Regionalgeld gegen die Finanzkrise in Freiburg

Was lange währt

In Freiburg hat man ein Mittel gegen die Finanzkrise: Regionalgeld soll die heimische Wirtschaft beflügeln, unter Ausschluss von Zinsen und internationalen Unternehmen.

Im Café Domino im Freiburger Nobel-Stadtteil Oberlinden stehen Jens Mannheim, Verena Walter und Johannes Weiermann und halten übergroße Geldscheine in die Luft – »Freitaler«, wie der Aufdruck verrät. Etwa 30 Freunde des Freitaler-Vereins sind zur feierlichen Einführung der Währung in das Café gekommen, in dem diese auch aus­gegeben und angenommen wird.
»Wenn man die Gesellschaft verändern will, muss man beim Geld ansetzen«, begründet ein jüngerer Mann mit langen Haaren und einem Piercing in der Augenbraue seine Anwesenheit. Neben ihm steht eine Dame von der CDU, »weil der Freitaler gut ist für die kleinen Betriebe, die unter der Konkurrenz von der grünen Wiese leiden«. »Die Finanzkrise zeigt deutlich, dass das bisherige Finanzsystem am Ende ist«, sagt ein älterer Mann.
Regionale »Alternativwährungen«, die sich an der Freigeld-Lehre des deutsch-argentinischen Kaufmanns Silvio Gesell orientieren, finden schon länger Beachtung in christlichen und anthroposophischen Kreisen, im unternehmerischen Mittelstand und auch bei Linken, ihre Anhänger hoffen angesichts der Finanzkrise auf gesteigerte Aufmerksamkeit.

»Währung kommt von dem, was währt«, sagte Johannes Weiermann an diesem Abend in der vergangenen Woche. »Was währt, sind die realen Dinge«, ergänzt er. Auch für Verena Walter ist der Freitaler »einfach realer und greifbarer« als der Euro. Weil der Freitaler »handfest« sei, entstünden durch ihn zahlreiche persönliche Kontakte, sagt die Kauffrau, die eine kleine Medien- und Entertainmentagentur betreibt. »Geld ist für mich eine Gemeinschaftsinstitution«, ergänzt Weiermann. Mittlerweile sei jedoch die Marktwirtschaft »vom Kapitalismus überfremdet«. »Wir brauchen Grenzen, jede Zelle hat eine Membran«, sagt Weier­mann. »Unsere Region, unsere Wirtschaft, unser Geld« ist deshalb der Slogan des Freitaler-Vereins.
Und so soll es funktionieren: Für 100 Euro erhält man 110 Freitaler. Mit diesen kann man dann ins Café gehen, einen Elektriker bezahlen oder im Bioladen einkaufen. Der Preis in Euro entspricht dem in Freitalern, als Kunde erhält man somit zehn Prozent Rabatt – vorausgesetzt, die Gewerbetreibenden akzeptieren die Währung. »Mittlerweile haben wir schon 28 Partner«, freut sich Walter.
Tauscht man dagegen Freitaler in Euro zurück, muss man zehn Prozent Abschlag zahlen. Das soll die regionale Geldzirkulation unterstützen. »Handelsketten und internationale Unternehmen, die das Geld aus der Region anderswo hin abfließen lassen, können mit der Regio-Währung nichts anfangen«, sagt Walter, die die »regionale Identität« durch die großen Handelsketten bedroht sieht.
»Der Freitaler setzt tiefer an als andere Marketingstrategien, die auf Kundenbindung aus sind«, ergänzt Jens Mannheim, der an der so genannten Gaia-Fernuniversität einen »Master zur Gestaltung nachhaltiger Geldsysteme« abgeschlossen hat. Dem jungen Mann geht es um die Verbindung von Wirtschaft und Sozialem. Die »Alternativwährung« ist angeblich sozialer als herkömmliches Geld. Der Freitaler ist mit einer Art »Anti-Zins« ausgestattet, denn im Zinssystem sehen die von Gesell inspirierten Anhänger des Regionalgelds den Grund für soziale Ungerechtigkeit und Finanzkrisen.

