Ein mörderisches Pärchen

Bei einem Anschlag auf den Bahnhof von Bologna im Jahr 1980 starben 85 Menschen. Das neue Buch eines linken Journalisten bestreitet die Schuld zweier als Täter verurteilter Faschisten.

Mitten im sommerlichen Reiseverkehr, am 2. August 1980 vormittags, ereignete sich im Bahnhof von Bologna das bislang verheerendste Bombenattentat in der Geschichte der Republik Italien. Im Wartesaal der Zweiten Klasse explodierten zwei mit Sprengstoff gefüllte Koffer. Die Wucht der Explosion wurde durch einen am ersten Bahnsteig wartenden Zug zurückgeworfen, so dass ein Flügel des Gebäudes zusammenbrach. 85 Reisende wurden entweder auf der Stelle getötet oder erlagen später ihren Verletzungen, weitere 200 wurden zum Teil schwer verletzt.

Im April 2007 wurde nun, nach einer langen Reihe von Prozessen, der zum Zeitpunkt dieser Untat noch minderjährige Luigi Ciavardini, der den faschistischen Nuclei Armati Rivoluzionari (NAR) angehört und auch den gegen die Rechtsterroristen ermittelnden Richter Mario Amato ermordet hat, als Täter zu 30 Jahren Haft verurteilt. Vor zwölf Jahren wurde wegen dieses Verbrechens bereits das ebenfalls bei den NAR aktive mörderische Pärchen Valerio Fioravanti und Francesca Mambro rechtskräftig verurteilt. Sie waren zum Zeitpunkt des Anschlags 22 bzw. 20 Jahre alt.

Die damals noch antifaschistische öffentliche Meinung, aber auch Politiker wie der Staatspräsident Sandro Pertini und nicht zuletzt die Angehörigen der Opfer bezichtigten die Faschisten des Attentats. Diese hatten in den siebziger Jahren als Exekutoren der von dem antikommunistischen Geheimbund Gladio und italienischen Geheimdienstkreisen verfolgten »Strategie der Spannung« nachweislich etliche Bombenanschläge auf Züge und öffentliche Plätze in Italien verübt. Allerdings war es nie zu einer rechtskräftigen Verurteilung der Täter oder ihrer Hintermänner gekommen.

Bevor sich der Anschlag von Bologna im August zum 27. Mal jährte, wurde in Rom ein Buch vorgestellt, »La Storia nera« (Die schwarze Geschichte), das die »Wahrheit« aus Sicht der NAR-Terroristen Francesca Mambro und Valerio Fioravanti erzählt und die These vertritt, die bislang einzigen, die für einen faschistischen Terroranschlag dieses Ausmaßes rechtskräftig verurteilt worden sind, seien als unschuldig zu betrachten.

Überdies wird in dieser Revision die Schuld der Faschisten generell in Frage gestellt. Stattdessen werden auf der Suche nach den Hintermännern des Anschlags Spuren verfolgt, die von Italien weg und nach Libyen, in den Nahen Osten, zur Gruppe von »Carlos« und zu den deutschen Revolutionären Zellen führen. Geschrieben hat das Buch Andrea Colombo, ein ehemaliger Journalist der linken Tageszeitung il manifesto, der heute für die Rifondazione Comunista im Parlament sitzt. Er war in den siebziger Jahren Mitglied der linksradikalen Gruppe Potere Operaio, aus der viele Verfechter des »bewaffneten Kampfes« hervorgegangen sind.

Die in rechten Elternhäusern aufgewachsenen Fioravanti und Mambro stilisieren sich in dieser schwarzen Geschichte rückblickend als Kämpfer in einem Krieg, der im Namen einer »gerechten Sache« gegen das »System« und gegen Linke und Feministinnen auf der Straße ausgefochten wurde. Sie wollen partout nichts mit dem blinden Terror der von den Geheimdiensten gelenkten Bombenleger von Ordine Nuovo gemein haben, der zehn Jahre vor ihrem Auftritt grassierte. Sie sehen sich als eine Art »schwarze« Anarchisten, die gegen die Feigheit der faschistischen Partei MSI aufbegehrten und ihre Vorbilder eher in den Fernsehserien ihrer Kindheit, in »Zorro«, »Sandokan«, »Ivanhoe« und »Robin Hood«, gefunden haben als in einer Figur wie Mussolini.

