Über die »Woche des Grundeinkommens«

Fuck the factory, love the family

Die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens versuchen, die Hegemonie der Lohnarbeit zu brechen, doch manche befürworten dabei das traute Familienglück als Gegenentwurf zur »kalten Arbeitswelt«.

Während auf den Wahlplakaten aller Parteien für »Jobs, Jobs, Jobs« und »Arbeit für alle« geworben wird, fand in Deutschland, der Schweiz und in Österreich die »Woche des Grundeinkommens« statt. Auf vielfältige Art kämpfen Linke, Kirchenvertreter und sogar Neoliberale für die Befreiung des Menschen von der Arbeit. Die Lohnarbeit als Konstitutionsprinzip menschlicher Subjektivität sei längst zum Auslaufmodell geworden. »Beschäftigt« werden müssten nur diejenigen, die nichts mit ihrer Lebenszeit anzufangen wissen. Das bedingungslose Grundeinkommen soll »eine grundlegende Transformation der Gesellschaft« bewirken, fordert Katja Kipping, die stellvertretende Vorsitzende der »Linken«. Ziemlich radikale Ideen? Ja und Nein.

Denn bei der Diskussion um das »Ende der Arbeit« werden zwar die Produktionsverhältnisse von allen Seiten betrachtet und radikal kritisiert. Die Reproduktionsverhältnisse hingegen bleiben weitgehend unangetastet.
So lässt Sascha Liebermann auf der Internetseite der Initiative »Freiheit statt Vollbeschäftigung« verlauten: »Ein bedingungsloses Grundeinkommen stärkt die Familie. (…) Die bedingungslose Hingabe der Eltern an ihre Kinder, wodurch die Voraussetzung für ein autonomes und souveränes Leben geschaffen wird, müssen wir den Eltern ermöglichen.«
Ähnlich sieht es auch Wolfgang Storz in der Zeitschrift Chrismon. »Flexibel sein ist so modern – und macht so mürbe.« Dann doch lieber im trauten Heim Mama-Papa-Kind spielen. Das ginge auch ganz konfliktlos und ohne finanzielle Engpässe, denn mit dem Grundeinkommen würde »endlich (…) die Arbeit von Hausfrauen, Hausmännern und Müttern bezahlt – und damit respektiert«.
»Familien stärken.« Moment mal – steht das nicht auch auf den Wahlplakaten der CDU, gleich neben »Arbeit für alle«?
Ja. Und nicht nur da. Ursula von der Leyen, Frank Schirrmacher, Eva Herman und Co. wären vermutlich die ersten, die für eine derart schmackhaft gemachte Grundsicherung ihr Kreuzchen machen würden. Rückbesinnung auf traditionelle Familienwerte, weniger Scheidungen, Steigerung der Geburtenrate – das klingt nach einer großartigen Sache. Und die lässt sich noch weitertreiben: Staatliche Betreuungseinrichtungen könnten abgebaut werden, denn mit einer Grundsicherung als Rückhalt wären die Mütter (oder auch Väter, wenn sie denn wollen) endlich in der Lage, sich ungestört ihrer Rolle als Sorgearbeiterinnen im Privaten zu widmen.
Diesem Aspekt des Grundeinkommens könnten nicht nur Neokonservative etwas abgewinnen. Auch in explizit linken Texten finden sich Argumente, die in Richtung einer bezahlten Hausarbeit gehen. »Kapital und Lohnarbeit (basieren) auf vielen verschwiegenen Tätigkeiten und Leistungen«, schreiben Ronald Blaschke und Katja Kipping in dem Artikel »Angriff von innen«: »Das heißt, die eigentliche Basis der bezahlten Erwerbsarbeit und der Mehrwertaneignung wäre durch ein Grundeinkommen zumindest in Ansätzen entgolten.« Inwieweit diese »verschwiegenen Tätigkeiten« ideologisch aufgeladen und ihrerseits durch Abhängigkeitsverhältnisse gekennzeichnet sind, wird nicht gefragt. Das ist umso erstaunlicher, als im selben Text ein leidenschaftliches Plädoyer für Freiheit und Selbstverwirklichung zu finden ist: »Die Aufhebung der Entfremdung und die Verkürzung der im Reich der Notwendigkeit zu leistenden Arbeit ist (…) eine wichtige Voraussetzung für die Selbstverwirklichung.«
Unbestreitbar gehört auch die Reproduktionsarbeit – mehr noch als die weitgehend automa­tisierbare Produktion – zum »Reich der Notwendigkeit«. Dass sie damit den Tätigkeiten zuzurechnen ist, die zwar vermeintlich »ureigenen« Bedürfnissen entspringen, jedoch letztendlich der Selbstverwirklichung und Freiheit des Individuums im Weg stehen, ist zwar die logische Schlussfolgerung dieser Aussage, wird aber nicht thematisiert.
»Früher haben die Herrscher mit Gewalt die Fron erzwungen, heute haben die Menschen die Unterwerfung in ihrem Arbeitsethos verinnerlicht. Das ist Selbst-Versklavung!« klagt Martina Steinheuer auf der Website des Netzwerks Grundeinkommen an. Und die tagtägliche, »freiwillige« Selbstaufopferung von Frauen für das Wohl ihrer Familie ist keine »Selbstversklavung«? Dass die Erzeugung repressiver Bedürfnisse zentraler Bestandteil gesellschaftlich notwendiger Arbeit ist, dürfte spätestens seit Marcuse keine Neuigkeit mehr sein.

