beteiligung auszustrahlen, war verboten, die Uefa bestand darauf, dass auch Aufzeichnungen aller anderen Begegnungen in der vereinbarten Länge gezeigt wurden.

Und so konnten es auch ARD und ZDF nicht dabei belassen, keine Livebilder der Tour de France zu zeigen, und mussten die Übertragungs­rechte zurückgeben. Vielleicht waren die Verantwortlichen wirklich so naiv zu glauben, dass sich kein anderer Sender für die Rechte interessieren würde, womöglich dachten sie wirklich, dass die Veranstalter der Frankreich-Rundfahrt es einfach hinnehmen würden, dass die Tour im Fernsehen des größten Landes der EU nicht stattfindet. Es spricht einiges dafür, dass die Intendanten glaubten, ihr Boykott werde eine Signalwirkung haben und andere Sender dazu bringen, die Übertragungen einzustellen. Im eigenen Videotext verkündete man beispielsweise noch stolz, dass Eurosport noch nicht entschieden habe, ob man die Live-Übertragungen fortsetzen werde, als Pro 7 / Sat 1 schon längst über die Übernahme der Übertragungsrechte verhandelte.

Ob man bei Sat 1 ernsthaft damit gerechnet hat, dass die Tour eine sehr hohe Zuschauerquote erreichen würde, ist zweifelhaft. Durch den Radrenn-Coup gelang es dem Sender immerhin, die öffentliche Diskussion über die nur wenige Tage zuvor erfolgte sofortige Absetzung diverser Nachrichtensendungen zu beenden. Immerhin war nach dem Aus für die News sogar die Sendelizenz von Sat1 in Frage gestellt worden, da private Fernsehsender eine Informationspflicht haben.

Die aus finanziellen Gründen erfolgten Massenentlassungen interessierten angesichts des Kaufs der Übertragungsrechte niemanden mehr.

Insofern war die Tour-Übernahme ein Erfolg. Doch was immer man den öffentlich-rechtlichen Reportern vorwerfen mag, sie kennen immerhin die Namen der Fahrer und ihre jeweiligen Geschichten, können die Trikots der Rennställe voneinander unterscheiden, verstehen genug Französisch, um die neuesten Nachrichten des Tourfunks zu verstehen, und wissen außerdem, durch welche Gegend Frankreichs gerade geradelt wird.

Die hastig zusammengestellte Sat1-Crew ließ Fachwissen und Insider-Informationen dagegen komplett vermissen, so dass die Zuschauer mehrheitlich zu Eurosport wechselten.

Zumal man sich bei Pro 7, am Samstag für die Übertragung zuständig, nicht entblödete, einen Reporter an das Starthäuschen der Zeitfahrstrecke zu stellen und ihn in einer Live-Schaltung zu fragen, wie denn die Stimmung sei, nun, wo in wenigen Minuten »endlich der Deutsche Alex Klöden an den Start« gehe.

Es ist nicht auszuschließen, dass die Pro 7-Sportjournaille wirklich mit der Auskunft gerechnet hatte, das mehrheitlich französische Publikum sei vor Vorfreude darauf, endlich Herrn Klöden zu Gesicht zu bekommen, in Ekstase verfallen und könne vor Verzückung bereits seit Stunden nicht mehr an sich halten.

Und die Öffentlich-Rechtlichen? Am Sonntag, dem Tag der ersten Pyrenäen-Etappe der Tour, übertrug die ARD live die Deutschen Meisterschaften der Leichtathleten. Und stellte dort ausführlich den Läufer Nils Schumann vor, ehemals von Thomas Springstein trainiert, der wegen erwiesenen Dopings seiner Athleten kein Coach mehr sein darf. Schumann wurde außerdem von Dr. Manuel Fuentes betreut, dem Arzt, dessen Unterlagen das allerorten praktizierte Doping im Profi-Radsport erst belegten.

Nils Schumann durfte ausführlich über Saisonziele und weitere Pläne plaudern. Kritische Fragen wurden dem Mann, der zwar nicht des Dopings überführt ist, allerdings durchaus als verdächtig gelten darf, nicht gestellt. Der Reporter sprach lediglich von »Irrungen und Wirrungen«.