Interview mit Mike Bonano über die »Yes Men« und wie sie die Welt verbessern möchten

»Ich mag die Idee, dass alles eigentlich einfach ist«

Mike Bonano und Andy Bichlbaum sind »The Yes Men«. Die beiden Aktivisten, die im bürgerlichen Leben Igor Vamos und Jaques Servin heißen, fälschten unter anderem die Homepage der WTO. Dann ließen sich die »Yes Men« als WTO-Vertreter auf Konferenzen einladen und präsentierten dort Ideen, die die »wahre Identität« der WTO offenbaren sollten.

Ende vorigen Jahres habt ihr eine New York ­Times für den 4. Juli 2009, den amerikanischen Unabhängigkeitstag, mit der Schlag­zeile »Irak-Krieg beendet« verbreitet, in der alle Nachrichten standen, die ihr gerne lesen würdet. Welche davon war deine Lieblingsnachricht?

Schwer zu sagen, eigentlich fand ich sie alle wichtig. Jeder dieser fiktiven Zeitungsartikel war dazu da, öffentlichen Druck für den Wandel herzustellen. Das Wichtigste ist ja, dass die Demokratie wieder in die Gänge gekommen ist – das war der Kontext unserer eigenen New York Times-Edition, dass die Leute wieder angefangen haben, etwas von der Regierung zu verlangen – Maßnahmen gegen den Klimawandel, Abrüstung, die Verstaatlichung des Energiesektors. Nachdem Obama die Wahl gewonnen hatte, war es uns wichtig, den Druck auf die neu gewählte Regierung aufrechtzuerhalten und klar zu machen, dass der politische Wandel mit den Wahlen nicht abgeschlossen ist, sondern erst noch kommen muss.

1999 hattet ihr eine gefälschte Website für George W. Bush erstellt, auf der ihr seine Wahlkampf-Kampagne parodiert habt. Lud nicht Obamas Kampagne genauso dazu ein, parodiert zu werden?

Klar, Obamas Kampagne hätte man auch leicht parodieren können, aber wir sahen dafür nicht die Notwendigkeit. Es gab schon einen großen Unterschied zwischen Obamas Kampagne und der von Bush – Obama hat eine riesige Menge echte Menschen in seine Kampagne involviert, während Bush einfach eine Menge Geld für Profis ausgegeben hat. Obama ist wirklich einen Weg gegangen, während Bush einfach ein paar Behauptungen aufgestellt hat.

Wird es mit Obama denn wirklich schwieriger, sich über die Regierung lustig zu machen?

Ja, auf jeden Fall, das ist jetzt viel schwieriger (lacht) – und das ist eine gute Sache. Natürlich gibt es eine ganze Menge Dinge, über die man sich aus verschiedenen politischen Perspektiven lustig machen könnte.
Andererseits war Bush schon selbst so ein Witz, dass es gar nicht mehr so lustig war, über ihn Witze zu machen. Alles, was er tat, war schon irgendwie eine Parodie seiner selbst. Man muss sich nur die Namen seiner Projekte ansehen: zum Beispiel »The Healthy Forest Initiative«, bei der es eigentlich darum geht, der Holzindustrie totalen Kahlschlag zu ermöglichen. Was er tat, sah aus wie die Arbeit von begnadeten Satirikern. Leider war es aber nicht nur witzig, sondern real.

In euren Anfängen habt ihr unter dem Namen »Barbie Liberation Front« (BLO) bei sprechenden Barbiepuppen und sprechenden GI-Joe-Puppen die Sprachmodule ausgetauscht, so dass GI Joe sagte: »Ich liebe es, einkaufen zu gehen.« Und die Barbiepuppen stießen dumpfe mar­tialische Drohungen aus. Auch habt ihr damals ein Computerspiel umprogrammiert, so dass sich die männlichen Spielfiguren ab und an küssten. Steht Geschlechterkritik nicht mehr auf eurer Agenda?

