Die Lage im Ostkongo

Nicht nur die Milizen morden

Nach der Eskalation der Kämpfe im OstKongo soll die UN-Truppe verstärkt werden. Doch gegen Menschenrechtsverletzungen geht sie nicht vor.

»Die Region Nord-Kivu ist ein zum Leben erwecktes Gemälde von Hieronymus Bosch.« So be­schrieb Mark Jenkins, Autor des National Geographic, im Juli, noch vor der Eskalation der Kämpfe, die Lage im Ost-Kongo. Seit Jahren wird die Zivilbevölkerung von Milizen und der Armee terrorisiert. Diverse bewaffnete Gruppen setzten Vergewaltigungen gezielt als Kriegswaffe ein. Doch auch Angehörige der kongolesischen Streitkräfte machen sich schwerster Menschenrechtsverletzungen schuldig.
Die sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen hat nicht nur zu einer HIV-Rate von etwa 30 Pro­zent unter der weiblichen Bevölkerung im Ost-Kongo geführt. Viele werden nach Vergewaltigungen von ihren Familien verstoßen. Immer öfter werden nach Angaben der Organisation Heal Africa in den Flüchtlingslagern Frauen und Mädchen von anderen Vertriebenen vergewaltigt und misshandelt.
Seit einigen Wochen ist die Kivu-Region im Osten des Kongo nun wieder in den internationalen Medien präsent. Laurent Nkunda, ein ehemaliger General der kongolesischen Armee, setzte seine etwa 6 000 Kämpfer starke Truppe des CNDP (Nationalkongress zu Befreiung des Volkes) in Bewegung und schaffte es in kurzer Zeit, die Regierungstruppen aus strategisch wichtigen Orten zu vertreiben. Mehr als 1,3 Millionen Menschen hausen in der Kivu-Region derzeit in provi­sorischen Lagern.
Der UN-Sicherheitsrat beschloss Ende November die Entsendung weiterer 3 100 Blauhelme, um die gegenwärtig 17 000 Soldaten umfassende UN-Truppe zu unterstützen. In der Kivu-Region sind derzeit etwa 6 000 UN-Soldaten stationiert. Die weltweit größte UN-Mission Monuc gilt als schlecht ausgerüstet. Ihr Mandat für das peacekeeping gestattet, »alle notwendigen Mittel« zur Erfüllung ihrer Aufgaben einzusetzen. Sie dürfen jedoch in keine Kampfhandlungen eingreifen, bei denen Zivilisten zu Schaden kommen könnten. So verhinderten die UN-Soldaten weder den Vormarsch der Truppen Nkundas, noch konnten sie Plünderungen und Vergewaltigungen durch Angehörige der kongolesischen Armee stoppen.

»Die kongolesische Armee begeht hier mit die schlim­­msten Menschenrechtsverbrechen. Den Blau­helmen sind aber weitestgehend die Hände gebunden, gegen die regulären Truppen vorzugehen. Nkunda ist nur ein Teil des Problems«, sagte Olivier Etsou*, ein ruandischer Anwalt, der in Goma Opfer von Menschenrechtsverletzungen ver­­tritt, gegenüber der Jungle World. »Seit dem Beginn der Kämpfe kommt es nicht nur zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Auch unser Spielraum, überhaupt etwas gegen Täter unternehmen zu können, wird täglich kleiner. Damit hier ansatz­weise wieder zivile Strukturen aufgebaut werden können, müssen die Militäraktionen aufhören.«
In den vergangenen Jahren entstanden in der Kivu-Region einige Netzwerke zivilgesellschaftlicher Gruppen. Viele Initiativen werden von internationalen Organisationen unterstützt. Einige Anwälte vertraten in den letzten Jahren trotz Droh­ungen immer wieder Opfer bei Klagen gegen Armeeangehörige, wenn auch mit einer geringen Er­folgsquote. Meist werden die Verfahren eingestellt, da die Armee kleinere Geldbeträge an die Opfer verteilt oder die Kläger erfolgreich einschüchtert.
Den schwachen Strukturen zivilgesellschaftlicher Initiativen stehen die von Korruption geprägte kongolesische Armee und Bürokratie sowie mehrere Milizen gegenüber. Nkundas Truppen werden nach Angaben von BBC von Ruanda logistisch unterstützt. Roger Usabase*, der 1994 mit 12 Jahren in den Reihen der RPF (Ruandische Patriotischen Front) gekämpft hat, bestätigt gegenüber der Jungle World, dass der CNDP sowohl unter ehemaligen RPF-Kämpfern als auch in den Reihen der ruandischen Armee Kombattanten rekrutiert.

