Die Hexen sind wieder da

Zum ersten Mal seit 30 Jahren gingen italie­nische Feministinnen auf die Straße. Sie protestierten gegen Maßnahmen der Regierung, die geschlechtsspezifische Gewalt in ihren Augen sicherheitspolitisch instrumentalisiert. Zum ersten Mal seit 30 Jahren durften keine Männer dabei sein. von catrin dingler, rom

Über eine Million Frauen wurden in Italien im Jahr 2006 Opfer von gewalttätigen Übergriffen. Diese Zahl gab das staatliche Statistikamt bereits im Frühjahr dieses Jahres bekannt. Obwohl damit ein deutlicher Anstieg verzeichnet worden war, erfuhr der Bericht kaum Beachtung. Gewalt gegen Frauen ist in den italienischen Massenmedien zwar ein ständiges Thema, allerdings immer nur im Einzelfall, als ein spektakuläres Verbrechen. Dabei bestätigt die makabre Abfolge der medial aufbereiteten »Tragödien« ein zentrales Ergebnis der statistischen Untersuchung: Die bedauerten Frauen werden fast immer von ihren Männern, Verlobten, Ex-Freunden oder Stiefvätern missbraucht oder getötet, 78 Prozent der Gewalt findet im familiären Umfeld statt.

Trotzdem wird die zunehmende Aggressivität von Männern gegen Frauen in der Öffentlichkeit in den meisten Fällen nur dann diskutiert, wenn die Gewalt von einem »fremden« Mann ausgeht und sich mit der Ethnisierung des Verbrechens rassistische und repressive Maßnahmen verbinden lassen. Beispielhaft in diesem Sinne war die Reaktion der italienischen Regierung im vorigen Monat, nachdem eine Italienerin von einem Rom überfallen und erschlagen worden war (Jungle World 46/07). Die von der Gleichstellungsbeauftragten der Regierung vorgelegten Vorschläge zur strafrechtlichen Verfolgung der Gewalt gegen Frauen wurden in das im Eilverfahren verabschie­dete Sicherheitspaket aufgenommen.

Gegen diese – von der Regierung sowie von einem Großteil der Medien betriebene – sicherheits­politische Instrumentalisierung der Gewalt gegen Frauen wollten in Rom verschiedene lokale feministische und lesbische Gruppen klare antirassistische Position beziehen und haben sich zur Plattform controviolenzadonne.org zusammengeschlossen. Anlässlich des von den Vereinten Nationen ausgerufenen Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen am 25. November rief das Forum zu einer zentralen Demonstration in der italienischen Hauptstadt auf unter dem Motto: »Die Gewalt beginnt zu Hause und kennt keine Grenze!« Die Veranstalterinnen wollten Gewalt gegen Frauen als transnationales und interkulturelles Phänomen kennzeichnen, das sowohl islamische Migranten als auch die katholische Mehrheitsgesellschaft betrifft. 15 000 Frauen folg­ten dem Aufruf: Mitarbeiterinnen aus feministischen Gesundheitszentren aller Regionen und aus zumeist selbstverwalteten Frauenhäusern, junge Frauen und Mädchen aus den Centri sociali und mit ihnen Migrantinnen, auch eine größere Gruppe von Frauen und Kindern aus einem römischen Roma-Camp.

Um den geschlechtsspezifischen Charakter der Gewalt gegen Frauen besonders ins Bewusstsein zu heben, war auf der römischen Vollver­samml­ung beschlossen worden, ausdrücklich nur Frauen zur Demonstration aufzurufen. Diese Entscheidung sorgte für Irritation und wurde im Vorfeld der Veranstaltung kontrovers diskutiert.