Die Blutspur, die das Pärchen bei seiner spontaneistischen faschistischen Rebellion zog, ist beachtlich, selbst wenn man die 85 Toten von Bologna nicht in Erwägung zieht. Mambro und Fioravanti, der als »Henker« der NAR in Erscheinung trat, verantworteten den Tod von mehr als einem Dutzend Menschen. Zu den eklatantesten Fällen gehört die Ermordung des 24jährigen Roberto Scialabba am 28. Februar 1978 in Rom, der allein wegen seines linken Aussehens – er trug seine Haare lang und hatte linke Zeitungen bei sich – von Fioravanti auf offener Straße »hingerichtet« wurde.

Ein Jahr darauf wollte er einen als Verräter verfemten Anwalt töten, traf aber den Falschen, der sich auf seinen Anruf hin auf der Straße umgedreht hatte. Getötet wurden auch »Verräter« aus den Reihen der Faschisten sowie Polizisten und Carabinieri, um an Maschinenpistolen zu gelangen, und ein Schüler, der Francesca Mambro bei einem Raubüberfall in die Quere kam.

Dass die NAR den Umgang mit Bomben kategorisch abgelehnt hätten, kann nicht behauptet werden. Am internationalen Frauentag, dem 8. März 1979, platzierten sie eine Bombe vor dem Fenster des feministischen Kulturkreises im römischen Stadtviertel Prati, und 1979 warfen sie zwei Handgranaten in ein kommunistisches Parteilokal, in dem gerade Eisenbahner und Bewohner aus dem Viertel ihre Versammlungen abhielten. Wie durch ein Wunder gab es nur Verletzte und keine Toten.

Trotz, oder, folgt man der Logik, die das Terroristenpärchen in Colombos Buch entfaltet, gerade wegen dieser »ehrenhaften« Vergangenheit wollen sich die NAR-Terroristen keinesfalls zur Täterschaft bei dem Anschlag von Bologna bekennen, die ihnen die Ermittlungsbehörden und die Gerichte zugeschrieben haben. Tatsächlich wurde schon früher, gerade auch von linker Seite, darauf hingewiesen, dass die Indizien oder Beweise für eine Verurteilung der NAR-Leute in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht hinreichend seien.

In den Prozessen um das 1969 verübte Bombenattentat auf die Mailänder Landwirtschaftsbank an der Piazza Fontana wurden dagegen stichhaltigere Beweise und Indizien, die eine Täterschaft von Ordine Nuovo nahe legten, so oft verschleppt und interpretiert, dass es nie zu einer Verurteilung kam. Wegen dieses Versäumnisses und der Vorgeschichte der zweifellos rechten Massaker in Italien spricht Colombos Buch auch von einer zeitbedingt begreiflichen Vorverurteilung. Als nämlich die Uhr am Bologneser Bahnhof zum Zeitpunkt der Explosion um 10 Uhr 25 stehen blieb, galt es für die meisten Italiener einfach als ausgemacht, dass die Faschisten die Täter waren.

Fioravanti und Mambro leben heute mit ihrer dreijährigen Tochter bedingt auf freiem Fuß, beide arbeiten bei Nessuno Tocca Caino (»Keiner rühre mir Kain an«), einer Initiative der Radikalen Partei gegen die Todesstrafe. Es mag sein, dass sie in eine Geschichte verwickelt wurden, die sie selbst nicht ganz durchschaut haben. Ihre mögliche Unschuld zu konstatieren, ist eine Sache. Völlig schwach wird das Buch aber, wenn es anregt, die Urheber des Anschlags von Bologna nicht bei Faschisten und Staatsterroristen, sondern woanders zu suchen.

In Unterlagen der ostdeutschen Staatssicherheit etwa und bei Thomas Krams, den die Bundesanwaltschaft wegen Zugehörigkeit zu den Revolutionären Zellen anklagt. Krams stieg auf einer Italien-Reise zufällig in der Nacht vor dem Anschlag unter eigenem Namen und durch seinen echten Ausweis legitimiert in einem Hotel in Bologna ab. Das führt Colombo zur Annahme, er könnte die Bomben im Auftrag der Volksfront zur Befreiung Palästinas gelegt haben, die sich damit für die Verhaftung eines ihrer Mitglieder durch die Italiener habe rächen wollen.

Eine ähnlich abwegige Spur legte der italienische militärische Geheimdienst sechs Monate nach dem Attentat, als er einen Koffer mit Sprengstoff und Fahrkarten in einem Zug, der in Bologna Halt machte, auffinden ließ. Eine Karte war auf den Namen des Nazis Karl-Heinz Hoffmann ausgestellt, des damaligen Anführers einer fränkischen »Wehrsportgruppe« und mutmaßlichen Hintermanns des Bombenanschlags auf das Münchner Oktoberfest.