Töten, um sich zu beweisen

Gewalt gegen Obdachlose Kommentar von Jan Langehein

Sie traktierten ihn so lange mit Schlägen auf seinen Kopf und den Oberkörper, bis er starb. In der vergangenen Woche wurde in Blankenburg in Sachsen-Anhalt ein 59jähriger Obdach­loser totgeschlagen. Verdächtigt werden zwei 17 bzw. 20 Jahre alte Männer. Die Leiche wurde im Keller des Obdachlosenheims versteckt, in dem der Mann regelmäßig übernachtet hatte.

Die Polizei sagt über die Verdächtigen nur, dass sie bereits vorbestraft seien; über einen mög­lichen rechtsextremen Hintergrund der Tat schweigt sie sich aus. Dabei liegt der Verdacht durchaus nahe, dass eine rechtsextreme Einstellung eine Rolle spielte. Seit Jahren werden Obdachlose immer wieder Opfer von Neonazis, insbesondere im Osten des Landes. Dabei erkennen die Behörden eine politische Motiva­tion solcher Taten meist nur dann an, wenn es sich bei den Tätern um organisierte Rechtsex­tremisten handelt. Eine Statistik der Frankfurter Rundschau zählt zwischen 1990 und 2001 17 Morde an Obdachlosen auf, die erwiesener­maßen von Neo­nazis begangen wurden; die Obdachlosenzeitung Motz kam allein für die Jahre von 1989 bis 1993 auf über 250 tödliche Attacken, ohne den politischen Hintergrund im Einzelnen nachweisen zu können.

Es stellt sich die Frage: Wann ist ein Mord an einem Obdachlosen als rechtsextreme Tat zu bewerten? Zählen allein Motiv und Person des Täters, oder lässt sich der Tat selbst, bis zu einem gewissen Grad unabhängig davon, ein nazistischer Charakter nachweisen? Im Sommer 2000 wurden kurz nacheinander sechs Obdachlose ermordet; einer der Täter sagte damals: »Aso­ziale gehören nicht ins schöne Ahlbeck.« Im August 2001 erklärte ein Jugendlicher den Mord an dem 61jährigen Dieter Manzke damit, er habe sich »gestört gefühlt« und »Ordnung schaffen« wollen. Manzke wurde von fünf jungen Männern in einer Gartenlaube eingesperrt und über mehrere Stunden zu Tode gefoltert.

Den politischen Gehalt dieser Taten an den Tätern festzumachen, ist schwierig, weil es sich bei ihnen selten um Neonazi-Funktionäre handelt, oft aber um Randfiguren der rechtsextremen Szene. Was treibt diese Leute dazu, Obdachlose zu erschlagen? Die Verfolgung »Aso­zialer« wurde im Nationalsozialismus damit begründet, dass sie sich nicht in die »Volksgemeinschaft« einfügten, und zwar wegen ihrer biologistisch begründeten angeblichen »Minderwertigkeit«. Solche Ideen mögen auch heute in den Köpfen der Täter herumspuken und ihnen selbst nach der Tat als Motiv erscheinen. Sie sind jedoch nicht ihr Grund, sondern nur der Versuch einer Rationalisierung des zutiefst irrationalen Handelns.

Meist geht kein Beschluss zur Säuberung voraus; die Täter greifen spontan an, sind oft betrunken und lassen ihrem Hass freien Lauf. Dieser Hass gründet nicht unbedingt in einer Ideologie, sondern zuweilen auch in einem Minderwertigkeitsgefühl: Die Obdachlosen werden nicht deshalb zu Opfern, weil sie so anders wären als ihre Peiniger, sondern weil sie ihnen so ähnlich sind.

Mit der Gewalt gegen die »Asozialen« und »Wertlosen« versichern sich die Täter auch ihres eigenen Werts, ihres Nutzens für die Gesellschaft, den ihr Alltag stets dementiert. Insgeheim erkennen sie im Berberleben ihre mögliche Zukunft, die droht, wenn sie, ihren Opfern gleich, der Überflüssigkeit anheimfallen. Sie hassen die Obdachlosen für deren Schicksal, weil sie es selbst fürch­ten – »asozial« werden im Wortsinne: nicht länger Teil der Gesellschaft sein, sondern deren Aus­schuss.

Sind das Argumente, die gegen einen politischen Charakter der Morde sprechen? Nein, denn auch die NS-Ideologie war nicht der alleinige Grund für die Taten der Nazis, sondern es ging auch um deren Bemäntelung – um die Rationalisierung des eigenen Wahns, pseudo-wissenschaftlich aufgeblasen und erhoben zum Staatsprogramm. Folgt man dieser These, dann wäre von einem politischen Hintergrund eines Mordes an einem Obdachlosen nicht nur zu sprechen, wenn der Täter ein gut geschulter Neonazikader ist, sondern auch dann, wenn er vom faschis­tischen Charakter seines Tuns kaum etwas weiß.