Nkunda legitimiert seine militärischen Aktionen mit der Präsenz von 6 000 bis 7 000 Milizionären der FDLR (Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas), einer Organisation der für den Genozid in Ruanda verantwortlichen Hutu-Extremisten. Die FDLR hat offizielle Sprecher, die teilweise unbehelligt auch in Deutschland leben, und einflussreiche Finanziers in aller Welt. Der Großteil der ehemaligen génocidaires aber lebt unter einfachsten Bedingungen im Busch. Die FDLR ist Human Rights Watch zufolge für die meisten Men­schenrechtsverletzungen in der Region verantwortlich, derzeit kämpfen ihre Milizionäre gemein­sam mit der kongolesischen Armee gegen die Einheiten Nkundas. Dieser sieht sich wiederum bereits als Regierungschef, »bis nach Kinshasa« will er den Krieg tragen.
Vom kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila ist hingegen auffallend wenig zu hören. In Angola sicherte er sich Unterstützung gegen Nkundas Truppen, mit Ruanda vereinbarte er einen weiteren Plan zur Entwaffnung der FDLR. Doch ein entschiedendes Vorgehen ist nicht zu erwarten, da sich die FDLR-Kämpfer derzeit gegen Nkundas Truppen einsetzen lassen. Direkte Gespräche mit Nkunda lehnt Kabila ebenso ab wie eine Stellung­nahme zu dem in der vergangenen Woche veröffentlichten Bericht von Human Rights Watch. Die Organisation dokumentierte staatliche Gewalt gegen Oppositionelle in Kinshasa und der angrenzenden Provinz Bas-Kongo. Demzufolge wurden zwischen August 2006 und März 2008 von der Präsidentengarde mindestens 125 Menschen hingerichtet und über 300 Angehörige der Autonomiebewegung Bundu dia Kongo von Soldaten getötet.
In der Kivu-Region hält die vom CNDP ausgerufene Waffenruhe weitgehend an. Strategisch geschickt hält Nkunda einen Korridor für humanitäre Hilfe offen und versucht nicht, das von kongolesischen Truppen verlassene Goma einzunehmen. Dennoch geht die alltägliche Gewalt gegen die Zivilbevölkerung weiter.

Das Vertrauen der Zivilbevölkerung werden die UN-Truppen nur zurückgewinnen können, wenn sie in Zukunft konsequent gegen alle Menschenrechtsverletzungen vorgehen, auch gegen die Regierungssoldaten. Mit Diplomatie und Selbstverteidigung wird dies nicht zu bewerkstelligen sein. Zumal eine weitere Miliz aktiv geworden ist, die Lord’s Resistance Army (LRA) aus Uganda drang in den vergangenen zwei Monaten mehrfach in den Ost-Kongo vor, ermordete nach Angaben von Human Rights Watch mindestens 20 Zivilisten und verschleppte mehr als 80 Kinder. John Norris, Direktor der NGO Enough, fordert ein entschiedenes Vorgehen gegen die LRA und ihren Anführer Joseph Kony, gegen den ein internationaler Haftbefehl vorliegt. Ansonsten »wird der Krieg ge­gen die Zivilbevölkerung weitergehen, und die ohnehin fragile Region wird weiter destabilisiert werden«.

* Name von der Redaktion geändert