Joachim Merz im Gespräch über die Fußball-WM 2010 in Südafrika und die Arbeiter, die an den Stadien bauen

1200 Freunde sollt ihr sein

In Südafrika wird unter Hochdruck an den Stadien für die Fußball-WM gebaut – teils unter sehr schlechten Arbeitsbedingungen. Dagegen richtet sich die Kampagne »Fair Games – Fair Play«. Die »Jungle World« sprach mit dem Verantwortlichen Joachim Merz

Die beste Fußball-WM aller Zeiten soll die WM 2010 in Südafrika nach dem Willen der Regierung werden. Dafür wurden und werden dort fünf Stadien neu gebaut, fünf weitere renoviert. Bis zum Dezember müssen alle Baumaßnahmen beendet sein. Auf den Baustellen arbeiten Tausende unter hohem Druck und schlechten Bedingungen. Rund 70 000 Arbeiter sind am Mittwoch voriger Woche in einen Streik für höhere Löhne getreten. Die Initiative »Fair Games – Fair Play« setzt sich seit Beginn der Bauarbeiten für die Rechte der Arbeiter auf den Baustellen ein – mit großem Erfolg. Die vom globalen Gewerkschaftsbund »Bau- und Holzarbeiter-Internationale« (BHI) initiierte Kampagne konnte die Lage der südafrikanischen Stadion-Bauarbeiter bereits verbessern. Unterstützt wird die Kampagne von den südafrikanischen Baugewerkschaften sowie von der Schweizer Gewerkschaft Unia und dem Schweizerischen Arbeiterhilfswerk. Beide Schweizer Organisationen beteiligen sich an der Kampagne, da der Hauptsitz des Weltfußballverbands Fifa in Zürich liegt. Joachim Merz ist Kampag­nenverantwortlicher beim Schweizerischen Arbeiterhilfswerk (SAH).

Mit Blick auf die Fußball-WM 2010 in Südafrika waren die meisten europäischen Berichterstatter stets voller Sorge, dass die Stadien nicht rechtzeitig fertig werden. Ihnen haben die Stadionbauarbeiten auch nicht gefallen – aber aus einem anderen Grund.

Richtig. Bevor wir die Kampagne »Fair Games – Fair Play« 2007 ins Leben riefen, haben sich die südafrikanischen Gewerkschaften ein Bild von der Lage auf den Stadionbaustellen gemacht. Das Ergebnis war nicht gerade erfreulich. Danach haben wir gemeinsam einen Forderungskatalog erstellt. Die zentralen Punkte waren: uneingeschränkter Zugang zu den Baustellen für die Gewerkschaften sowie Einhaltung der nationalen Arbeitsgesetzgebung, deutliche Verbesserung des Arbeitsschutzes und der Arbeitssicherheit, Schaffung von Arbeitsplätzen, zusätzliche Investitionen in die berufliche Aus- und Weiterbildung sowie Löhne, die zum Leben reichen.

Die Löhne reichen bei den Vollzeit-Arbeitsplätzen auf dem Bau nicht einmal zum Leben?

Nein. Es gibt zwar eine gesetzliche Bestimmung, die Mindestlöhne vorschreibt. Demnach muss ein ungelernter Arbeiter knapp 2 500 Rand im Monat verdienen, das sind etwa 230 Euro. Aber auch unter Berücksichtigung des niedrigeren Preisniveaus ist das zu wenig zum Leben. Die Gewerkschaften gehen davon aus, dass man 4 500 Rand braucht, um eine Familie zu ernähren. Ein großes Problem sind die vielen Subunternehmen, die sich nicht an die Gesetze halten. Während für ungelernte Arbeiter ein Stundenlohn von elf, zwölf Rand festgeschrieben ist, zahlten einige Subunternehmen nur sechs Rand pro Stunde. Ewa 60 Prozent der Arbeiter sind bei Subunternehmen beschäftigt.

Wie gehen Sie gegen diese und andere Missstände vor?

Wir sind mit unseren Forderungen an die Öffent­lichkeit gegangen, haben Presseartikel lanciert und Interviews in Radiosendungen gegeben.

Davon lassen sich Bauunternehmer aber vermutlich nicht besonders beeindrucken.

Man sollte die Möglichkeiten guter Öffentlichkeitsarbeit nicht unterschätzen. Aber richtig Fahrt aufgenommen hat die Kampagne in der Tat, als es zu den ersten Streiks kam.

Wurden die von den Gewerkschaften organisiert?