Ich würde sagen, dass wir erwachsener geworden sind – jedenfalls was unsere Ziele angeht. Es gibt gerade einfach eine Reihe von Dingen, die die Zivilisation, zumindest wie wir sie kennen, beenden könnten. Und die Geschlechterfrage ist vielleicht nicht das, was uns alle umbringen wird. Obwohl! Wer weiß – da gibt es diesen Song, »Women in the world – take over«. Vielleicht ist es doch das, was wir brauchen (lacht).

Seitdem beschäftigt ihr euch in euren Aktionen immer mit dem, was ihr »Antiglobalisierung« nennt. Wenn jetzt wegen der Krise viele Staaten zur Renationalisierung neigen, wird dadurch irgendetwas besser?

Ich glaube, es gibt keine wirklich richtige Antwort auf diese Frage, solche Sachen müssten von Fall zu Fall entschieden werden. Generell sollten Dinge wie Energie und natürliche Ressourcen allen gehören, vor allem wenn man bedenkt, dass manches von dem Zeug bald aufgebraucht ist. Wir sollten aufpassen, dass da nicht die Mentalität gilt: Wer am meisten Macht und Geld hat, kann sich alles unter den Nagel reißen. Dort, wo es um Ressourcen wie Wasser geht, ist das Prinzip des freien Marktes absurd. Schließlich gibt es viele, die vom freien Handel nichts abbekommen, das ist doch offensichtlich.

Ohne hier den »freien Handel« verteidigen zu wollen – Staaten handeln ja auch nicht unbedingt besser als Unternehmen?

Das ist richtig. Aber was Konzerne tun, ist einfach total vorhersehbar, ihnen geht es einfach um Profite, egal was sonst dabei herauskommt – sie sind berechenbar. Das ist irgendwie auch gut (lacht). Aber ich bevorzuge die Unvorhersehbarkeit von Staaten.

Ihr habt euch über eine gefälschte WTO-Homepage als Vertreter der WTO auf Wirtschaftskonferenzen einladen lassen. Dort habt ihr zum Beispiel einen speziell für Manager vorgesehenen Anzug präsentiert, der mit einem aufblasbaren Riesenpenis versehen ist, auf dem sich ein Bildschirm zur Mitarbeiterüberwachung befindet. Komisch wirkt das ja vor allem deshalb, weil die Zuhörer so reagieren, als hätten sie gerade eine ganz normale Rede gehört. Haltet ihr die Leute wirklich für so ignorant?

Da kommen wohl mehrere Dinge zusammen. Was wir tun, funktioniert normalerweise innerhalb der Logik dieser Veranstaltungen. Dort herrscht eine Atmosphäre der Höflichkeit, alle sind höflich zueinander. Außerdem hält man uns, wenn wir zum Beisiel als Repräsentaten der WTO auftreten, für die mächtigsten Leute im Saal. Wir werden ja eingeladen, weil die denken, wir seien sehr wichtig. Unsere Beiträge waren meist als programmatische Eingangsreden eingeplant, und alle suchen ja etwas, an dem sie sich orientieren können. Es gab in der Geschichte viele Momente, in denen Machtmissbrauch einfach war, weil Menschen die natürliche Eigenschaft haben, irgendetwas zu folgen.
Und dann gibt es auch die Zuhörer, die eben Lobbyarbeit machen müssen und sich nicht ­darum kümmern, was wir erzählen. Die möchten einfach nur Visitenkarten austauschen. Ich glaube, bei manchen dieser Leute ist diese Blindheit auch Voraussetzung dafür, dass sie diese Jobs haben.