»Das jetzige Finanzsystem hat fünf Schwachstellen«, erläutert am Abend zuvor der Ökonom Ralf Becker auf einer Veranstaltung des Freitaler-Vereins in der Katholischen Akademie in Freiburg. »Es läuft auf wachsende Instabilität, Wachstumszwang, Orientierung auf kurzfristige Gewinne, soziale Ungleichheit und die Entwertung sozialer Beziehungen hinaus«, referiert Becker, der Mitglied im Club of Rome ist und die Bewegung für das Regionalgeld unterstützt. Becker erklärt, wie es seiner Auffassung nach zu Finanzkrisen und zur sozialen Ungleichheit kommt: Da die Zinsen schneller wüchsen als das reale Bruttosozial­produkt, werde in Krisen plötzlich deutlich, »dass die erzielten Vermögenszuwächse auf den Konten gar nicht durch reales Wachstum gedeckt sind«. Auch dass durch Zinsen die Reichen reicher und die Armen ärmer werden, behauptet Becker.
Er hat eine Lösung für das Zinsproblem: das Schrumpfgeld. Damit Regionalwährungen wie der Freitaler nicht gespart und gegen Zinsen verliehen werden können, haben sie ein Verfallsdatum. Nach Ablauf der Frist müssen für einige Cents zusätzliche Wertmarken gekauft werden, die man auf die Geldscheine kleben muss. Sonst verlieren sie ihren Wert. »Das ist der so genannte Umlauf­impuls«, sagt Becker, »er sorgt dafür, dass das Geld schnell wieder ausgegeben wird.«
Wer aber wirtschaften will, braucht Kredite – gegen Zinsen verliehenes Geld. Gerade die kleinen und mittleren Unternehmer, die den Aktivisten so am Herzen liegen, dürften – auch ohne Marx gelesen zu haben – wissen, dass Wirtschaften heißt, aus Geld Waren und dann aus den Waren mehr Geld zu machen, und dass man deshalb einen Vorschuss braucht. Praktischerweise lässt sich Geld dank Zinsen auf dem Markt handeln wie jede andere Ware auch – so wie sich etwa mit Geld Güter kaufen lassen, um sie mit Gewinn weiterzuverkaufen, oder Maschinen und Arbeitskräfte, um vom Mehrwert ihrer Arbeit zu profitieren.
Dass man aber auch durch Zinsen aus Geld mehr Geld machen kann, finden die Zinskritiker ungerecht, obwohl dabei im Prinzip dasselbe passiert, nur eben etwas abstrakter. Das Abstrakte aber ist verdächtig – denn hier lässt sich die Vorstellung, dass Gewinn und Reichtum auf konkreter, »ehrlicher« Arbeit basieren, am Schlechtesten aufrechterhalten. Das Stereotyp vom »jüdischen Zinswucher« verdankt sich unter anderem der Tatsache, dass die ganz konkrete Warenpro­duktion den abstrakten Geldhandel mit Zins und Zinseszins braucht, dies aber verdrängt werden muss, um die Ideologie der »ehrlichen Arbeit«, des »ehrlichen Mittelstands«, des »schaffenden Kapitals« zu retten.

Daher bedarf es Schuldiger. Im Videospot für den Freitaler fallen Dollarnoten wie Schneeflocken vor einer amerikanischen Flagge in die Tiefe – untermalt von martialischer Musik. So scheint es in Schilderungen der Anhänger der Regionalwährung meist, als könnten Unternehmer und Beschäftigte in Harmonie schwelgen, solange nur »unser Geld« nicht »nach Amerika« abfließt. Vor dem gemeinsamen Feind, dem abstrakten Kapital, rückt die Volksgemeinschaft bekanntlich näher zusammen, besonders in Zeiten von Finanzkrisen.
Den Vorwurf, die Bewegung bediene sich nur des traditionellen Ressentiments gegen den »heimatlosen, jüdischen Zinswucher«, weisen die Befürworter des Freitalers selbstverständlich zurück. So sagt Weiermann: »Nun ist schon längst klar, dass nicht mehr nur Juden Geldgeschäfte machen, wir klagen niemanden an.« Ein Vereinsmitglied fügt hinzu: »Immer diese Judengeschichte, das interessiert uns nicht. Die Nazis haben die Zinskritik doch nur benutzt. Die haben doch selber Kredite bei Juden aus Amerika aufgenommen.«