Heutzutage ist es möglich, offen darüber zu sprechen, dass Erwerbsarbeit seelisch und körperlich krank macht, innerhalb eines repressiven Systems stattfindet und von einer »Sinnstiftung« weit entfernt ist. Das Thema Reproduktionsarbeit dagegen ist weitaus stärker tabuisiert als etwa zu Zeiten der zweiten Frauenbewegung. Während die Lohnarbeit als äußerlich aufgezwungenes Übel entlarvt wird, besteht das Ideal von Mutterschaft und Kleinfamilie als etwas Vordiskursives, Natür­liches und Unabänderliches fort. Sogar und gerade die Befürworter der »Freiheit« setzen der kalten, bösen Arbeitswelt, die dem Menschen ein unmenschliches Maß an Mobilität und Flexibilität abverlangt, gern das Bild der kuscheligen Kleinfamilie entgegen. Diese Mythen sind nicht einmal mehr, wie in den siebziger Jahren, als solche erkennbar, sondern verstecken sich wahlweise hinter biologistischen Begründungen oder dem Gerede von der freien Entscheidung.
Mit der gegenwärtigen Wirtschaftskrise hat die Systemfrage auch außerhalb der Linken wieder an Dynamik gewonnen. Im Rahmen der Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen könnte man sich an die Kritik marxistischer Feministinnen der siebziger und achtziger Jahre zurückerinnern. Wenn das Grundeinkommen, wie von vielen linken Befürwortern gefordert, ein über den Kapitalismus hinausweisendes Moment enthalten soll, müssen die herrschenden Reproduktionsverhältnisse und die repressive Familienpolitik ebenso radikal kritisiert werden wie der Zwang zur Lohnarbeit.
Es wirkt beinahe scheinheilig, erst dann den Ausbeutungscharakter und das Elend eines Abhängigkeitsverhältnisses auszustellen, wenn die Entkoppelung von Arbeit und Lohn rein wirtschaftlich nicht nur möglich ist, sondern geradezu zeitgemäß erscheint. Angesichts der demographischen Entwicklung verhält sich die Sache bei der Reproduktionsarbeit anders, sie bleibt gesellschaftlich notwendig. Die Tatsache, dass uns bislang keine adäquate Alternative zur Sicherung des Fortbestandes der Gesellschaft eingefallen ist, liefert allerdings noch lange keinen Grund, die Unfreiheit der bestehenden Reproduktionsverhältnisse fraglos hinzunehmen oder gar als besonders erstrebenswert hinzustellen.

»Freiheit ist die schwierige Aufgabe«, heißt es in dem Film »Grundeinkommen – ein Kulturimpuls« von Daniel Häni und Enno Schmidt. Mit dieser Aussage sollte ernst gemacht werden, auch und gerade in der Reproduktionssphäre. Wenn man anfängt, sich zu fragen, warum viele Menschen meinen, ohne geregelte Arbeitsstrukturen und vorgegebene Aufgaben nicht existieren zu können, sollte ebenso gefragt werden, warum Menschen, insbesondere Frauen, derart verzweifelt an kleinfamiliären Strukturen festhalten.