Interessanterweise waren die ersten Streiks im Rahmen dieser Kampagne wilde Streiks. Es waren die Bauarbeiter in Kapstadt im Stadion Green Point, die im August 2007 den ersten Streik losgetreten haben.

Was waren dort die Forderungen?

Die 1 200 Arbeiter auf der Baustelle in Kapstadt wollten eine Transportentschädigung für den Weg von den Townships zur Baustelle bekommen. Gerade bei der prekären Lohnsituation fressen die Transportkosten einen großen Teil der Löhne wieder auf. Im Schnitt ging ein Drittel des Lohns für die Fahrkarten drauf. In diesem Streik haben die Gewerkschaften erst nachträglich die Führung übernommen und die Forderungen der Arbeiter gegenüber dem Management erfolgreich vertreten.

Gleich der erste Streik war also ein Erfolg.

Mehr als das. Er war ein Signal für andere Kolle­gen in ganz Südafrika, die gesehen haben: Druck von unten bringt etwas. Und die Situation auf den anderen Baustellen war ja ähnlich. Durch die Kampfbereitschaft der Belegschaften konnte einiges erreicht werden. Dem Streik in Kapstadt folgten bis jetzt insgesamt 24 weitere.

Und die Bilanz fällt positiv aus?

Natürlich gab es auch Niederlagen, aber wir haben mehr erreicht, als wir zu hoffen wagten. Der längste und erfolgreichste Streik fand in Durban im November 2007 statt – genau zwei Wochen vor der Auslosung der WM-Qualifikations­gruppen in Durban. Ein exzellenter Moment. Wir wussten: Die ganze internationale Presse wird auf die Auslosung schauen. Die Gewerkschaf­ten haben damit gedroht, die Veranstaltung zu stören, und so kam es drei oder vier Tage vor­her zu einer für die Arbeiter sehr vorteilhaften Einigung.

Welche weiteren Erfolge gab es?

Die Arbeiter konnten auf verschiedenen Baustellen Bonuszahlungen erkämpfen und haben erfolgreich Weiterbildungsmaßnahmen eingefordert. Der Arbeitsschutz und die Arbeitssicher­heit sind überall besser geworden und überbieten zum Teil europäische Standards. Ein riesiger Erfolg ist auch, dass die Gewerkschaften im Laufe der Kampagne 10 000 neue Mitglieder gewinnen konnten. Das ist für Südafrika sehr viel. Es gibt dort eine Million Bauarbeiter, von denen bisher nur 100 000 gewerkschaftlich organisiert sind. Aber das Wichtigste, das die Kam­pagne erreicht hat, ist etwas ganz anderes.

Nämlich?

Die Kampagne sollte von Anfang an eine Bedeu­tung über die WM hinaus haben. Es war klar, dass es nicht nur darum ging, in Südafrika selber die Bedingungen auf dem Bau zu verbessern. Wir wollten eine Signalwirkung erreichen, auch über das Land hinaus – auch gegenüber der Fifa, gegenüber der Weltöffentlichkeit. Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass die großen Sportverbände mit ihren Mega-Events riesige Gewinne einstreichen und ihnen die Situation derjenigen, die die Stadien bauen und damit diese Events überhaupt erst möglich machen, nicht gleichgültig sein darf. An diese Verantwortung haben wir appelliert, da wollten wir die Fifa in die Pflicht nehmen – und das ist gelungen.

Wie haben Sie die Fifa denn in die Pflicht genommen und was waren die Resultate?

Der Fifa-Präsident Joseph Blatter hat im März 2008 eine Delegation von »Fair Games – Fair Play« in Zürich empfangen. Er versprach dabei, sich für die Anliegen der Kampagne einzusetzen und künftig gemeinsame Stadioninspektionen durchzuführen. Und das ist auch geschehen: Im März waren wir in Südafrika, um die Sta­dien in Johannesburg, Kapstadt und Durban zu inspizieren. Nur in Kapstadt wurden wir vom Management des Baukonsortiums an der Inspektion gehindert – ein klarer Verstoß gegen Gewerkschaftsrechte. Trotzdem ist die Reise positiv zu bewerten: Es war das erste Mal, dass es bei der Vorbereitung einer sportlichen Großveranstaltung eine Inspektion durch Gewerkschaften gab. Das werden wir auch in Zukunft bei anderen Veranstaltungen einfordern. Bei der Fußball-EM 2012 in Polen und der Ukraine, bei Olympia 2012 in London und bei der nächsten Fußball-WM 2014 in Brasilien. Wir haben einen Präzedenzfall geschaffen – und wir werden nicht hinter das zurückgehen, was wir erreicht haben.