Der malaysische Premier bei den G20-Protesten

Nicht ohne meine Schuhe

Als Gast der Antikriegsbewegung war beim G 20-Gipfel auch der ehemalige malaysische Premierminister Mahathir zugegen, obwohl er Proteste eigenlich für jüdisches Teufelswerk hält.

Die Aufforderung, zu einer Demonstration Schuhe mitzubringen, erscheint eigentlich überflüssig. Der britische Frühling ist nicht so warm, als dass man gerne barfuß durch London laufen würde, und niemand möchte einen schweren Polizeistie­fel auf seinen ungeschützten Zehen spüren. Doch die Stop the War Coalition, ein Bündnis linker, liberal-pazifistischer und islamischer Organisationen, propagiert eine neue Art des Protestes. Der Schuh soll offenbar das Wurfgeschoss des 21. Jahr­hunderts werden.
Gefragt waren bei der Demonstration am Donnerstag der vergangenen Woche auch »Puppen und Fotos«. Es erschien den Organisatoren überflüssig, genauere Angaben zu machen. Die Angesprochenen wissen wohl, dass sie nicht mit Pup­pen spielen und Urlaubsfotos austauschen, sondern dass ihre mit roter Farbe beschmierten Pup­pen und die Bilder zerfetzter Leichen den »Kindermörder Israel« anklagen sollen.

Israel gehört nicht zur G 20, doch nach Ansicht zu­mindest eines prominenten Ehrengasts waren die Juden doch beim Gipfeltreffen präsent, irgenwie jedenfalls, da sie schließlich »die Welt kontrollieren«. Zum »Alternativen Gipfel« hatte die Stop the War Coalition den ehemaligen malaysischen Premierminister Mahathir Mohammad geladen. Mahathir führt seit 2003 nicht mehr die Regierung, hat jedoch immer noch Einfluss. Seine in London auf der Konferenz »Genozid in Gaza« erhobene Forderung, einen internationalen Gerichtshof zur Ahndung israelischer Kriegsverbrechen zu gründen, wird vom malaysischen Außenministerium unterstützt.
Dass Mahathir seit Jahrzehnten mit antisemi­tischen Reden auffällt, störte offenbar niemanden. Als während der Asien-Krise der Kurs der malaysischen Währung rasant fiel, wusste Mahathir sofort, wer schuld war: »Wir wollen nicht sagen, dies sei eine jüdische Verschwörung, aber in Wahr­heit war es ein Jude, der den Währungsverfall auslöste.« Gemeint war George Soros, dessen Mo­tiv nach Mahathirs Ansicht nicht banale Gier war: »Die Juden sind nicht glücklich, wenn sie sehen, wie die Muslime Fortschritte machen.«
Der Islam ist in Malaysia Staatsreligion. Mahathir ist einer der eloquentesten Repräsentanten jener muslimischen Klagekultur, die jede Kritik als Beleidigung wertet und überall Verschwörungen wittert. Er ist jedoch kein Islamist, und sein Antisemitismus orientiert sich am klassischen europäischen Vorbild, das den Griff nach der Welt­herrschaft als gemeinsames Werk der »jüdischen Spekulanten« und der »jüdischen Bolschewisten« betrachtet. Die Juden, so Mahathir im Jahr 2003, »erfanden Sozialismus, Kommunismus, Menschenrechte und Demokratie und haben sie erfolgreich gefördert, damit es falsch erscheint, sie zu verfolgen, und damit sie die gleichen Rechte wie andere genießen. Dadurch haben sie nun die Kontrolle über die mächtigsten Staaten der Welt gewonnen.«

Dass neben Repräsentanten des islamistischen »Widerstands«, die auch diesmal wieder von bedeutenden Organisationen der britischen Protestbewegung hofiert wurden, nun auch autokra­tische muslimische Herrscher willkommen sind, überrascht nicht mehr. Zumal Mahathir in London nicht verriet, welchen Juden er für die derzeitige Finanzkrise verantwortlich macht, sondern die Her­zen mit Kritik an den Finanzhilfen für die Banken erfreute.
Wer nach pragmatischen Lösungen für die Krise sucht, kann Mahathir als Berater engagieren. Seine Regierung kontrollierte die Finanzbranche und unterband riskante Transaktionen, während der Asien-Krise erließ Mahathir Beschränkun­gen für den Kapitalverkehr. Die Analysten prophezeiten die ökonomische Apokalypse, doch ist mittlerweile weitgehend unumstritten, dass Malaysia die Krise besser bewältigte als andere Staaten der Region. Mahathir bewies, dass selbst ein halbindustrialisierter Staat im nationalen Alleingang jene Regeln durchsetzen kann, über die derzeit alle reden, die aber niemand einführen mag.

Eben deshalb ist der Mann eine zweibeinige Warnung vor den Gefahren des Etatismus. Regulierung und staatskapitalistische Intervention garan­tieren keineswegs einen humaneren Kapitalismus. Das malaysische Regime ist autokratisch, die Rechte der Gewerkschaften sind sehr begrenzt. Denn »wir Malaysier verstehen die Schwächen und Grenzen der Demokratie«, meint Mahathir. »Das Streikrecht und das Demonstrationsrecht dür­fen nur sparsam benutzt werden, und sicher nicht zu politischen Zwecken.«
Malaysia baut keine Atomwaffen, Mahathirs Regime zeigte nie ein Interesse an einer Konfrontation mit Israel und unterstützte keine jihadistischen Gruppen. Der Antisemitismus dient der Gemeinschaftsbildung, er soll die Bevölkerung gegen den Angriff der »jüdischen Spekulanten« aus dem Ausland zusammenschweißen und sie gegen die Versuchungen des »jüdischen Bolschewismus« immunisieren. Wenn Juden den Sozialismus und die Menschenrechte erfanden, ist jeder Streik und jede Forderung nach Liberalisierung Teil eines jüdischen Komplotts.
Die ideologische Begleitung der zukünftigen Krisenbewältigung dürfte nicht in jeder Hinsicht Mahathirs Vorgaben folgen. Doch viele aus der Protestbewegung und die meisten Politiker sind sich darüber einig, dass »gierige Spekulanten« das Hauptproblem sind. Auf dieser Basis kann ei­ne autoritäre und nationalistische Krisenpolitik entwickelt werden, die die oft beklagte Kluft zwischen »oben« und »unten« schließt.