Als Carla Lonzi 1970 das »Manifest der Feminis­ti­schen Revolte« mit dem Satz beendete: »Wir kom­munizieren nur mit Frauen«, war damit die Suche nach der »Authentizität einer Geste« jenseits aller patriarchalen Organisationen verbunden. Auch wenn die Schwarz-Weiß-Aufnahmen von den gro­ßen feministischen Demonstrationen der siebziger Jahre nichts von ihrer militanten Ausstrahlung verloren haben, so ging es den jungen Feministinnen nicht um die nostalgische Wiederholung einer historischen Praxis. Auch sollten mit der separatistischen Geste »die Männer« nicht pauschal als Gewalttäter denunziert werden. Vielmehr sollten sich Frauen erneut die Freiheit nehmen, unabhängig von den Diskursen, die in ihrem Namen geführt werden, das Wort zu ergreifen, auf die Straße zu gehen. Deshalb entschieden sich sogar Gruppen, die eher vom Postfeminismus angloamerikanischer Provenienz geprägt wur­den und sich auf Texte postkolonialer Theoretikerinnen beziehen, an der Demonstration teilzunehmen. Die Gruppe Sexyshock aus Bologna rechtfer­tigte die Entscheidung zum Separatismus als politische Praxis in der konkreten Situation durch den von Gayatri Spivak eingeführten Begriff des »stra­te­gischen Essentialismus«, als eine »wirkungsvolle Waffe« im Kampf gegen den wiedererstarkten Machismus.

Skeptisch reagierten dagegen einige Feminis­tin­nen, die in der Vergangenheit den Separatismus praktiziert hatten. Viele Männer aus den traditio­nellen linken Zusammenhängen würden sich zwar regelmäßig mit den von der rassistischen Hetze betroffenen Migranten solidarisieren, gleichzeitig aber die Gewalt von Männern an Frauen ignorieren. Diese stillschweigende Komplizenschaft müsse im direkten Konflikt angegriffen und dürfe nicht separat beklagt werden. Gerade deshalb, argumentierten die Feministinnen früherer Generationen weiter, wäre es wichtig gewesen, die Männergruppen, die sich in den vergangenen Jahren gegründet hätten und mit feministischen Gruppierungen kooperierten, explizit einzuladen.

Tatsächlich hatte sich der Zusammenschluss MaschilePlurale (MännlichPlural) in einem in mehreren Tageszeitungen veröffentlichten Aufruf mit der Demonstration solidarisiert und die Männer aufgefordert, Stellung zu beziehen, gewaltbereite und gewalttätige Männer im fami­liären, beruflichen und sozialen Umfeld nicht län­ger durch die eigene Indifferenz zu schützen.

Auch die Schwul-lesbische-transgender-Bewegung, die auf allen Demonstrationen der vergangenen Jahre vereint aufgetreten war, respektierte die Entscheidung zum Separatismus, erinnerte aber daran, dass auch die Gewalt gegen Schwule und Transsexuelle in Italien erschreckend zugenommen habe und deshalb der Kampf gegen Gewalt von Männern immer auch ein Kampf gegen Homophobie und die kulturell verankerten Vorstellungen von Virilität sein müsse.

Auf der Demonstration liefen gemischte Gruppen schließlich keineswegs nur im hinteren Teil des Zugs, wie das im Vorfeld angekündigte Verbot für Männer, vorne zu laufen, vermuten ließ. Kaum jemandem lag daran, die separatistische Geste prinzipientreu zu verteidigen. Allerdings wurde deutlich, dass sie noch immer eine unheimliche symbolische Kraft besitzt, die Ressentiment provoziert.

Insbesondere nachdem Politikerinnen der beiden großen Regierungs- und Oppositionsparteien ausgepfiffen und das vom Fernsehsender La7 bereitgestellte Podium von Demonstrantinnen gestürmt worden war, weil ausdrücklich keine Polit­prominenz geduldet werden sollte, die die klerikal-konservative Kleinfamilienideologie und eine rassistische Sicherheitspolitik propagiert, ereifer­ten sich männliche Medienvertreter über die »Into­leranz«, die »pure Gewalt« der »Altfeministinnen«.

In Wirklichkeit zeigt sich gerade in dieser Aktion der politische Charakter der Frauenbewegung. Dieser geht es nicht um eine auf einer vermeintlichen »weiblichen Essenz« beruhende Einheitsfront zum Schutz einer bestimmten Geschlechtsidentität, sondern um eine Politik der sexuellen Differenz, die sich nicht auf die paternalistischen Kategorien der demokratischen Repräsentanz reduzieren lässt.