Über das iranische Atomprogramm

Reden wir über etwas anderes

Die iranische Regierung hat neue Vorschläge für die Verhandlungen über das Atomprogramm präsentiert. Man will über alles sprechen, nur nicht über das Atomprogramm.

»Es gibt keinen Zweifel, dass unsere Welt an der Schwelle zu einer neuen Ära steht.« Das Ende der Herrschaft der Imperien ist nah. Drogen, Terrorismus und organisierte Kriminalität sind Probleme, die sich in der neuen Ära durch »rationales Denken« und einen »kulturellen Ansatz« besei­tigen lassen werden. Eine neue Welt der Spiritualität, der Freundschaft und des Wohlstandes zieht auf.
Ein Flugblatt, das Scientologen in der Fußgängerzone verteilen? Nein, die ersten Sätze einer diplomatischen Note der Islamischen Republik Iran für die Verhandlungen über das Atomprogramm. Nur vom Atomprogramm ist darin gar nicht die Rede. Wieso auch? Offenbar hat keiner erwartet, dass die Iraner über ihr Atomprogramm reden wollen. Alleine ihre Ankündigung, überhaupt bereit zu sein, über irgendetwas zu sprechen, hat bereits für helle Freude bei den Gesprächspartnern der »P5 plus 1« gesorgt, den fünf Dauermitgliedern des Sicherheitsrates sowie Deutschland. Dabei erscheint die offensichtlich unbedingte »Gesprächsbereitschaft« des Westens gegenüber dem Iran langsam in einem unheimlichen Licht.

Parallel zur offiziellen Überreichung des blumigen Angebots für einen »Dialog« haben Repräsentanten der Islamischen Republik in Kommentaren erläutert, worüber man möglicherweise reden könnte und worüber nicht. Ein Chefberater des Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad hat konkret die Themen Afghanistan und Drogenschmuggel für den »Dialog« angeboten, und ironischerweise internationale Maßnahmen zur nuklearen Abrüstung. Außenminister Manouchehr Mottaki wiederum sagte, es werde zwar keine Zugeständnisse beim Atomprogramm geben, aber die »Möglichkeit«, darüber zu sprechen, wenn die »Bedingungen« stimmten, wolle er nicht gänzlich ausschließen.
Ahmadinejad selbst hat klar gesagt, die Diskussion über das Nuklearprogramm sei beendet, aber er könne sich vorstellen, über »globale Herausforderungen« zu diskutieren. Der mittlerweile verbal wieder sehr offenherzige Präsident hat zudem erklärt, der Iran sei nun »stärker als ­jemals zuvor in seiner Geschichte«, es zieht ihn nach New York, zur nächsten UN-Vollversammlung, wo er sich mit Barack Obama vor laufenden Kameras messen möchte.
Bereits bei einem Treffen hochrangiger Beamter Anfang September in Frankfurt hat sich erwartungsgemäß abgezeichnet, dass es keine einheitliche Linie der sechs mit dem Iran verhandelnden Staaten geben wird. Russland und China lehnen verschärfte Sanktionen ab und haben dem Iran damit eine Art Freibrief ausgestellt, sein Atomprogramm ungestört weiterbetreiben zu können.
Die darauf folgende jüngste Tagung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien hat die Uneinigkeit über die Behandlung des iranischen Atomprogramms weiter verdeutlicht. Während der amerikanische Repräsentant meinte, der Iran besitze nun genug niedrig angereichertes Uran, um bei weiterer Anreicherung eine Bombe produzieren zu können, betonte der offizielle Bericht der IAEA die »positiven« Entwicklungen im Iran. Wobei selbst in dieser vom umstrittenen Direktor der Atomenergiebehörde, Mohammed El Baradei, vermutlich persönlich weichgespülten Fassung ausdrücklich vermerkt wird, dass der Iran bezüglich einiger offenen Fragen nicht kooperiere, deren Beantwortung »die Möglichkeit einer militärischen Dimension seines Nuklearprogramms« ausschließen ­könnte.
Dabei ist offensichtlich, dass die Atombehörde in der letzten Zeit von Geheimdiensten mit reichlich Material über die iranischen Atombombenpläne versorgt worden ist. Das israelische Außenministerium wie der französische Außenminister machten in der Folge publik, dass die IAEA sehr wohl konkrete Informationen über iranische Atombombenpläne besitze, sie aber in ihrem neuesten Bericht schlicht unterschlagen habe. Es war überdies zu erfahren, dass auch der Vertreter El Baradeis mit der Stellungnahme der inter­nationalen Behörde nicht sonderlich zufrieden war. Während El Baradei die Vorwürfe »politisch motiviert« und völlig »gegenstandslos« nannte, verwies eine offizielle Stellungnahme der IAEA etwas nebulös auf die Regularien der Behörde. Es gebe derzeit keine Informationen zum Iran, die den üblichen Weg bereits durchlaufen hätten. Dazu gehört der Versuch der Überprüfung vor Ort, der Abgleich mit anderen Informationen und vor allem die offizielle Stellungnahme des betroffenen Landes, also des Iran, dem die neuen Informationen zuerst zugänglich gemacht werden müssen. Dass neue Informationen vorliegen, wurde weder dementiert noch bestätigt.
Ihr vages Bekenntnis, es den Verhandlungspartnern möglicherweise zu gestatten, ihr Hauptthema überhaupt anzusprechen, hat den Iranern jedenfalls bereits den größtmöglichen Erfolg gebracht. Von einem letzten Ultimatum ist nicht mehr die Rede, geschweige denn von Sanktionen. Das US-Außenministerium und die EU haben sorgsam den Satz aus der kärglichen iranischen Vorlage herausgesucht, in dem es heißt, der Iran sei bereit, »in einen Dialog einzutreten«.
Die US-Regierung belohnt auf ihrer verzweifelten Suche nach irgendeinem Erfolg ihrer permanenten Gesprächsangebote die iranische Herablassung gleich doppelt. Im Rahmen der »P5 plus 1«-Verhandlungen wird es zu den ersten direkten offiziellen iranisch-amerikanischen Gesprächen seit 30 Jahren kommen. Obama hat Ahmadinejad bereits das Angebot zukommen lassen, trotz des bestehenden Embargos Flugzeuge von Boeing einkaufen zu können und mit Geld zu bezahlen, das gesperrten Konten in den USA entstammt.

Das Nato-Mitglied Türkei hat Außenminister Ahmet Davutoglu in den Iran geschickt, um ihn dort sagen zu lassen, man sei nicht nur gegen neue Sanktionen, sondern wolle auch die alten möglichst schnell beseitigen. Das iranische Atomprogramm »für friedliche Zwecke« begrüße man. Damit der »Dialog über wichtige globale Angelegenheiten« – vom Atomprogramm ist gar nicht mehr die Rede – auch im iranischen Sinne verläuft, hat die Türkei gleich angeboten, die Gespräche zu moderieren. Ahmadinejad belohnte die Türkei mit der Prophezeiung, nach dem »baldigen Sturz der arroganten Mächte« werde sie eine bedeutende Rolle an der Seite des Iran spielen.
Es bleibt die Frage, wie lange sich die Israelis diese bizarre Komödie noch mitansehen. Es ist offensichtlich, dass Ahmadinejad Zeit gewinnen will. Doch die Israelis werden wohl kaum zuschauen, wie der Iran weiter Uran anreichert, um seine »Gesprächsangebote« noch interessanter zu machen.