Aber auch vermeintlich kritische Leute merken ja nicht immer, wenn sie von euch getäuscht werden – als Andy im Fernsehen als WTO-Redner mit dem Globalisierungskritiker Berry Coats diskutierte und Sachen sagte, die kein WTO-Vertreter je sagen würde, hat Coats das auch nicht bemerkt. Und die Studenten, denen ihr als WTO-Vertreter den Vorschlag präsentiert habt, unverdaute Nährstoffe aus Fäkalien für die so genannte Dritte Welt zu recyclen, haben zwar protestiert, aber eure Präsentation für einen ernst gemeinten Vorschlag der WTO gehalten. Sind die Kritiker nicht genauso dämlich wie die von euch vorgeführten Wirtschaftsvertreter?

Ich glaube nicht, dass das Publikum auf diesen Wirtschaftskonferenzen dämlich ist. Die sind auch nicht dümmer oder schlauer als alle anderen. Es ist auch nicht das Ziel, sich über diese Leute lustig zu machen – selbst wenn es lustig ist, ihre konfusen Reaktionen anzusehen. Wir machen das, um zu zeigen, was mit diesem System nicht stimmt und wie gefährlich es ist, wenn man alles so weiterlaufen lässt.
Wenn man sieht, wie die Leute die Dinge auf einer Konferenz an sich vorbeiziehen lassen, sieht man auch irgendwie, was dann in der Welt dabei herauskommt. In den vergangenen zehn Jahren haben die US-Amerikaner vieles an sich vorbeiziehen lassen, obwohl es absolut nötig gewesen wäre zu protestieren. Es ist total absurd zu tolerieren, dass Länder in andere Länder einmarschieren. Auch die Idee des ständigen Wachstums ist total absurd. Auch Obama redet davon, wie man wieder auf den Weg zum Wachstum findet, als könnte das für immer so weitergehen. Eigentlich wollen wir zeigen, wie absurd das alles ist. Wir möchten, dass die Leute endlich diesen Elefanten im Saal sehen, den alle immer ignorieren.

In der Werbung für euren neuen Film ist von »Übeltätern« die Rede und von der »Gier«, die »den Planeten zerstört«. Das hört sich recht einfach und ziemlich moralisch an.

Ja, tut es. Vielleicht ist unsere Wortwahl ein bisschen extrem, ein bisschen bombastisch. Vielleicht sollten wir das vernünftiger formulieren. Natürlich ist alles eher sehr kompliziert als sehr einfach. Ich mag aber die Idee, dass alles eigentlich auch irgendwie einfach ist. Zum Beispiel ist es sehr kompliziert zu erklären, warum der freie Handel allen hilft, vor allem, wenn man zum Beispiel versucht, das jemandem zu erklären, der überhaupt nicht vom freien Handel profitiert, sondern extrem ausgebeutet wird. Da sieht man, dass manchmal die einfachen Feststellungen richtiger sind als komplizierte Erklärungen.

2004 habt ihr Andy Bichlbaum als Vertreter des US-Konzerns Dow Chemical bei der BBC ein­geschleust, der dort verkündete, Dow Chemical übernehme nun endlich die volle Verantwortung für das Unglück in Bhopal, die der Konzern ja bis heute abstreitet – schöne Aktion, aber warum hat sich Andy dafür das Pseudonym »Jude Finisterra« ausgesucht? Das hört sich fast wie ein antisemitischer Witz an – oder was bedeutet das?

(lacht) Dieser Name kommt von Judas, der im Katholizismus der Patron der hoffnungslosen Fälle ist. Wir haben das auf einer Website gefunden, die alle Heiligen und ihre Schutzfunktionen erklärt. Die nutzen wir oft, wenn wir ein Pseudonym für eine Aktion suchen. Da gibt es alle möglichen Namen. Finisterra steht eben für das »Ende der Welt«. Das sollte eigentlich eine Art Hinweis sein. Und eben ein Witz, dass der Heilige für die hoffnungslosen Fälle für Dow Chemical spricht. Das ist also eher katholisch als jüdisch. Aber wir machen auch wirklich jede Menge jüdischer Witze – sowohl Andys als auch mein Großvater starben in Konzentrationslagern, daher haben wir einen Hang zu sehr schwarzem jüdischem Humor.