12,8

Zur Mahnung der Abgeordneten sollten in Zukunft Warntafeln in den Parlamenten angebracht werden. »Privatisierung kann tödlich sein« oder auch »Privatisierung kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen« müsste darauf zu lesen sein. Denn um 12,8 Prozent stieg die Sterblichkeitsrate in den Staaten Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion in den Jahren 1989 bis 2002, die Arbeitslosigkeit erhöhte sich um 56 Prozent, eine Million Menschen starben an den Folgen der Privatisierung. Das stellte die in der vergangenen Woche von der Zeitschrift The Lancet veröffentlichte Studie »Mass privatisation and the post-communist mortality crisis: a cross-national analysis« fest. Als »Massenprivatisierung« wird der Verkauf von mindestens 25 Prozent der Staatsbetriebe innerhalb von zwei Jahren definiert. »Größte Vorsicht ist geboten, wenn die makroökonomische Politik eine radikale Umgestaltung der Wirtschaft anstrebt, ohne die potenziellen Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung zu berücksichtigen«, warnen die Forscher, die hoffen, dass diese Erkenntnis »wichtig für andere Länder sein könnte, die eine ähnliche Politik erwägen«.
Viel zu privatisieren gibt es in den meisten Ländern allerdings nicht mehr, überdies hat die Finanzkrise alle Privatisierungsbestrebungen vorläufig gebremst und ihre Propagandisten diskreditiert. Insofern könnte die Studie als späte Kritik an der Markt­euphorie und als erfreuliches Zeichen dafür gewertet werden, dass sich die Osteuropa-Forschung nicht mehr in Abhandlungen über die Vorzüge des Kapitalismus erschöpft. Doch der entscheidende Faktor für die kürzere Lebenserwartung ist offenbar die Arbeitslosigkeit bzw. der mit ihr verbundene Verlust an gesellschaftlichem Status, Einkommen und sozialer Sicherheit. Besonders hart traf es jene, die mit dem Job auch die betrieblichen Sozialleistungen verloren. Besser erging es hingegen jenen, die mindestens einer »sozialen Organisation« angehörten, wobei es für die Gesundheit egal zu sein scheint, ob es sich um eine Gewerkschaft oder eine Kirchengemeinde handelte. Es ist daher wahrscheinlich, dass diese Faktoren auch wirksam sind, wenn Privatunternehmen Beschäftigte entlassen, sich gleichzeitig die Gesundheitsversorgung verschlechtert und die Arbeitslosen nicht auf informelle Hilfe zurückgreifen können.